Papst Franziskus schreibt dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx.
Kommentar

Papst Franziskus sollte Marx' Rücktrittsangebot ablehnen

Der Münchner Kardinal Marx zeigt eine Grösse, die sein Kölner Kollege Woelki nie hatte. Marx ist bereit, politisch und moralisch Verantwortung zu übernehmen – für das Versagen der Kirche. Damit schreibt er Geschichte – ohne selbst Geschichte zu werden.

Raphael Rauch

Ein Gang nach Canossa ist schmerzhaft – aber manchmal der letzte Ausweg. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hatte akut keinen Grund, nach Canossa zu gehen – und wählte trotzdem das Büsserhemd. «Aufarbeitung muss wehtun», sagt der Kardinal dazu.

Warum hält Marx ein Gutachten unter Verschluss?

Wer die kritische Berichterstattung von Medien geisselt, sollte die persönliche Erklärung des Kardinals genauer studieren. Nicht die Gespräche mit Priestern, Bischöfen und Kardinälen haben Marx nachdenklich gemacht, sondern die Frage eines US-Journalisten und einer deutschen Journalistin.

Kardinal Reinhard Marx (links) und Bischof Felix Gmür 2019 in Paris.
Kardinal Reinhard Marx (links) und Bischof Felix Gmür 2019 in Paris.

Natürlich hat auch Reinhard Marx Fehler gemacht. Warum er ein Missbrauchs-Gutachten aus dem Jahr 2010 unter Verschluss hält, ist unverständlich. Damit hat er, wie der Kardinal nun eingesteht, «negative Formen des Klerikalismus» und «die falsche Sorge um den Ruf der Institution Kirche» gefördert. Unklar ist auch, wieviel Marx wann wie viel von Missbrauchsfällen gewusst hat – und wie konsequent er handelte.

Marx ist nicht amtsmüde

Und trotzdem: Ein Rücktrittsangebot ist noch kein Rücktritt. Papst Franziskus hätte gute Gründe, um Marx’ Demissionsgesuch abzulehnen.

Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, bei einem Pressestatement zu seinem Rücktrittsangebot an den Papst am 4. Juni 2021 in München.
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, bei einem Pressestatement zu seinem Rücktrittsangebot an den Papst am 4. Juni 2021 in München.

Erstens: Marx ist nicht amtsmüde. Das Schwergewicht des deutschen Katholizismus ist nach wie vor motiviert. Er kündigt an, weiter aktiv der Kirche dienen zu wollen. Marx hat, anders als Kardinal Woelki, auch kein zerrüttetes Bistum vor sich, sondern eine weitgehend harmonische Diözese.

Marx gewinnt gegen Woelki

Zweitens: Marx geht aus dem Duell mit seinem Kölner Widersacher Woelki gestärkt hervor. Was Robin Alexander über den CDU-Mann Laschet schreibt, trifft auch auf Kardinal Woelki zu: Woelki trabt «oft nicht nur hinter den Schlagzeilen her, sondern auch hinter den Ereignissen selbst. In der Sprache des Krisenmanagements ausgedrückt: (Woelki) tut sich schwer damit, vor die Lage zu kommen.» Einfach ausgedrückt: Marx handelt, Woelki laviert.

Kardinal Rainer Maria Woelki im Kölner Dom.
Kardinal Rainer Maria Woelki im Kölner Dom.

Drittens: Papst Franziskus hat Kardinal Marx gestattet, das vertrauliche Schreiben zum Rücktrittsgesuch zu veröffentlichen. Damit heisst Franziskus Marx’ Argumentation gut und billigt sie, zumindest stillschweigend.

Die Zukunft der Kirche liegt nicht in der Vergangenheit

Viertens: Marx hat sein Schreiben am 21. Mai 2021 verfasst. Am selben Tag erschien die Ankündigung von Kardinal Grech zum weltweiten Synodalen Prozess. Das mag Zufall sein. Und doch verdichtet sich an diesem 21. Mai, wo die Zukunft der Zukunft liegt.

Papst Franziskus trifft Kardinal Reinhard Marx am 3. Februar 2020 im Vatikan.
Papst Franziskus trifft Kardinal Reinhard Marx am 3. Februar 2020 im Vatikan.

Und zwar nicht bei den Traditionalisten und Nostalgikern, sondern bei jenen, die den Ernst der Stunde erkennen und neue Formen von Kirche sein suchen. Nicht bei denen, die behaupten, ein Generalabo in Sachen Wahrheit und Katholizität zu besitzen – sondern bei jenen, die die Unterscheidung der Geister wagen.

Rückenwind und Procura für den Synodalen Weg

Kardinal Marx gehört mit dem Synodalen Weg in Deutschland zur kirchenpolitischen Avantgarde – und wurde so zur Zielscheibe der Ewiggestrigen aus Chur (Eleganti), Kasachstan (Schneider) und vor allem des rechtspopulistischen US-Katholizismus. Mögen Viganò und andere Dubia-Kardinäle schäumen: Die Sehnsucht nach Vergangenheit weist der Kirche nicht den Weg in die Zukunft.

Kardinal Reinhard Marx
Kardinal Reinhard Marx

Rechtspopulistische US-Kardinäle instrumentalisieren den deutschen Synodalen Weg und Kardinal Marx, um gegen Papst Franziskus Stimmung zu machen. Dieser könnte nun den Spiess umdrehen, sich demonstrativ vor Marx stellen – und ihm Rückenwind geben für den synodalen Prozess – in Deutschland und auf der ganzen Welt. Statt zurückzutreten hätte Marx Rückhalt und Procura.

Der Gang nach Canossa lohnt sich

Im Mittelalter hatte sich für den Kaiser der Gang nach Canossa gelohnt. Der Papst gab ihm eine neue Chance. So manches spricht dafür, dass Marx zwar heute Geschichte schreibt, aber selbst noch nicht Geschichte ist.

Wenn Papst Franziskus selbst den Rücktritt fragwürdiger Bischöfe in Chile ablehnt, wäre er sehr schlecht beraten, dem Rücktritt einer seiner fähigsten Kardinäle zuzustimmen.


Papst Franziskus schreibt dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. | © Peter Esser
4. Juni 2021 | 18:41
Lesezeit: ca. 3 Min.
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