Pierre Stutz erhielt den Herbert Haag-Preis 2021
Schweiz

Pierre Stutz: Kurt Koch war von meinem Outing überfordert

Der schwule Theologe Pierre Stutz ist Teil der Bewegung «Out in Church». Er kritisiert die Regenbogenpastoral im Bistum Basel und sagt zu queeren Seelsorgern: Outet euch! Und: «Auch Bischöfe sollen sich outen.»

Jacqueline Straub

28 Priester haben sich bei der Aktion «Out in Church» als schwul geoutet. Hätten Sie sich mehr gewünscht?

Pierre Stutz*: Definitiv. In Deutschland gibt es über 12’000 Priester, in der Schweiz um die 2000. Da sind 28 Priester, die sich outen, natürlich wenig. Mindestens ein Drittel der Priester sind homosexuell. Es zeigt, dass in der Kirche die Angst noch immer an der Macht ist.

Was schlagen Sie vor, um diese Angst zu überwinden?

Stutz: Jede Person, die sagt, dass sie queer ist, würde den Druck verstärken, dass diese diskriminierende, homophobe Lehre, die noch immer im Katechismus steht und in römischen Verlautbarungen wiederholt werden, beendet wird. Die Sexualmoral der Kirche ist menschenunwürdig. Natürlich muss sich auch arbeitsrechtlich etwas ändern. Es kann nicht sein, dass queere Personen aus dem kirchlichen Dienst entlassen oder gar nicht erst eingestellt werden. Mit der Aktion «Out in Church» konnten wir bereits einige Bischöfe bewegen, die das nun angehen und zu einer Änderung beitragen möchten. Auch muss die Sexualethik neu formuliert werden. Es geht darum, dass Sexualität und Spiritualität miteinander versöhnt werden.

Die Bewegung «Out in Church» hat in Deutschland eine Anpassung im kirchlichen Arbeitsrecht erreicht.
Die Bewegung «Out in Church» hat in Deutschland eine Anpassung im kirchlichen Arbeitsrecht erreicht.

Was für Reaktionen haben Sie bislang auf Ihr Engagement bei «Out in Church» erhalten?

Stutz: Ich bin durch viele Nachrichten unglaublich positiv bestärkt worden. Auch, dass bereits 90’000 Menschen unsere Petition unterschrieben haben, schenkt viel Kraft. Aus der Schweiz haben mir drei schwule Priester geschrieben und sich für meinen Einsatz bedankt. Sie sagten mir alle, dass sie bei solch einer Aktion in der Schweiz auch mitmachen würden, aber allein haben sie Angst sich zu outen. Es ist wichtig, dass sich die queeren Seelsorger in der Schweiz nun solidarisieren. Wo es Solidarität gibt, kann Veränderung geschehen.

«Ich wünsche mir, dass die Männer von Adamim sich öffentlich outen.»

In Deutschland ist nach dem grössten Outing in der katholischen Kirchengeschichte Aufbruch spürbar. Sehen Sie diesen auch in der Schweiz?

Stutz: Nein, den spüre ich so nicht. Und ich kann mir auch nicht erklären warum. Denn in so vielen Bereichen ist die Schweizer Kirche liberaler als die deutsche. Ich würde mir wünschen, dass die Männer von Adamim sich öffentlich outen. Das wäre ein starkes Zeichen. Mein Plädoyer: Queere Seelsorgende sollen sich outen. Die Stigmatisierung gegen queere Personen in der Kirche kann nur durch Gesichter und Geschichten und durch Solidarität untereinander beendet werden. Dazu zählt aber auch, dass Bischöfe sich outen. Denn Homosexualität endet nicht bei der Priesterweihe.

«Ich hatte einen grossen Leidensdruck.»

Wann haben Sie sich geoutet?

Stutz: Ich habe mich 2002 geoutet. Damals war ich Diözesanpriester im Bistum Basel. Ich hatte einen grossen Leidensdruck, war depressiv und suizidal. Ich konnte und wollte meine Homosexualität nicht länger unterdrücken und ging zu Bischof Kurt Koch, um mein Priesteramt niederzulegen.

Wie hat er reagiert?

Stutz: Er war schockiert und überfordert. Bei der kurzen Begegnung sagte ich ihm, dass ich für eine andere Kirche kämpfen werde. Seither habe ich nie mehr etwas von ihm gehört.

Kardinal Kurt Koch
Kardinal Kurt Koch

Was war damals Ihre Hoffnung?

Stutz: Vor 20 Jahren war meine Hoffnung, dass dadurch ein Ruck durchs Land geht. Das geschah nicht. Jüngere Priester sagen mir noch heute, dass sie Angst haben, nach einem Outing nicht mehr in der Pfarrei tätig sein zu dürfen. Ich bin mir sicher: Wenn sich 30 oder 40 Priester in der Schweiz outen würden, würde ihnen nichts passieren. Das könnten sich die Bischöfe nicht leisten, so viele kompetente Männer zu verlieren. Ich hatte damals auch Angst, keine Arbeitsstelle in kirchlichen Institutionen mehr zu erhalten. Diese Angst hat sich als unberechtigt erwiesen.

Der frühere Generalvikar von Freiburg hätte im Jahr 2020 Kathedralpfarrer werden sollen. Doch dann wurde bekannt, dass er auf schwulen Sex-Portalen unterwegs war. Was sagen Sie dazu?

Stutz: Die Doppelbödigkeit gibt es leider in der Kirche. Sei das der schwule Priester, der heimlich Sex hat oder seinen Partner verstecken muss oder jener, der in einer heimlichen Beziehung mit einer Frau lebt. Oder auch Priester, die Kinder haben, das aber nicht bekannt werden darf. Die Lebensschule Jesu ermutigt uns, authentische Menschen zu werden, was natürlich mehr oder weniger gelingt, jedoch gerade in der Kirche gefördert werden soll.

«Es gibt in der Schweiz definitiv Handlungsbedarf.»

Die Pastoralverantwortliche des Bistums Basel sagte, dass es in der Regel nicht möglich ist, eine Missio canonica zu erhalten, wenn man in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt. Allerdings werde mit Personen, die bereits im kirchlichen Dienst stehen, die Situation «individuell besprochen» und nach Lösungen gesucht. Was sagen Sie dazu?

Stutz: Das ist zwar die Praxis, aber das genügt nicht mehr. Es gibt in der Schweiz definitiv noch Handlungsbedarf. Es kann nicht sein, dass das Bistum Basel eine Regenbogenpastoral einführt und kurz darauf einem schwulen Seelsorger die Missio verweigert. So etwas verstärkt das Klima der Angst. Es wird Zeit, dass Bischöfe Zivilcourage zeigen und die schöpferische Vielfalt nicht mehr als Sünde ansehen – und dementsprechend auch arbeitsrechtliche Änderungen vornehmen.

* Pierre Stutz (69) war bis 2002 Diözesanpriester im Bistum Basel. Nach seinem Outing legte er das Priesteramt nieder. Heute ist er als Referent und Autor tätig und lebt mit seinem Mann in Deutschland.


Pierre Stutz erhielt den Herbert Haag-Preis 2021 | © Vera Rüttimann
2. Februar 2022 | 17:54
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