Pfarrer Josip Knežević
Kommentar

Pfarrer Josip Knežević: Wir sind für die Menschen da, nicht für den Katechismus

Für Jesus waren die Menschen wichtiger als das Gesetz. «Diese Maxime sollte uns als Seelsorgende leiten», sagt Pfarrer Josip Knežević. Er wirbt für den neuen Verhaltenskodex: «Der Churer Priesterkreis spricht nur für eine Minderheit im Bistum Chur.» Ein Gastkommentar.

Josip Knežević*

Unser Bistum Chur hat mit dem Verhaltenskodex grosses Echo ausgelöst. Überwiegend sehr positiv und lobend. Nun meldet sich der kleine «Churer Priesterkreis», der nur eine Minderheit des Churer Klerus vertritt, und verlangt eine Zurücknahme der Unterschrift, Verbesserungen und Präzisierungen.

«Ich war froh, dass wir als Bistum Chur positive Schlagzeilen gemacht haben.»

Ich war endlich einmal froh, dass wir als Bistum Chur positive Schlagzeilen gemacht haben, aber nach dieser Reaktion ist die Freude der Angst gewichen, dass alte Gräben neu aufgerissen werden und wir wieder auf die andere Seite abrutschen und wieder negative Schlagzeilen produzieren.

«Es geht um zwei ganz grundsätzliche Verständnisse des Priesteramtes.»

Ich verstehe, dass der Glaube etwas ganz Persönliches ist, dass wir in unserer Freiheit dies oder jenes so oder so sehen dürfen, aber in diesem Fall habe ich das Gefühl, dass es um zwei ganz grundsätzliche Verständnisse des Priesteramtes geht.

Auf der einen Seite geht es um Priester, die sich als Seelsorger für die Menschen verstehen, die dem Menschen mit Respekt vor seiner Person und Intimität begegnen. Und auf der anderen Seite geht es um Pfarrherren, die sich als Hüter des Glaubens und des Katechismus verstehen, die streng nach Vorschrift und dem Buchstaben des Gesetzes handeln und argwöhnisch darauf bedacht sind, dass alles nach Katechismus geht.

«Auf der anderen Seite spüre ich Priester, die das Gesetz betonen.»

Ich spüre auf der einen Seite einen Bischof, der als Seelsorger (nicht nur im Spital) für viele Menschen da war und ist, der die Menschen spürt und ihnen respekt- und liebevoll begegnet – und dies auch von seinen Priestern und Mitarbeitenden einfordert.

Und auf der anderen Seite spüre ich Priester, die das Gesetz betonen und den Bischof fast erpresserisch auffordern, seine Haltung zu korrigieren und die Unterschrift zurückzunehmen. Das macht mich traurig.

«Ich verstehe den Geist des Verhaltenskodex als eine Hilfe, unsere Seelsorge in eine neue Richtung zu lenken.»

Ich bin auch Priester und Seelsorger und verstehe den Geist des Verhaltenskodex als eine Hilfe, unsere Seelsorge in eine neue Richtung zu lenken – die eigentlich die einzig richtige ist, nämlich auf den Menschen. Und anders als der Churer Priesterkreis habe ich auch keine Angst, dass ich mit den Eheleuten über das katholische Verständnis der Ehe nicht reden kann.

Ich habe auch kein Problem damit, einem Menschen, der anders ist in seiner Sexualität, als Mensch zu begegnen. «Wer bin ich, ihn zu verurteilen?», fragt Papst Franziskus. Und mit welchem Recht? Weil ich alles richtig und recht mache? Weil nur meine Sicht der Dinge richtig ist? Lässt sich die Liebe in «Normal» und «Nicht normal» einsperren? Liebt Gott nur seine heterosexuellen Kinder und erst ab dem Moment, da sie das Sakrament der Ehe eingegangen sind? Und die anderen landen in der Hölle?

«Es muss um den Menschen und nicht um die Buchstaben gehen!»

Wir dürfen um Positionen und Haltungen ringen, es ist legitim, andere Meinungen zu haben, aber es muss um den Menschen und nicht um die Buchstaben gehen! Die Hohepriester haben auch nach ihrem Gesetz gehandelt und Jesus ans Kreuz schlagen lassen!

Ich bin auch Priester des Bistums Chur. Ich sehe meine Aufgaben in der Seelsorge durch den Verhaltenskodex nicht gefährdet und hoffe, dass wir alle einen Weg finden, uns auf die Seite von Jesu zu stellen, der den einzelnen Menschen in seiner Not gesehen hat, der für die Sünder und Zöllner da war, obwohl sich die Hohepriester daran gestört haben.

Die Aufgabe der Seelsorgenden, nicht der Priester ist es, für die Menschen da zu sein und ihnen aus der Kraft des Evangeliums zu helfen, die vielfältigen Herausforderungen des Lebens zu meistern – und nicht noch mehr auf die Schultern zu laden!

«Ich bitte Gott, dass wir nicht in die zugeschütteten Graben zurückkehren.»

Ich bitte alle Beteiligten, sich ehrlich zu fragen, was sie als Priester und als Seelsorgende wollen: dem Menschen dienen oder den Machtapparat stärken? Und ich bitte Gott, dass wir nicht in die zugeschütteten Graben zurückkehren und uns mit den Paragraphen und Vorschriften bewerfen. Das ist nicht im Sinne Jesu und eigentlich ein Verrat an unserem Auftrag: geht und verkündet, das Himmelreich ist nahe!

* Josip Knežević (57) ist Pfarrer von Rüschlikon ZH. Er reagiert auf die Kritik des «Churer Priesterkreises».


Pfarrer Josip Knežević | © Ueli Abt
4. Mai 2022 | 11:25
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