Papst Franziskus spricht am Fenster des Apostolischen Palastes beim Angelus-Gebet.
Schweiz

Offener Brief an Papst: Juden warten auf Antwort nach Hamas-Massaker

Offizielle Reaktionen der katholischen Kirche auf den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober sorgten immer wieder für Kritik. Jetzt haben Hunderte Juden einen Offenen Brief an den Papst gerichtet. Mit klaren Worten. Zu den Erstunterzeichnern zählt ein Rabbiner aus Bern – Jehoschua Ahrens.

Leticia Witte

Rabbiner Jehoschua Ahrens wartet auf eine Reaktion. Vom 12. November datiert ein Offener Brief an Papst Franziskus und die Gläubigen der katholischen Kirche – vor dem Hintergrund des Massakers der Hamas mit etwa 1200 Toten und der Gegenschläge Israels im Gazastreifen.

Jehoschua Ahrens, Rabbiner
Jehoschua Ahrens, Rabbiner

Ahrens ist einer der Erstunterzeichner dieses Briefes, den nach seinen Angaben rund 400 Jüdinnen und Juden aus mehreren Ländern unterschrieben haben. Sie seien wie er selbst im jüdisch-christlichen Dialog engagiert, sagt der in Bern tätige Rabbiner, der vorher auch in Düsseldorf und Darmstadt gearbeitet hat.

Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft

Ihr Wunsch: Klartext der katholischen Kirche zum Terror der Hamas vom 7. Oktober. Denn dieser Angriff sei der Auslöser für das militärische Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen gewesen, in dem die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutze, betont Ahrens.

Umstrittener Slogan: Transparent an der propalästinensischen Nahost-Demonstration in St. Gallen.
Umstrittener Slogan: Transparent an der propalästinensischen Nahost-Demonstration in St. Gallen.

Auch fordert der Brief Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft weltweit angesichts von massiv gestiegenem Antisemitismus. In ihrem Schreiben verweisen die Unterzeichnenden mehrfach auf die wegweisende Erklärung «Nostra aetate» (1965) im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils: Mit einer klaren Absage an den traditionellen Antijudaismus begann eine Aussöhnung der Kirche mit dem Judentum. Das Dokument unterstreicht dabei vor allem das Verbindende.

Antwort von Kurt Koch denkbar

Ahrens fragt sich, wann und ob aus dem Vatikan eine Antwort zu erwarten sein wird. Denkbar wäre aus seiner Sicht ebenfalls ein Offener Brief oder auch eine Reaktion von Kurienkardinal Kurt Koch, dem Präsidenten der vatikanischen Kommission für die Beziehungen zum Judentum. «Es hätte auch gereicht, sich nicht hinter Floskeln zu verstecken und stattdessen Ross und Reiter zu benennen», so Ahrens.

«Wir teilen auch die Trauer der Kirche um palästinensische Zivilisten.»

Aus dem Brief an den Papst

In dem Offenen Brief drücken die Unterzeichnenden ihre Anerkennung dafür aus, dass der Papst sowie einige Kardinäle und Bischöfe bekräftigt hätten, dass sie Antisemitismus ablehnten und Israel ein Recht auf Selbstverteidigung habe. «Wir teilen auch die Trauer der Kirche um palästinensische Zivilisten, die gegen ihren Willen unter die Herrschaft der Hamas gerieten und in Folge des Krieges getötet wurden, ohne ein Verbrechen begangen zu haben.»

Kirche als «Leuchtfeuer moralischer Klarheit»

Es sei zu verstehen, «dass die Kirche aufgrund diplomatischer Erwägungen versucht, politische Neutralität gegenüber dem Krieg im Nahen Osten zu wahren, an dem so viele Mächte beteiligt sind», heisst es weiter. Aber: «80 Jahre nach dem Holocaust sind die Bedrohungen, denen die Juden ausgesetzt sind, erneut wahrhaftig und eindeutig existenziell.»

Die Terrorgruppe Hamas erschoss zahlreiche Besucherinnen und Besucher eines Festivals.
Die Terrorgruppe Hamas erschoss zahlreiche Besucherinnen und Besucher eines Festivals.

Die Unterzeichnenden bitten die katholische Kirche unter anderem, «das terroristische Massaker der Hamas, das darauf abzielt, so viele Zivilisten wie möglich zu töten, unmissverständlich zu verurteilen und dieses Massaker von den zivilen Opfern des israelischen Selbstverteidigungskrieges zu unterscheiden, so tragisch und herzzerreissend sie auch sind». Auch solle die Kirche «als Leuchtfeuer moralischer und konzeptioneller Klarheit inmitten eines Ozeans von Desinformation, Verzerrung und Täuschung» wirken.

Hat der Papst das Wort «Genozid» benutzt?

Man habe sich mit einem Offenen Brief an den Papst gewandt, weil er als Oberhaupt der katholischen Kirche grossen Einfluss auf Gläubige weltweit habe, sagt Rabbiner Ahrens. Aufmerksam verfolgt auch er den jüngsten Eklat, bei dem die Frage im Raum steht, ob der Papst das Wort «Genozid» in Zusammenhang mit den Bombardements auf Gaza benutzt hat oder nicht.

Die Teilnehmenden eines Treffens mit Franziskus hatten dies am Mittwoch behauptet. Zuvor hatte er Angehörige von Palästinensern aus dem Gazastreifen getroffen. Als sie mit ihm über die Lage vor Ort sprachen, soll er angesichts der vielen Toten gesagt haben: «Ich sehe den Genozid.» Vatikansprecher Matteo Bruni sagte später, ihm sei nicht bekannt, dass der Papst dieses Wort verwandt habe.

Italienische Rabbiner stellen kritische Fragen

Einen Tag später meldete sich der Rat der italienischen Rabbinerversammlung zu Wort. Das Gremium stiess sich unter anderem an einer Formulierung des Papstes zu «Terrorismus», die offen liess, ob er beide Kriegsparteien oder eine von ihnen meinte. Die Rabbiner fragten sich, was der jahrzehntelange jüdisch-christliche Dialog gebracht habe, wenn man zwar von Freundschaft und Brüderlichkeit spreche, dann aber «mit diplomatischer Akrobatik, Balanceakten und eisiger Gleichmacherei» reagiere, sobald es «jene gibt, die versuchen, die Juden auszurotten». Das sei nicht fair.

Die Unterzeichnenden des Offenen Briefes jedenfalls betonen darin ein «völkermörderisches Verbrechen» der Hamas – ein «regelrechtes Pogrom, von dem wir alle hofften, dass es nicht mehr möglich sei». (kna)


Papst Franziskus spricht am Fenster des Apostolischen Palastes beim Angelus-Gebet. | © KNA
27. November 2023 | 06:00
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