Priorin Felizitas vor dem Kloster Au
Porträt

Priorin Felizitas: «Das klösterliche Zusammenleben ist nicht immer einfach»

Felizitas Elmiger lebt seit 43 Jahren im Kloster Au in Einsiedeln – und seit Ende Januar als Priorin. Früher wäre sie nicht dazu bereit gewesen, sagt sie. Konflikte in der Gemeinschaft will sie mit Fingerspitzengefühl angehen. Die Benediktinerin hegt die österliche Hoffnung: Das Gute wird siegen.

Regula Pfeifer

Am Dorfrand von Einsiedeln führt eine lange, gerade Quartierstrasse auf das stattliche Klostergebäude am Hang zu, das Kloster in der Au von Trachslau. Schwester Felizitas Elmiger (68) blickt aus einem Fenster. Es ist das Gästezimmer, in dem sich die offen lächelnde Priorin Zeit fürs Gespräch nimmt. Ein schlichter Raum mit rundem Tisch und altertümlich besticktem Sofa.

«Ich brauche im Moment viel Fingerspitzengefühl – und Klarheit.»

«Ich brauche im Moment viel Fingerspitzengefühl – und Klarheit», bringt Schwester Felizitas ihre Situation gleich auf den Punkt, während sie das helle Tischtuch glattstreicht. Ende Januar wurde sie zur Priorin gewählt.

Priorin Felizitas im Empfangszimmer ihres Klosters
Priorin Felizitas im Empfangszimmer ihres Klosters

Sie steht nun einer Ordensgemeinschaft vor, die seit rund 150 Jahren die «Ewige Anbetung» pflegt, inzwischen mit Unterstützung von Gläubigen aus der Region. «Das prägt eine Gemeinschaft», sagt Schwester Felizitas. «Wir leben zurückgezogen.»

Dennoch lesen einige Schwestern auch Zeitungen – weltliche wie kirchliche. Und sie haben ihre Meinungen zu aktuellen Vorgängen und Debatten.

Generationenkonflikt in der Gemeinschaft

«Wir haben unterschiedliche Ansichten», sagt Priorin Felizitas. Es gebe einen klaren Generationenkonflikt in der Gemeinschaft. «Doch wir sind in einem langsamen, steten Prozess – etwa in der Ökumene- und der Frauenfrage.»

Fahrer Benediktinerinnen sprechen das Donnerstagsgebet vor der Gnadenkapelle der Klosterkirche Einsiedeln.
Fahrer Benediktinerinnen sprechen das Donnerstagsgebet vor der Gnadenkapelle der Klosterkirche Einsiedeln.

Das klösterliche Zusammenleben sei nicht immer einfach, sagt die Priorin. «Beim Klostereintritt verpflichten wir uns zu einem Leben mit bisher unbekannten Personen.» Wichtig ist ihr ein gelungenes Zusammenleben. «Dabei muss nicht jede gleich denken.» Die Priorin ist sich bewusst, dass sie da eine Vermittlungsaufgabe hat.

Donnerstagsgebet für Gleichberechtigung

Priorin Felizitas interessiert sich für die Frauenfrage in der Kirche. Seit längerem betet sie das Donnerstagsgebet für die Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche, allein für sich. Ob Mitschwestern dasselbe tun, weiss sie nicht.

Priorin Irene Gassmann spricht zu den Anwesenden in der Klosterkirche Fahr
Priorin Irene Gassmann spricht zu den Anwesenden in der Klosterkirche Fahr

Das Gebet mitlanciert hat Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr. Zum Benediktinerinnenkloster unweit von Zürich hat Schwester Felizitas einen Bezug. Sie hat ein halbes Jahr dort gelebt und dabei kochen gelernt. «Ich habe eine grosse Wertschätzung für die Gemeinschaft im Fahr, für die Art, wie sie ihren Weg geht», sagt Schwester Felizitas.

«Das Lesen ist mir ähnlich unentbehrlich wie das Gebet»

Priorin Felizitas

Auch das feministische Engagement der deutschen Benediktinerin Philippa Rath verfolgt sie interessiert. Sie liest die Bücher des reformorientierten Einsiedler Alt Abts Martin Werlen. Und jene der US-amerikanischen Benediktinerin Joan Chittister, die sich für Frieden, soziale Gerechtigkeit und die Frauenordination einsetzt. Oder jene über den Jesuiten Alfred Delp, der von den Nazis ermordet worden war. «Das Lesen ist mir ähnlich unentbehrlich wie das Gebet», sagt die Priorin.

Propst Martin Werlen
Propst Martin Werlen

Name Maria Magdalena war besetzt

Schwester Felizitas hätte gern Maria Magdalena geheissen, nach der «Apostelin der Apostel». Doch dieser Name sei im Kloster Au bereits vergeben gewesen. Als sie von den «Maria-Magdalena-Gottesdiensten» erfährt, wird sie hellhörig. Die Gottesdienste werden jeden Monat am 22. gefeiert, als Protest gegen die Diskriminierung von Frauen in der Kirche.

Nun heisst Schwester Felizitas also übersetzt «Glückseligkeit». Das habe ich inzwischen gefunden, sagt die Benediktinerin.

«Ich habe lange mit mir gerungen.»

«Ich habe lange mit mir gerungen», sagt Schwester Felizitas. «Ich musste ziemlich viel verarbeiten.» Vor sechs Jahren hätte sie sich noch nicht vorstellen können, Priorin zu sein. «Ich sagte damals meinen Mitschwestern: ‹Vergesst das.›» Und doch findet sie heute: «Ich habe es nie bereut, diesen Glaubensweg gegangen zu sein.»

Sie erlebte mehrmals Krisen – und fand jemanden, der ihr dabei weiterhalf. «Zum Glück, sonst wäre ich schon lange nicht mehr da», sagt die Ordensfrau.

Einfachheit trotz Abteientitel

Ihre Einsetzung wollte Schwester Felizitas nur in kleinem Rahmen begehen. So, wie es der Tradition der Einfachheit ihrer Gemeinschaft entspricht. Obwohl in Abteien solche Leitungswechsel oft gross gefeiert werden.

Das Kloster Au ist eine Abtei, seit 1984. Dies «mehr oder weniger mit unserem Willen», sagt Schwester Felizitas. Wegen dieser Zurückhaltung nennt sich die jeweilige Klostervorsteherin von Au nicht Äbtissin, sondern Konventual-Priorin.

Die Waldschwestern und das Wurzelkreuz

«Wir sind Waldschwestern», sagt Schwester Felizitas. Damit bezieht sie sich auf die Frauengemeinschaften, die sich schon im Mittelalter in der Nähe von Einsiedeln niederliessen. Und aus denen auch das Kloster Au hervorging.

Das Wurzelkreuz – Zeichen der besonderen Naturverbundenheit des Klosters Au
Das Wurzelkreuz – Zeichen der besonderen Naturverbundenheit des Klosters Au

Deren Naturverbundenheit symbolisiert eine Wurzel, die Jesus am Kreuz darstellt. «Die hat eine unserer Schwestern vor Jahrhunderten im Wald gefunden, als sie Kräuter suchend sich mit dem Leiden Christi auseinandersetzte», sagt Schwester Felizitas und erwähnt die Beschreibung auf der Kloster-Webseite. Demnach ist die Gekreuzigten-Figur eine natürlich gewachsene Wurzel.

Schwester Felizitas steht auf und geht voran in den Korridor des Gästetraktes. Sie zeigt auf das Wurzelkreuz, das an der Wand hängt, geschützt hinter Glas. «Da ist nichts geschnitzt», beteuert sie. Tatsächlich ist da eine Holzfigur zu sehen, das Gesicht des schief hängenden Kopfes gut erkennbar.

Benediktinerinnen von 65 bis 97 Jahren

Im Frauenkloster Au leben elf Benediktinerinnen im Alter von 65 bis 97 Jahren. Eine Mitschwester ist bettlägerig und muss gepflegt werden, eine andere lebt in einem Pflegeheim in der Nähe, da sie auch Nachtbetreuung braucht.

Priorin Felizitas ist mit 68 Jahren die zweitjüngste unter den elf Frauen. «Die Jüngste habe ich als erste Amtshandlung zur Subpriorin ernannt», sagt sie. Es ist Schwester Angelika (65), die an diesem Tag die Pforte bedient. Schwester Felizitas begründet ihren Entscheid mit dem Heiligen Benedikt. Demnach solle man auch auf die Jüngeren hören. Denn Gott offenbare oft den Jüngeren, was das Bessere ist. «Wir sind beide noch Lernende», gibt die Priorin zu.

Direkt am Wanderweg: Kloster Au in Einsiedeln-Trachslau
Direkt am Wanderweg: Kloster Au in Einsiedeln-Trachslau

Dass in Europa viele Klöster sterben, weltweit der Orden aber lebt, hat Schwester Felizitas bereits als Novizin erfahren. Der damalige Abtprimas des Benediktinerordens habe ihr gesagt: «Weltweit wächst der Orden. Doch in Europa werden sich nur wenige Gemeinschaften als lebensfähig erweisen.» Das sei Anfang der 80er-Jahre «realistisch und prophetisch» gewesen, sagt Schwester Felizitas bewundernd.

Kloster steckt in Transformationsprozess

Tatsächlich steckt auch das Kloster Au in einem Transformationsprozess, begonnen vor fünf Jahren. Voraussichtlich nächstes Jahr werde kommuniziert, wie es weitergehe, sagt Priorin Felizitas. Die Weichen seien gestellt. Frühere Gespräche mit Interessenten seien gescheitert – wegen der teuren Umbauten, die erforderlich gewesen wären.

Schwester Felizitas ist als Rita Elmiger in Gossau, im Kanton St. Gallen, aufgewachsen – als adoptierte Tochter in einer gut situierten katholischen Familie. Der Vater, der an Multipler Sklerose erkrankte, war nicht einverstanden mit dem Klostereintritt seiner einzigen Tochter. Sie wählte den 23. November zu ihrem Felizitas-Namenstag, von dem es mehrere gibt. Das war der Geburtstag ihres Vaters.

Verlobungsring als Zeichen ihrer Berufung

«Ich hatte mit Glauben lange nicht viel am Hut», sagt sie. Die junge Frau liess sich zur Krankenschwester ausbilden und verlobte sich mit einem Mann. Später trennte sie sich von ihm – vor und unabhängig von ihrem Klostereintritt, wie sie sagt. Den Ring hat sie behalten. Er ist nun ihr Profess-Ring. «Der Ring ist Teil meines Lebens und steht nun auch für meine neue Berufung», sagt Schwester Felizitas.

Der Ordensfrau-Ring war ihr Verlobungsring.
Der Ordensfrau-Ring war ihr Verlobungsring.

Den Weg für ein geistliches Leben geebnet hat ihr ein Benediktinerpater, der damalige Dekan der Klosterschule Einsiedeln. Ihn hatte sie im Vorkurs zur Krankenschwester-Ausbildung in Cham kennengelernt – bei einer religiösen Studienwoche. Und mit Aussagen provoziert, wie: «Ich glaube nicht an Gott.» Der Pater ging bereitwillig darauf ein – und blieb rund sechs Jahre mit ihr in Verbindung. Dann wurde er krebskrank und starb.

Kontakte zu Patres prägten Entscheidung

Die Krankenschwester arbeitete in Flawil SG und half der Mutter bei der Pflege ihres Vaters. Gleichzeitig begann sie tiefe Gespräche mit einem Jesuitenpater im Lasallehaus in Bad-Schönbrunn. «Damals fing ich an, Weichen zu stellen», sagt Priorin Felizitas. Sie besuchte nun jeden Samstagabend eine Eucharistie-Feier.

Mönche des Klosters Einsiedeln im hinteren Chor bei einer Professfeier.
Mönche des Klosters Einsiedeln im hinteren Chor bei einer Professfeier.

Der Entscheid fürs Klosterleben fiel bei einer Auszeit. Diese verbrachte sie bei einer schwangeren Schulkollegin und deren Mann, einem Theologie-Studenten. Dessen kritische Fragen brachten Klarheit in ihre Gedanken und Gefühle.

1979 trat sie ins Kloster Au ein. «Nun lebe ich schon 43 Jahre hier», sagt Schwester Felizitas. Dabei habe sie gemerkt: «Das Ringen um den Umkehr-Weg dauert weit länger als erwartet». Es gehe bis ans Lebensende. «Das bietet Spannung und eine Wachstumschance», ist sie überzeugt.

Übertragen auf die Osterzeit meint sie: «Hoffnung im österlichen Sinn meint, dass alles einen Sinn hat, auch ein Reifungsprozess. Die Liebe und das Gute siegen, davon gehe ich aus – auch wenn es mal schwierigere Phasen gibt im Leben.» (Version 6.4.23, 10 Uhr)

Abt Urban und Alt-Priorin organisierten Wahl der Priorin

Abt Urban Federer
Abt Urban Federer
Die Wahl zur Konventual-Priorin im Kloster Au geschah mit Unterstützung von Abt Urban von Einsiedeln und einer ehemaligen Priorin des Klosters Heiligkreuz in Cham. Der Abt und die Alt-Priorin luden jede Schwester des Klosters Au zweimal zum Gespräch unter sechs Augen.

Danach organisierten sie die geheime Wahl in der Gemeinschaft – aus der Priorin Felizitas hervorging. «Es findet bei uns kein Wahlkampf statt», sagt diese. Am 31. Januar wurde die Einsetzung in der Klosterkirche in kleinem Rahmen gefeiert.

Beim Besuch Anfang März ist Priorin Felizitas noch daran, sich einzuarbeiten. Sie müsse sich schlaumachen über Versicherungsfragen, die klösterliche Buchhaltung – und den Umgang mit den Medien erst lernen, meint sie verschmitzt lächelnd. «Aber die sorgfältige Begleitung meiner Mitschwestern ist mir wesentlich; ebenso die gegenseitige Offenheit und Wertschätzung.» (rp)


Priorin Felizitas vor dem Kloster Au | © Regula Pfeifer
4. April 2023 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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