Paul M. Zulehner
International

Paul Zulehner: Vielleicht wird das Erzbistum Vaduz aufgelöst

Die Weltkirche braucht eine mutige Dezentralisierung, findet der Theologe Paul Zulehner (82). Kurt Kochs Kritik am Synodalen Weg sei «schnellzüngig» gewesen. Auch zu Monika Schmid und zur Zukunft der Kirche in Liechtenstein findet er klare Worte.

Jacqueline Straub

Der weltweite synodale Prozess der katholischen Kirche soll nun doch mehr Zeit in Anspruch nehmen. Es soll auf Ebene der Weltkirche zwei grosse Sitzungen geben. Was sagen Sie dazu?

Paul M. Zulehner*: Bei der Familiensynode nahm sich der Papst auch mehr Zeit. Die Bischöfe wurden mit möglichen Themen und Entscheidungen vertraut gemacht. Das hat dazu geführt, dass es über ein Jahr hinweg einen Nachdenkprozess unter den Bischöfen gab. Das finde ich gut.

Familiensynode der Bischöfe im Vatikan
Familiensynode der Bischöfe im Vatikan

Papst Franziskus wünscht sich eine stärkere Beteiligung des Volkes Gottes. Was ist jetzt notwendig?

Zulehner: Es ist eine Steigerung der Partizipation. Ich begrüsse das sehr. Aber das Kirchenvolk muss sehen, dass man nicht nur um Fragen der Kirche kreisen darf, sondern auch die Fragen der Welt stellen und nach Lösungen suchen muss. Ich war sehr enttäuscht, als ich im Protokoll der österreichischen Bischöfe gelesen habe, dass in der Eingabe die Fragen zur Welt leider vergessen wurden. Es wurden nur innerkirchliche Probleme angesprochen. Das ist eine Kirchenimplosion. Dass wir uns nur um uns selber kreisen, ist der Situation der taumelnden Welt von heute nicht angemessen.

«Ob jemand zum Hardliner wird, ist keine Frage der Theologie, sondern der Persönlichkeitsstruktur.»

Gibt es in der Kirche derzeit denn nicht genügend zu tun mit innerkirchlichen Themen?

Zulehner: Innerkirchliche Themen sind wichtig, aber auch die Reformgruppen könnten sich mehr für die grossen Herausforderungen in der Welt wie Krieg, Klimanotstand oder Migration stark machen.

Eine Trias-Synode – bestehend aus Papst, Bischöfen und «Volk Gottes» – wäre ein Novum, das wegen der ungeklärten Frage der Repräsentativität zu Spannungen führen könnte. Wie sehen Sie das?

Zulehner: Wir haben in der Kirche Hardliner, die sicherlich auf die Bremsen treten und Reformen zu verhindern versuchen werden. Dazu muss gesagt werden: Ob jemand zum Hardliner wird, ist keine Frage der Theologie, sondern der Persönlichkeitsstruktur. Solche Persönlichkeiten setzen auf Sicherheit, nicht auf Entwicklung. Ich wünsche mir sehr, dass es dem Papst gelingt, diese Polarisierung zu überbrücken. Das Evangelium muss wieder im Vordergrund stehen und es geht darum, sich tiefer in die radikalen Wurzeln der Kirche zu graben. Gleichzeitig geht es auch um ein gemeinsames Hören auf den Geist Gottes, dem ich zutraue, in allen zu wirken.

Synodaler Prozess: Der Basler Bischof Felix Gmür bei der Eröffnung der Kampagne "Wir sind Ohr".
Synodaler Prozess: Der Basler Bischof Felix Gmür bei der Eröffnung der Kampagne "Wir sind Ohr".

Was erhoffen Sie sich vom synodalen Prozess?

Zulehner: Ich wünsche mir, dass eine mutige Dezentralisierung geschieht und die Kontinente eigenständiger sein können. Der Uniformismus der katholischen Kirche hat zur Stagnation der katholischen Weltkirche beigetragen. Eine Dezentralisierung könnte eine Dynamik in die Kirchen der vielfältigen Kulturen hineinbringen. Es stellt sich dann aber die sensible Frage: Wie kann bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten die Einheit gewahrt werden?

Wie kann das funktionieren?

Zulehner: Die Vielheit muss mit der Einheit versöhnt werden. Das geht meiner Meinung nach nur, wenn wir wieder einen spirituellen Tiefgang erreichen, wie es paulinisch heisst: ein Gott, ein Glaube, eine Taufe. Dann hätten wir eine 95-prozentige Kommunalität.

«Wir müssen nicht in allen Fragen im Gleichschritt arbeiten.»

Und was ist mit restlichen fünf Prozent?

Zulehner: Da können wir lustig miteinander streiten.

Wird der synodale Prozess den Reformstau in der Kirche auflösen?

Zulehner: Ich glaube schon, dass wir als Weltkirche gemeinsam da und dort einen Schritt machen werden. Ich hoffe aber auch, dass manche Entscheidungen den kontinentalen Bischofskonferenzen überlassen werden. Wir müssen nicht in allen Fragen im Gleichschritt arbeiten.

An welche Themen denken Sie dabei?

Zulehner: Das könnte zum Beispiel die Kriterien für die Ordination betreffen oder aber auch liturgische Formen. Auch pastorale Schwerpunkte werden unterschiedlich gesetzt werden können.

Wir sprechen hier gerade in Schaan/Liechtenstein. Erzbischof Wolfgang Haas hat sich geweigert, in Liechtenstein einen synodalen Prozess durchzuführen. Was heisst das?

Zulehner: Wolfgang Haas hat sich damit gegen seinen obersten Chef gestellt, gegen Papst Franziskus. Mit solchem Ungehorsam kann jede und jeder auch einen Ungehorsam gegenüber ihm rechtfertigen. Er hat damit genau das erreicht, was er eigentlich zu verhindern versuchte: Der Verein für eine offene Kirche und andere Menschen haben sich viel stärker engagiert und gemeinsam die Fragen des synodalen Prozesses diskutiert. Zudem konnte das Kirchenvolk die Ergebnisse selbst nach Rom schicken.

«Es braucht einen Brückenbauer, der Frieden in die Diözese bringt.»

Im August 2023 wird Wolfgang Haas 75 Jahre alt. Dann muss er dem Papst seinen Rücktritt anbieten. Wie sollte der künftige Erzbischof von Vaduz sein?

Zulehner: Das Erzbistum Liechtenstein hat man ja nur für Wolfgang Haas erfunden. Vielleicht wird dieses wieder aufgehoben, sodass Liechtenstein in die Diözese Feldkirch oder in ein Schweizer Bistum eingebunden wird. Was aber klar ist: Es braucht für dieses Juwel der Kirche in Liechtenstein einen Mann der Mitte. Es braucht einen Brückenbauer, der Frieden in die Diözese bringt.

Was halten Sie vom Synodalen Weg in Deutschland?

Zulehner: Wenn der Synodale Weg in Deutschland zu Ende ist, dann geht die Synodalisierung der Kirche an die Basis erst los. Das kann man nicht gleichzeitig machen. Ich habe grössten Respekt vor der deutschen Kirche, wie sie den Synodalen Weg geht. Sie verdient jeden theologischen Support. Man muss da nicht so von aussen übermütig kritisieren. Zurufe von aussen sind wenig hilfreich.

Kardinal Kurt Koch an einem Gottesdienst 2021 in Rom.
Kardinal Kurt Koch an einem Gottesdienst 2021 in Rom.

Kurienkardinal Kurt Koch hat den Synodalen Weg sogar mit den «Deutschen Christen» des Nationalsozialismus verglichen.

Zulehner: Das war zu schnellzüngig. Ich bin überzeugt, dass er sich schon etliche Male deswegen auf die Zunge gebissen hat. Heute würde er das sicher nicht mehr so sagen. Wer in solch einer hohen Position ist, braucht eine exzellente Beratung, um nicht in solche Fettnäpfchen zu treten.

Denken Sie, dass er Beratung hatte?

Zulehner: Vermutlich war es ein Alleingang. Er argumentierte leider nicht aus seinem tiefen theologischen Wissen, sondern einfach aus einer Verärgerung heraus. Vielleicht wurde er Opfer einer Unkultur, die es in Rom zu geben scheint, dass der Synodale Weg in Deutschland falsch sei. Das wird den engagierten und Missbrauch-bedrängten Christinnen und Christen in Deutschland nicht gerecht. Die Texte des Synodalen Weges haben eine hohe theologische Qualität. Diese wünsche ich auch dem Synodalen Prozess der gesamten Weltkirche.

Blicken wir in die Schweiz. Kürzlich hat die nun pensionierte Seelsorgerin Monika Schmid bei ihrem Abschiedsgottesdienst konzelebriert. Was denken Sie darüber?

Zulehner: Monika Schmid ist der wohl kommenden Kirchenentwicklung voraus. Diese geht in die Richtung, sich wieder in die Tiefe des biblischen Ursprungs einzugraben und sich von dort heraus auch ökumenisch weiterzuentwickeln. Wenn wir aus der Kraft der verlässlichen Überlieferung des Herrenmahls diese Kernfeier mit den anderen christlichen Kirchen neu gestalten, könnte es in die Richtung dieses Abschiedsgottesdienstes laufen.

«Die Kirche wird morgen viel einfacher sein.»

Der Bischof von Chur, Joseph Maria Bonnemain, hat eine kanonische Voruntersuchung eingeleitet.

Zulehner: Wenn es von der offiziellen Seite Kritik gibt, dann sind sie aus dem jetzigen Rechtsgefüge der Kirche ja legitim. Aber aus der langfristigen Perspektive ein wenig holprig und zu sehr rückwärtsgewandt. Es gilt vielmehr herauszuschälen, was das Ereignis damit prophetisch zeigen will, auch wenn es heute noch unerlaubt erscheint. Mit der Seligen Anna Katharina Emmerick gesprochen: «Die Kirche wird morgen viel einfacher sein.»

Wie gehen Sie mit dem Dilemma um: auf Reformen hoffen – oder einfach machen wie Monika Schmid?

Zulehner: Beides geschieht schon längst. Ein Beispiel sind die von vielen Päpsten völlig verbotenen Ministrantinnen. Viele Gemeinden haben einfach Mädchen zum Ministrantendienst zugelassen. Inzwischen kräht kein Hahn mehr danach.

Ministranten und Ministrantinnen im tamilischen Gottesdienst in Einsiedeln
Ministranten und Ministrantinnen im tamilischen Gottesdienst in Einsiedeln

Ausser in Polen und in Teilen Frankreichs. Selbst in Genf stören sich manche an Ministrantinnen.

Zulehner: Die polnische Kirche hat die postvatikanische Zeit der tiefgreifenden Erneuerung noch vor sich, wie sie in der Zeit des Kommunismus dazu nicht die Kraft hatte. Dieser Prozess wird in Polen in Zukunft ziemlich dynamisch abgehen. Auch den polnischen Bischöfen bleibt es nicht erspart, den Durchgang durch das Feuer der Reform zu machen.

«Wir sind getragen von einer gemeinsamen Sorge um die Welt.»

Was macht Ihnen persönlich Hoffnung?

Zulehner: Meine Hoffnung ist es, dass es uns gelingt, mit Gottes Geist eine Inspiration zu sein für eine bessere Welt. Dass die christlichen Kirchen mit allen Religionen und Menschen guten Willens sich stark machen für Frieden und Gerechtigkeit und für die Wahrung der Schöpfung. Deswegen habe ich zusammen mit dem Theologen und Soziologen Tomáš Halík und der deutschen Politikerin Annette Schavan einen Aufruf mit dem Titel «Religionen – Hoffnung in einer taumelnden Welt» gestartet. An vielen Stellen geschieht schon Einiges – das schenkt mir Hoffnung. Gerade politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger müssen von dieser Hoffnung infiziert werden.

Wann spüren Sie Gott?

Zulehner: Jetzt gerade im Gespräch mit Ihnen. Ich denke, wir sind getragen von einer gemeinsamen Sorge um die taumelnde Welt und die viel zu selbstbezogene Kirche.

* Paul M. Zulehner (82) ist Theologe, Religions- und Werteforscher. Der Priester war bis zu seiner Pensionierung Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien.


Paul M. Zulehner | © Jacqueline Straub
20. Oktober 2022 | 10:12
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