Pressekonferenz zu Amoris laetitia
Schweiz

Presseschau zu «Amoris laetitia»: Papst will Kirche öffnen

Zürich, 10.4.16 (kath.ch) Über das postsynodale Schreiben «Amoris laetitia» von Papst Franziskus haben die Schweizer Medien am Wochenende breit berichtet. Wahrgenommen wird der Wille nach Öffnung, auch wenn in der Kirche keine Revolution anstehe.

Im Portal kath.ch werden zwei Wege genannt, wie es in der Schweiz nach der Veröffentlichung des Papiers weitergehen soll. Bischof Jean-Marie Lovey meint, Bistümer und Bischöfe sollten Richtlinien für das künftige Handeln der Seelsorger ausarbeiten. Die katholische Allianz «Es reicht!» fordert einen synodalen Prozess.

Das Schreiben wird tendenzmässig durch die Presse positiv aufgenommen. Der designierte CVP-Präsident Gerhard Pfister erklärt in einem Kommentar für die «SonntagsZeitung», der Papst gehe ein grosses Risiko ein. Diejenigen, die das Heil im konsequenten Festhalten an den Prinzipien sehen, und diejenigen, die von der Kirche eine realistischere, modernere Ethik erwarten, würden enttäuscht.

Freiräume nutzen

Franziskus verstehe seinen Auftrag wie seine direkten Vorgänger Benedikt und Johannes Paul II., so Pfister:  In der Kirche den Glauben über die Jahrhunderte weiterzutragen. Daran orientiert er sich, nicht an den wechselnden Erwartungen der Gegenwart. Franziskus versuche, katholische Ethik glaubwürdig zu vertreten, ohne von zentralen Werten des Glaubens abzurücken. Es liege nun an der Kirche, «diese Freiheit menschengerecht zu nutzen».

Aus der Sicht von Martin Lintner, Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen, lehnt der Papst eine rigoristische Haltung, die nur moralische Gesetze anwenden wolle und Menschen verurteile, ebenso ab wie die oberflächliche Entscheidung, einfach alles für gut zu heissen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht erscheinen mag, schlage der Papst seitens des römischen Lehramtes einen neuen Weg im Umgang mit betroffenen Menschen ein, so Lintner im Internetportal «feinschwarz».

Keine Revolution – aber neue Offenheit

Eine Revolution ist es nicht, schreibt das «Bündner Tagblatt». Franziskus überrasche in «Amoris laetitia» mit Selbstkritik und offenen Worten über Sex. Gesetze für wiederverheiratete Geschiedene erlasse er nicht, lasse aber mehr Spielraum für Einzelfallentscheidungen. Er setze auf die pastorale Kompetenz der Priester. Der Papst wolle mit einer Kirche aufräumen, die verurteilt.

Auch Peter Röthlisberger, Chefredaktor des «Blick», meint, der Papst räume den Seelsorgenden mehr Spielraum ein, auch wenn er an den Fundamenten der katholischen Familienlehre nicht rüttle. Er vertrete wie alle seine Vorgänger die konservativen Werte, die seine Kirche seit 2000 Jahren prägen. «Auf allen Seiten Kompromisse einzugehen, heisst, die eigene Marke zu verwässern. Das wird der katholischen Kirche nicht passieren. Mit Machterhalt kennt sie sich aus», so Röthlisberger.

Aus der Sicht der Basler Zeitung bleibt das Abschlussdokument oft vage. Der Papst biete keine einfachen Handreichungen oder strikte Anweisungen. Auch werde das kirchliche Lehrgebäude nicht eingerissen, allerdings öffne Franziskus «Räume, wo vorher keine waren». Enttäuschen dürfte das Dokument alle, die eine Revolution vom Haupt der katholischen Kirche erwartet hätten, und zugleich alle, die sich eine komplette Absage an Veränderungen erhofft hatten. Die Zeitung verweist auf den Churer Generalvikar Martin Grichting, der in der Aufarbeitung des Dokuments vor einem Missbrauch warnt.

Hilfreiches, Würdigendes, Anregendes

Eva-Maria Faber, Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur (THC,) erklärte gegenüber der «Werdenberger & Obertoggenburger» Zeitung, das neue Schreiben enthalte für Menschen in Partnerschaft und Familie ebenso wie für Seelsorgende echte Ermutigung und sehr viel Hilfreiches, Würdigendes, Anregendes. Im Jesuitenorden spiele das «Unterscheiden», das der Papst in der Seelsorge nun einfordere, in der Spiritualität eine wichtige Rolle: Wenn man Situationen unterscheide, dann müsse man auch unterschiedliche Konsequenzen ziehen.

Die Eucharistie solle nicht eine Belohnung für die Vollkommenen sein, sondern ein grosszügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen, schreibe der Papst. Der neue Text enthalte an zwei Stellen den ausdrücklichen Hinweis darauf, so Faber. In einer Begleitung, die Menschen würdige, sei das Ziel das Eingliedern. Zudem sollten alle Hilfen eröffnet werden, damit Betroffene je mehr liebende Menschen sein können. Dazu werde ausdrücklich gesagt, dass dies auch die Zulassung zu den Sakramenten einschliessen kann. Die bisherigen offiziellen Weisungen, die eben dies ausdrücklich verneinten, würden also aufgebrochen.

Ausnahmen und Gefälligkeiten vorbeugen

In bemerkenswerter Weise nehme das Schreiben aus den langjährigen pastoralen und theologischen Diskussionen Einsichten auf, denen lehramtlich bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, schreibt Eva-Maria Faber in einem Kommentar für feinschwarz.net. Mit diesem Nachsynodalen Schreiben werde eine Veränderung der bestehenden offiziellen Disziplin vorgenommen. Zugleich werde dafür gesorgt, dass die neue Offenheit nicht einer schnellen Ausnahme oder einem auf Gefälligkeiten hin erwiesenes sakramentales Privileg Vorschub gebe oder von Doppelmoral zeuge.

Der Papst kremple die herrschende Morallehre nicht um und auch nicht das Kirchenrecht, sagte die Theologin gegenüber SRF. «Es wird aber darauf verzichtet, eine konkrete Norm aufzustellen. Das Gesetz ist nicht über die Nöte der Menschen zu stellen: Das hat mit Barmherzigkeit und mit Gerechtigkeit zu tun.» Denn es solle gewürdigt werden, «was positiv gelebt wird».

Es sei mit dem Schreiben deutlich geworden, dass ein neuer Ansatz da sei, meint Eva-Maria Faber gegenüber SRF. «Der Papst macht ernst mit dem Prinzip, dass ihm wichtig ist: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee. Er steht zu Idealen wie Treue, Verlässlichkeit. Aber er weiss, dass in der Wirklichkeit Freuden, Träume, Dramen der Menschen eine Rolle spielen.»

Der Papst spielt den Ball in den Regionen zu, kommentiert SRF das neue Schreiben. Inkulturation heisse das Zauberwort der Stunde. Nicht jede moralische Frage müsse von Rom entschieden werden. In jedem Land oder in jeder Region «können besser inkulturierte Lösungen» gefunden werden.

Neue Töne und Kompetenzen

Die katholische Kirche will gemäss den «Freiburger Nachrichten» künftig Geschiedene nicht mehr automatisch exkommunizieren. Die Homo-Ehe lehne sie weiter ab, nicht aber die Homosexuellen selbst. Papst Franziskus räume mit alten Regeln auf. Die revolutionäre Idee des Schreibens sei der «Verzicht auf eine einzige allgemeingültige kanonische Regel».

Für die «Aargauer Zeitung» rüttelt Papst Franziskus nicht grundsätzlich an der bisherigen Lehre, schlägt aber neue Töne an. Der Italien-Korrespondent der Zeitung, Dominik Straub, schreibt, der Papst wolle keine andere Lehre, sondern eine andere Haltung der Kirche. Er fordere Respekt und Mitgefühl auch für Gemeindemitglieder, die vom Pfad der katholischen Tugend abgewichen seien, und öffne auch inhaltliche, für die Praxis wichtige Spielräume. So sollten künftig die Ortsbischöfe entscheiden können, ob und unter welchen Bedingungen wiederverheiratete Geschiedene am kirchlichen Leben und an den Sakramenten teilnehmen können. Im Grunde «legalisiert» der Papst damit letztlich eine Praxis, die in vielen Diözesen ohnehin üblich ist.

Folgen nicht unterschätzen

Für die «Neue Zürcher Zeitung» können sowohl Reformer wie Bewahrer eine Bestätigung ihrer Positionen aus dem Dokument herauslesen. Das Schreiben stehe nicht für einen Kurswechsel in strittigen Fragen der Ehe- und Sexualmoral. Doch seine Folgen sollte man nicht unterschätzen, so das Blatt. Der Papst versteht es, bisher in der Kirche tabuisierte Themen wie Leidenschaft und Erotik anzusprechen. Franziskus eröffne zudem neue Spielräume. Nicht alle Streitfragen müssten durch ein Eingreifen des Lehramtes entschieden werden.

Eine grosse Enttäuschung müsse das Schreiben des Papstes für homosexuelle Menschen darstellen. Die Situation von gleichgeschlechtlichen Paaren komme so gut wie nicht vor. Insgesamt spiegle das Schreiben des Pontifex den Widerstreit der Bischöfe an der Familiensynode wider. Die Zeit des römischen Rigorismus scheine aber vorbei zu sein.

Von Revolution werde nach der Lektüre des Schreibens «Freude der Liebe» niemand mehr sprechen, schreibt Michael Meier im Kommentar für den «Tages Anzeiger». Die Bewahrer würden mit Genugtuung den alten moraltheologischen Verbotskatalog finden. Andererseits meine der Papst, dass «nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen». In gewundener Sprache gestehe Franziskus dem Gewissen der Betroffenen und den Beichtvätern einen gewissen Spielraum zu. Mit seinem Schreiben mache Franziskus sein Profil vollends lesbar: neuer Ton ohne neue Inhalte. (gs)

Pressekonferenz zu Amoris laetitia | © 2016 screenshot radio vatican
10. April 2016 | 17:36
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