Papst Franziskus und Katholikos Karekin II. begleitet von kirchlichen Würdenträgern
International

Papst Franziskus stösst in Armenien an Grenzen – nicht nur sprachliche

Etschmiadsin, 26.6.16 (kath.ch) Drei Tage war Papst Franziskus in Armenien auf Friedensmission: Versöhnung der Kirchen, Versöhnung der Völker. Es handelte sich, so der Vatikan, nur um die erste Etappe einer Reise, die im September in Aserbaidschan fortgesetzt werden soll. Wie angespannt die Nerven zwischen beiden Staaten sind, zeigten im April die Gefechte an der Grenze zu Berg-Karabach. Die OSZE bemüht sich um Vermittlung und jetzt kam der Papst. Vielleicht zu früh.

Burkhard Jürgens

Der Papst ist Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken und weltpolitisch kein Leichtgewicht. Als solcher ist er in Armenien willkommen. Doch seine religiöse Autorität in diesem Land erstreckt sich nur auf vielleicht 160’000 Gläubige, eine verschwindende Minderheit gegenüber der armenisch-apostolischen Kirche, die faktisch Staatskirche ist. Katholikos Karekin II. und Präsident Sersch Sargsjan liessen bei allen Ehren für ihren Gast keinen Zweifel daran, wer den Ton angibt.

Gastgeber setzten auch ihre Themen

Sie beide begleiteten Franziskus während der drei Tage, beginnend mit dem Gebet zum Auftakt in der Kathedrale des Katholikos in Etschmiadsin und der Rede des Papstes im Präsidentenpalast, dann bei der Ehrung der Opfer der Armenier-Massaker am Mahnmal Zizernakaberd und in der Stadt Gjumri, dem Zentrum der katholischen Minderheit, schliesslich auch noch zum Abschied beim Kloster Khor Virap, der Gedenkstätte des Nationalheiligen Gregor, dem die Nation ihre Christianisierung vor 1700 Jahren verdankt.

Karekin II. und Sargsjan nutzten die Gelegenheiten, ihre Themen zu setzen: Gerechtigkeit, Anerkennung vergangenen Leidens. Acht Mal in zwei Grussworten und einer Rede sprach der Katholikos ausdrücklich vom «armenischen Genozid». Als Franziskus, abweichend vom Redeskript, den Begriff einmal verwendete, applaudierten im Pressezentrum armenische Medienvertreter. Der Staatspräsident lobte Franziskus, dass er das Wort schon früher einmal in den Mund genommen hatte. «Wir wollen nur, dass die Dinge beim Namen genannt werden», sagte Sargsjan. Erst das könne «zwei benachbarte Völker zu echter Versöhnung führen».

Verschiedene Sprachen im doppelten Sinn

Den eindringlichsten Versuch, die Fronten zu öffnen, unternahm Franziskus am Samstagabend bei einem ökumenischen Gebet in Eriwan, dem teilnehmerstärksten Ereignis seiner am Freitag, 24. Juni, begonnenen Reise. Papst und Katholikos sassen auf gebührend entfernten Thronen vor einer Fotokulisse des Berges Ararat, dem Wahrzeichen Armeniens. Man hatte das staatliche Philharmonieorchester aufgeboten, prominent darin zwei Harfen, Himmelsmusik.

Zuerst redete Karekin II. Er begann bei der Friedenshoffnung zu Beginn des Jahrtausends, um über aktuelle Gewalt und Vertreibungen bei den Erfahrungen des armenischen Volks zu landen: Genozid, Landverlust, anderthalb Millionen Märtyrer. Sein Land lebe in einem «nicht erklärten Krieg», um «das Recht der Menschen in Berg-Karabach auf ein Leben in Freiheit» zu schützen. Aserbaidschan bezichtigte er der militärischen Agression. Wie um die Worte zu unterstreichen, zerrte der Abendwind auf dem Platz der Republik an der spitzen schwarzen Kapuze des Katholikos, die den mythischen Berg Ararat symbolisieren soll, auch er unterreichbar auf türkischem Feindesland.

Dann trat Franziskus ans Pult, sprach von Liebe, die die Erinnerung und alte Wunden heilen kann, und vom Mut, starre Überzeugungen aufzugeben. Karekin II. auf seinem Thronsitz hörte unbewegt zu, während Bildschirme zu den Seiten der Bühne die italienische Rede des Papstes auf Armenisch untertitelten, wie zuvor die armenischen Worte des Katholikos in Englisch übersetzt wurden. Für einen Moment wird augenfällig, dass die beiden vielleicht wirklich verschiedene Sprachen sprechen.

Friede, Gerechtigkeit, Vergebung

Vereinzelt gab es Beifall auf dem Platz, etwa als Franziskus Armenier und Türken zu Versöhnung aufrief oder zu Frieden in Berg-Karabach. Einmal verglich er die Leiden des armenischen Volks mit den Wunden Christi. Weiter kann auch kein Papst gehen. Selbst der grösste Schmerz, sagt er, könne durch Liebe zur Quelle der Vergebung und des Friedens werden. Karekin II. sagt: «Es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben.» Gerechtigkeit gegen Vergebung. Wort gegen Wort. (cic)

«Zeugen einer ungeheuren Tragödie» – Gemeinsame Erklärung von Papst und Katholikos

Ansprache des Heiligen Vaters bei der Ökumenischen Begegnung

Papst Franziskus und Katholikos Karekin II. begleitet von kirchlichen Würdenträgern | © 2016 Keystone
26. Juni 2016 | 15:13
Lesezeit: ca. 2 Min.
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«Genozid»-Aussage sorgt für Ärger

Papst Franziskus hat mit der Bezeichnung der Armenier-Massaker 1915 als «Genozid» harsche Kritik seitens der Türkei ausgelöst. Vize-Ministerpräsident Nurettin Canikli nannte die Äusserung am Samstagabend, 25. Juni, laut Medienberichten «sehr unglücklich» und sprach von einer «Kreuzzugmentalität». Vatikansprecher Federico Lombardi wies dies umgehend zurück. «Der Papst versucht nicht Kriege zu organisieren, sondern Frieden zu schaffen», sagte Lombardi am Sonntag vor Journalisten in Etschmiadzin.

Dem Papst gehe es darum, «Brücken zu bauen und keine Mauern», so der Vatikansprecher weiter. Franziskus habe auch «nichts gegen das türkische Volk gesagt», sondern im Gegenteil zu Versöhnung zwischen Armeniern und Türken aufgerufen.

Der Papst hatte zu Beginn seines Armenienbesuchs am Freitagabend im Präsidentenpalast von Eriwan mit Bezug auf die Vertreibungen und Ermordungen von 1915 von einer «Tragödie» gesprochen, die eine Reihe von Gräueltaten des 20. Jahrhunderts eröffnet habe. Abweichend vom Redeskript fügte er das Wort «Genozid» ein. Armenische und türkische Medien griffen die Nachricht lebhaft auf. (cic)