Der Moment der Wahrheit, als die Bombe gezündet wird.
Religion anders

Oppenheimer: Ein Prophet, der sich verschätzte

Christopher Nolan’s Film über den US-Physiker und «Vater der Atombombe» Julius Robert Oppenheimer schlägt derzeit alle Rekorde – zusammen mit Greta Gerwig’s «Barbie». Der Film «Oppenheimer» sorgt auch in der Schweiz für ein regelrechtes Revival des Kinos. Das Biopic ist aufgrund seiner visuell wuchtigen Bilder, seines Staraufgebots und seiner komplexen Struktur ein sicherer Anwärter für die Oscars. Und sagt viel über Religion, Ethik und Moral.

Sarah Stutte

Der Film «Oppenheimer» lehnt sich dabei eng an die 2005 erschienene und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Biografie «American Prometheus» an. Diese wurde von Kai Bird und Martin J. Sherwin über einen Zeitraum von 25 Jahren verfasst. Erzählt wird die Geschichte von J. Robert Oppenheimer, die in seiner Studienzeit beginnt.

Schon dort kristallisiert sich heraus, dass Oppenheimer weniger der experimentierfreudige Laborant sondern viel mehr der brillante Theoretiker ist. Er widmet sich fortan der Quantenphysik. Er trifft sich später mit anderen wichtigen Wegbereitern seiner Zunft, unter anderem auch Albert Einstein.

Vater der Atombombe

Ab 1942 wird Oppenheimer Leiter des Manhattan-Projekts, einer streng geheimen militärischen Forschungsstation in der Wüste von New Mexico. Hier entwickelt er, zusammen mit einem Team aus führenden Chemikern und Physikern des Landes die weltweit ersten beiden Atombomben.

Diese werden wenig später von den Amerikanern, nach der bedingungslosen Kapitulation von Nazi-Deutschland, über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Auch Japan wird damit zur Kampfaufgabe gezwungen. Ersten Schätzungen zufolge forderten die ersten beiden Atombomben insgesamt 120’000 Menschenleben; direkt nach den Einschlägen.

Christopher Nolan (Mitte) und seine Hauptdarsteller Emily Blunt und Cillian Murphy.
Christopher Nolan (Mitte) und seine Hauptdarsteller Emily Blunt und Cillian Murphy.

Weitere 340’000 Menschen starben in Japan bis zum Jahr 1950 an den Spätfolgen der Strahlung und ihren Verbrennungen. Doch die Opferzahlen beider Bombenabwürfe sind bis heute umstritten und liegen vermutlich weitaus höher.

Oppenheimer, das wird in Nolan’s Film deutlich, engagiert sich in der Entwicklung der Bombe, um den Deutschen zuvorzukommen. Als Jude will er verhindern, dass die Nazis diese Waffe zuerst bauen. Sie forschen ebenfalls zu dieser Zeit im Bereich der Atomenergie.

Es steht viel auf dem Spiel

Oppenheimer ist überzeugt davon, dass die Deutschen mit einer solchen Bombe «das jüdische Volk vollständig ausrotten», wie es in einer Szene des Films heisst. Seine Motivation ist also in erster Linie eine Überlebensstrategie – nichts anderes als die Existenz des Westens steht auf dem Spiel.

Robert Oppenheimer wird als Held gefeiert.
Robert Oppenheimer wird als Held gefeiert.

Das moralische Dilemma, die Verantwortung für den millionenfachen Tod einer anderen Bevölkerungsgruppe zu tragen, stellt Christopher Nolan in seinem Werk klar heraus. Später versucht der Physiker Oppenheimer öffentlich und lautstark auf die Risiken der Atomforschung hinzuweisen und spricht sich gegen die Entwicklung einer Wasserstoffbombe aus. So lange, bis ihm der Mund verboten wird.

Dies geschieht 1954, mitten in der von Hysterie und Verschwörungstheorien geprägten McCarthy-Ära. In einer geheimen Anhörung der Atomenergiekommission (AEC). Dort wird er ohne konkrete Beweise beschuldigt, ein Sympathisant der Kommunisten zu sein. Hinter der Verleumdungskampagne stehen die Befürworter der Wasserstoffbombe.

Erst Held, dann Aussenseiter

Als direkte Folge daraus entzieht die AEC Oppenheimer dessen Sicherheitsgenehmigung. Dadurch hat dieser keinen Zugang mehr zu geheimen militärischen Informationen. Mit diesem Reputationsverlust hadert der einstige amerikanische Held Zeit seines restlichen Lebens.

Der Film wirft viele moralisch-ethische Gedanken auf und geht auch der drängendsten Frage nach, die im Zentrum von Oppenheimers Vermächtnis steht. Hätte Amerika die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwerfen sollen? War die Bombe wirklich notwendig, um Japan zu besiegen? Schliesslich glaubte niemand, dass die Japaner ein geheimes Bombenprogramm hatten.

Treffen unter Physikern: Albert Einstein und Robert Oppenheimer
Treffen unter Physikern: Albert Einstein und Robert Oppenheimer

Doch Oppenheimer war davon überzeugt, dass der Abwurf der Bombe ein für allemal zum Ende aller Kriege führen würde. Dafür sollte die Atombombe als Errungenschaft mitsamt ihrer zerstörerischen Kraft der Welt offenbart werden. Davon erhoffte sich der Physiker eine dadurch ausgelöste Revolution des Volkes, die das politische System zu Fall bringen und den Frieden für immer bewahren würde.

Schwang in dieser Überzeugung nicht zu viel Kalkül und zu wenig Mitgefühl mit? Sicher auch etwas Naivität? Möglich. Die Vorstellung, dass der Tod unschuldiger japanischer Zivilisten durch atomaren Beschuss nur als Mittel zum Zweck herhalten muss, ist natürlich moralisch verwerflich. Doch letztendlich war Robert Oppenheimer selbst nur ein Opfer, ein Spielball der Machenschaften von Regierungen.

Der fortschrittliche Jude

Der Wissenschaftler war sich dessen sehr wohl bewusst und musste deshalb an seiner Überzeugung festhalten, dass am Ende noch etwas Gutes aus dem Grauen gebiert. Nicht nur als Rechtfertigung vor sich selbst, um das Projekt bis zum Ende durchziehen zu können, sondern auch für seinen eigenen Seelenfrieden.

Oppenheimer, gespielt vom irischen Schauspieler Cillian Murphy, hatte eine typisch amerikanische Erfolgsgeschichte. Er wurde 1904 in New York City als Sohn eines jüdischen Immigranten und Selfmade-Geschäftsmannes und einer jüdischen Künstlerin geboren. Seine Eltern erzogen ihn in der «Ethical Culture Society», einer säkularen jüdischen Gemeinschaft, die sich fortschrittlichen Werten und sozialer Gerechtigkeit verschrieb.

Oppenheimer und seine Bombe
Oppenheimer und seine Bombe

Deshalb waren sein Leben und Denken, obwohl er nicht konventionell religiös war, trotzdem von einem religiösen und ethischen Geist durchdrungen. Dieser prägte seinen Charakter als Erwachsener und beeinflusste seine Sicht der Welt nachhaltig. J. Robert Oppenheimer wurde liberal ausgebildet, beherrschte alte und moderne Sprachen und war in der europäischen Literatur und Poesie sehr belesen.

Seine wahre Begabung lag jedoch in der theoretischen Physik. Im Alter von 25 Jahren hatte er sein Studium in Harvard abgeschlossen und in Göttingen promoviert. Zudem war er auf dem besten Weg, an der Berkeley Universität eines der weltweit führenden akademischen Programme in Physik aufzubauen.

Quantenphysik auf dem Vormarsch

Dem Film gelingt es gut, die Dramatik der theoretischen Physik in den 1920er- und 30er-Jahren darzulegen. Es war eine berauschende Zeit für dieses Forschungsgebiet, das in diesen Jahren eine wissenschaftliche Revolution erlebte. Physiker wie Niels Bohr hatten gezeigt, dass die klassische Mechanik die auf der Quantenebene beobachteten Phänomene nicht erklären konnte. Doch der Film deutet Oppenheimers religiös anmutenden Glauben an die neue Wissenschaft der Quantenphysik nur an.

Als ein Freund den jungen Oppenheimer über seine eigenen religiösen Überzeugungen befragt, insbesondere darüber, ob er an Gott glaube, antwortet er: «Ich glaube an den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, an den Hamilton-Satz, an Bertrand Russell». Später war Oppenheimer dafür bekannt, dass er sagte, Niels Bohr sei «sein Gott». In Berkeley glaubten seine Studenten, dass Bohrs Atomtheorie und die Beschreibung der Natur die Bibel sei, Bohr sei Gott und Oppenheimer sein Prophet.

Oppenheimers Vorbild Niels Bohr (rechts, im Film gespielt von Kenneth Branagh).
Oppenheimers Vorbild Niels Bohr (rechts, im Film gespielt von Kenneth Branagh).

Ein Prophet war Oppenheimer aber nur bedingt. Zwar behielt er Recht damit, dass die atomare Revolution das Verhältnis des Menschen zur Natur für immer veränderte. Er täuschte sich aber in seinem Glauben, dass die atomare Revolution die menschliche Natur grundlegend verändern würde.

Die Bereitschaft zum Kampf ist ein unveränderliches Merkmal der menschlichen Natur. Sie begründet den Patriotismus und das Streben nach Macht. Das Potenzial für Krieg, Korruption und Tyrannei ist im Menschen deshalb stets vorhanden. Für Oppenheimer war diese Erkenntnis schmerzhaft.

Pflichtbewusster Wissenschaftler

Er lernte Sanskrit zu lesen, nur um die «Bhagavad Gita» verstehen zu können – eine der wichtigsten heiligen Schriften im Hinduismus. Darin sah Oppenheimer eine nützliche Philosophie, um sein Leben zu strukturieren und seinem Handeln Sinn zu geben. Im Mittelpunkt der 700 Verse umfassenden Hindu-Schrift steht ein Krieger, der unentschlossen ist, ob er in den Kampf ziehen soll. Am Ende tut er es, weil er darin seine Pflicht sieht. Auch Oppenheimer tat, was er als seine pflichtbewusste Aufgabe sah.

Atombombentests in der Wüste von New Mexico
Atombombentests in der Wüste von New Mexico

Doch der Hinduismus lehrt, dass alles in der Hand des Göttlichen liegt, die Schöpfung genau wie die Zerstörung. Und dass es keinen Tod gibt, sondern nur ein Bewusstsein. Deshalb mag für den Krieger die Gleichgültigkeit gegenüber dem Krieg vergleichsweise einfach gewesen sein. Er glaubte, dass die Seelen seiner Gegner trotzdem weiterleben würden. Oppenheimer jedoch spürte die Folgen der Atombombe sehr deutlich. Auch deshalb, weil er die Idee einer unsterblichen Seele als vernunftbasierter Wissenschaftler nicht akzeptieren konnte.

Am 6. August ist der Hiroshima-Gedenktag – an diesem Tag im Jahr 1945 warfen die US-Amerikaner die erste Atombombe auf die japanische Stadt ab. (sas)


Der Moment der Wahrheit, als die Bombe gezündet wird. | © Universal Pictures International Switzerland
5. August 2023 | 10:00
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