Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
International

Pfarrer Schiessler: «Monika Schmid ist mit dem Rammbock durch die Tür von vorne»

Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schiessler (62) ist für seine Klartext-Sprache bekannt. Er kritisiert in einem Podcast Monika Schmid, die in Zürich konzelebriert hatte: «Ich als Pfarrer hätte der Frau Schmid gesagt: Das machen wir nicht.» Reformen in der Kirche seien im Gang: «So aufregend war es noch nie.»

Beate Laurenti

Wie wurden Sie auf Monika Schmid aufmerksam?

Rainer Maria Schiessler*: Ich habe davon in den Medien gelesen.

Pfarrer Rainer Maria Schiessler
Pfarrer Rainer Maria Schiessler

In Ihrem Podcast «Schiesslers Woche» klang an, dass sie es nicht gut finden, dass Monika Schmid konzelebriert hat. Warum nicht?

Schiessler: Naja, sie ist mit dem Rammbock durch die Tür von vorne. Natürlich müssen wir die Kirche verändern. Nur: Auf diese Art und Weise verändere ich nichts! Damit rufe ich nur die Reformgegner und die Noch-Zaghaften auf den Plan, die dann sagen: «Nein, das geht nicht. Was macht ihr mit unserer Kirche?».

«In Zukunft sind Frauen selbstverständlich in Ämtern».

Es ist etwas anderes, wenn ich mich hinstelle und sage: Für mich ist es völlig selbstverständlich, dass Frauen wie Frau Schmid in Zukunft hoffentlich nicht nur eine Gemeinde leiten, sondern auch einer Gemeinde vorstehen.

Wir wissen alle, dass wir diese Kirche verändern müssen und dass wir in der Zukunft eine Kirche haben, in der Frauen selbstverständlich in Ämtern sind – wie bei den Christinnen und Christen der protestantischen und altkatholischen Kirche.

Monika Schmids Abschiedsgottesdienst Effretikon
Monika Schmids Abschiedsgottesdienst Effretikon

Also reicht es, einfach abzuwarten?

Schiessler: Nicht warten, drängen. Bitte, haltet euch an Apostel Paulus! Es ist wichtig, nicht die Hände in den Schoss zu legen, sondern wachsam zu sein. Dahindösen ist fatal.

Für Monika Schmid und ihre Gemeinde hat es sich aber stimmig angefühlt. Ist Ihnen das egal?

Schiessler: Nein, das habe ich auch im Podcast gesagt. Es ist schön, wenn es sich für die Gemeinde stimmig angefühlt hat. Wenn eine Katze eine Maus frisst, ist das für sie auch stimmig. Ich würde die Maus nicht einmal anrühren.

Das sind zwei verschiedene Dinge. Deswegen habe ich auch zu überlegen gegeben, ob es richtig ist, Kirchenstrafen zu verhängen. Besser wäre es, erst einmal die Gemeinde zu fragen: «War es für euch stimmig, ist das für euch völlig normal?»

«Wir müssen aus der Geschichte lernen und neue Wege gehen».

Nochmals: Reicht das?

Schiessler: Das weiss ich nicht. Ich sehe keinen anderen Weg. Diese Kirche hat sich nie verändert, indem Leute einfach gesagt haben: «Wir machen unser eigenes Ding». In solchen Fällen kam es eher zu Spaltungen – sei es das Schisma, die Ordensspaltungen oder die Reformation. Wir müssen doch aus dieser 1000-jährigen Geschichte lernen und neue Wege gehen. Das können wir nur, indem wir zuhören – von oben nach unten.

Gemeindeleiterin Monika Schmid zieht mit ihrem Hirtinnenstab in der Kirche St. Martin in Effretikon zu ihrem Abschiedsgottesdienst ein.
Gemeindeleiterin Monika Schmid zieht mit ihrem Hirtinnenstab in der Kirche St. Martin in Effretikon zu ihrem Abschiedsgottesdienst ein.

Was heisst das konkret?

Schiessler: Die Amtskirche muss auf eine Gemeinde hören und sagen: «Wir haben keine Alternative. Wir haben die Pflicht, den Gemeinden die Eucharistie anzubieten. Und das geht nicht mehr unter dem immer noch bestehenden System von zölibatär lebenden Priestern, denen die Sakramente vorbehalten sind.» Das ist ein Problem. Es muss erst einmal erkannt werden.

Und genau das wird in Deutschland beim Synodalen Weg diskutiert. Hier geht es nicht um Revolution. Hier geht es um ein neues Denken für die Zukunft. Und das kritisiere ich auch an den Gegnern: Sie behaupten, wir würden dem Evangelium nicht treu sein. Ich sage: Gerade, weil wir dem Evangelium treu sind, wollen wir ja diese Reform. Weil wir nicht wollen, dass die Kirche gegen die Wand gefahren wird.

«Es gibt keine Regel, die verbietet, Menschen zu segnen».

Sie selbst halten sich auch nicht an alle Regeln. Sie haben schwule und lesbische Paare gesegnet. Warum ist das in Ordnung – nicht aber, wenn eine Frau konzelebriert?

Schiessler: Weil es keine Regel gibt, die verbietet, Menschen zu segnen. Ich sehe hier nicht «den Schwulen», sondern einen Menschen, der eine andere sexuelle Orientierung hat. Dieser Mensch kommt zu mir und bittet um den Segen.

Und jetzt halte ich mich an den Papst und sage: Jeder, der kommt und um den Segen bittet, wird gesegnet. Ich segne keine Lebensform und ich halte keine Trauung ab. Ich segne Menschen und keine Macht der Welt wird mir diese Aufgabe entziehen.

Sind Sie also kein Revoluzzer?

Schiessler: Wir sind eine offene Gemeinde, aber wir vollziehen keine revolutionären Akte. Wir halten Tradition und Moderne schön eng zusammen, wir erfinden kein neues Ostern.

Kardinal Reinhard Marx
Kardinal Reinhard Marx

Wie gehen Sie mit dem Dilemma um: auf Reformen hoffen – oder einfach machen?

Schiessler: Ich hoffe nicht auf Reformen. Ich weiss, dass sie kommen! Ich finde diese Zeit wahnsinnig spannend. Ich denke mir: So aufregend war es noch nie. Meine Priesterweihe liegt 35 Jahre zurück, ich hätte damals nicht geglaubt, in welchem Tempo wir uns weiterentwickeln.

Kardinal Marx hat im März in München einen Gottesdienst gefeiert zum 20-jährigen Bestehen der Queer-Gemeinde. Er hat selbst gesagt, dass er sich das vor zehn Jahren noch nicht hätte vorstellen können. Die Veränderung ist im vollen Gange.

Und wie geht’s weiter?

Schiessler: Natürlich bereitet es mir Sorge, dass sich so viele Menschen von der Kirche abwenden. Wir haben seit Corona etwa die Hälfte der Kirchenbesucherinnen und Kirchenbesucher verloren. Das ist besorgniserregend, aber es raubt mir nicht den Schlaf. Wenn fünf Gläubige in die Kirche kommen, werde ich mit derselben Begeisterung das Evangelium verkünden wie vor 500 Menschen.

«Das Wort «inszeniert ist falsch und wird dem Kardinal nicht gerecht».

Kardinal Marx inszeniert sich als Reformer. So richtig revolutionär ist er aber auch nicht…

Schiessler: Was heisst inszeniert? Damit wird unterstellt, dass da ein Plan dahintersteckt, nach dem Motto: «Ich mache mich beliebt, weil ich für Reformen bin.» Ich meine zu wissen, dass er die Reformen wirklich will. Das Wort «inszeniert» ist falsch und wird dem Kardinal nicht gerecht.

Trotzdem dürfen Laiinnen und Laien im Erzbistum München noch nicht taufen und trauen. Warum setzt der Kardinal das nicht schon um?

Schiessler: Wenn eine pastorale Notlage besteht, dann dürfen Laien und Laiinnen auch nach dem Kirchenrecht gültig taufen und trauen.

Taufe eines Kleinkinds
Taufe eines Kleinkinds

Braucht die Kirche denn Figuren wie Monika Schmid, die mutig voranschreiten?

Schiessler: Es geht nicht darum, was die Kirche braucht. Es geht darum, dass wir den Menschen klarmachen, dass wir Kirche brauchen. Und dafür muss ich wissen, was «diese Kirche» ist. Das ist eine Gemeinschaft, die unter dem Kreuz Jesu entstanden ist. Kirche ist Zeugnis dieser neuen Gemeinschaft, die ihre Wurzeln im Menschen hat, der sich nach Gott ausstreckt.

Es geht um die Frage, was der Mensch braucht und nicht darum, ob die Kirche Revoluzzer braucht. Die hat es immer gegeben. Ich als Pfarrer hätte der Frau Schmid gesagt: Das machen wir nicht.

Was hätten Sie denn stattdessen gemacht?

Schiessler: Ich hätte gesagt: «Liebe Gemeinde, eigentlich müsste heute und jeden Sonntag Monika Schmid am Altar stehen und zelebrieren.» So wäre ich als Pfarrer vorgegangen. Aber dieser Schuss ging nach hinten los und der Rückschlag wird uns wahnsinnige Schmerzen bereiten. Da hat niemand was davon.

«Wer sich etwas traut, das sind die Leute im Iran».

Inwiefern Schmerzen?

Schiessler: Jetzt diskutieren wir nur über Aktivismus. Die Gegner sagen: «Die Frau drängt sich in den Vordergrund.» Und die Befürworter sagen: «Endlich mal eine Gemeinde, die sich was traut.» Was heisst denn hier «trauen»? Wer sich etwas traut, das sind die Leute im Iran, die auf die Strasse gehen. Die trauen sich was. Aber das hier hat doch nichts mit «sich etwas trauen» zu tun.

Kirche offen für queere Menschen
Kirche offen für queere Menschen

Sondern?

Schiessler: Es wurde ein Zeichen gesetzt, das in dieser Form zu früh kam. Weil es zu wenig gehört und besprochen wurde. Das, was wir machen, mit dem Synodalen Weg, das ist der richtige Weg.

Eine Messe, die proppenvoll ist und in der sich eine Frau individuelle Gedanken gemacht hat, müsste Ihnen doch lieber sein als eine Schema-F-Messe.

Schiessler: Ich weiss nicht, ob die Messe deshalb voll war. Sie war voll, weil Frau Schmid sich verabschiedet hat. Die Leute sind gekommen, um ihr Respekt zu zollen, weil sie in den Ruhestand verabschiedet wurde.

*Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schiessler (62) ist Bestseller-Autor und fällt immer wieder mit unkonventionellen Aktionen auf.


Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes. | © Seraina Boner
19. Oktober 2022 | 17:03
Lesezeit: ca. 5 Min.
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