Noemi Honegger.
Schweiz

Noemi Honegger: «Mich empört manchmal, was auf dem Finanzplatz Schweiz passiert»

Die Luzerner Doktorandin Noemi Honegger (31) nimmt in Assisi an der Fachtagung «Economy of Francesco» teil. Sie setzt sich für eine nachhaltige Wirtschaft ein: «Die Finanzwirtschaft hat das Potential, die Welt zu verändern.»

Regula Pfeifer

Danke, dass Sie vorgeschlagen haben, über Ihre Teilnahme am Treffen «Economy of Francesco» zu berichten!

Noemi Honegger*: Ich habe mich bei Ihnen gemeldet, weil das zum Spirit dieses Events gehört. Es ist erwünscht, dass auf der ganzen Welt über eine Ökonomie diskutiert wird, die den Menschen dient. Deshalb wollte ich mich diesbezüglich engagieren.

Weshalb machen Sie bei «Economy of Francesco» mit?

Honegger: Der Event war schon im Herbst 2019 ausgeschrieben. Damals war ich etwa seit einem Jahr am Institut für Sozialethik an der Universität Luzern als Doktorandin engagiert. Ich promoviere zu einem finanzethischen Thema. Als ich von diesem Event erfuhr, fand ich: Da will ich mit den Themen, die mich interessieren, unbedingt hingehen.

Noemi Honegger am Event "Economy of Francesco" in Assisi.
Noemi Honegger am Event "Economy of Francesco" in Assisi.

Weshalb?

Honegger: Weil es die Möglichkeit bietet, Menschen aus der ganzen Welt kennen zu lernen, die auf dem Weg sind hin zu anderen Wirtschaftsmodellen und einer veränderten Wirtschaft. Ich fand, es wäre für mich bereichernd, an diesem Austausch teilzuhaben. Und das hat sich bestätigt.

«Wir sind seit 2019 in Kontakt und diskutieren miteinander.»

Inwiefern?

Honegger: Seit 2019 hat sich viel bewegt. Der erste und der zweite Termin für diesen Anlass konnten pandemiebedingt nicht vor Ort stattfinden. Doch es bildete sich ein globales Netzwerk. Wir sind in «Villages» organisiert, ich in jenem zu «Finance and Humanity». Wir stehen seit 2019 in Kontakt und diskutieren miteinander. Dass wir uns hier in Assisi treffen können, ist ein erster Höhepunkt.

"The Economy of Francesco" wird eröffnet.
"The Economy of Francesco" wird eröffnet.

Was wollen Sie einbringen?

Honegger: Mir ist wichtig, den Stellenwert der Wirtschaft insgesamt für unsere Gesellschaft und jeden Einzelnen von uns aufzuzeigen. Lebensnotwendige Güter – Nahrung, Kleidung und vieles mehr – werden den Menschen durch wirtschaftliches Handeln bereitgestellt und zugänglich gemacht. Das gilt auch für Vieles, was über das pure Überleben hinausgeht und doch für ein gutes Leben wichtig ist, etwa Kultur und Kunst. Wirtschaftliches Handeln ist grundsätzlich etwas Positives. Allerdings muss es so ausgerichtet sein, dass es diese positiven Effekte für alle Menschen hat. Und das gilt auch für die Finanzwirtschaft.

«Finanzwirtschaft ermöglicht Vieles.»

Wie soll sich die Finanzbranche verändern?

Honegger: Die Finanzwirtschaft muss sich auf ihr Veränderungspotential besinnen. Sie ermöglicht Vieles. Zum Beispiel kann sie Kapital bereitstellen für Menschen mit guten Ideen, denen gegenwärtig aber das Kapital fehlt. Finanzwirtschaft ermöglicht ausserdem, Ersparnisse für die Zukunft zu bilden. Risiken können auf viele verteilt und damit tragbar gemacht werden. Finanzwirtschaft wirkt also grundsätzlich stärkend.

Inwiefern wirkt sie stärkend?

Honegger: Da möchte ich die Aussage einer NGO erwähnen, die in der nuklearen Abrüstung tätig ist. Am Online-Event von «Economy of Francesco» von 2020 berichtete sie, dass grosse Rüstungskonzerne inzwischen darauf verzichten, nukleare Waffen zu produzieren. Sonst sprängen ihnen die Investoren ab. Die Finanzwirtschaft hat also die Macht, Entscheidungen zu beeinflussen. Mitzubestimmen, welche Güter produziert, verkauft und konsumiert werden.

«Vor allem reiche Menschen profitieren. Das ist ein Problem.»

Wo sehen Sie Defizite?

Honegger: Die Finanzwirtschaft generiert heute auch mit spekulativen Finanzprodukten grosse Einkommen. Gewisse Formen von Spekulation bergen eine Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität. Risiken werden unterschätzt, was grossen Schaden anrichten kann. Das haben wir nicht zuletzt bei der Finanzkrise von 2007/2008 gesehen. Zudem profitieren vor allem reiche Menschen von diesen Einkommen. Die Ungleichheit vergrössert sich deshalb. Das ist ein Problem.

Das Publikum am Event "Economy of Francesco"
Das Publikum am Event "Economy of Francesco"

«Finanzwirtschaft könnte den Ausstieg aus fossilen Energien beschleunigen.»

Wofür plädieren Sie?

Honegger: Das Veränderungspotential der Finanzwirtschaft sollte stärker genutzt werden. Die Finanzwirtschaft hat das Potential, unsere Welt zu verändern. Das könnte sie zum Beispiel verstärkt nutzen, um den Ausstieg aus fossilen Energien zu beschleunigen und der Klimakatastrophe entgegenzuwirken.

«Alles ist miteinander verbunden. Das entspricht dem franziskanischen Geist.»

Was hat Ihr Ansatz mit den Ideen des Heiligen Franziskus zu tun?

Honegger: Finanzwirtschaft ist nicht isoliert zu betrachten. Sie ist nicht getrennt von Menschen, Tieren und der Natur. Alles ist miteinander verbunden. Und dieser Verbindung muss man gerecht werden. Das entspricht dem franziskanischen Geist. Wenn ein Bewusstsein entsteht, dass es globale Ungleichheiten gibt und diese durch Finanzaktivitäten verstärkt werden, dann hat das etwas Franziskanisches. Ebenso der Blick auf die Benachteiligten in diesem System.

Junge Ökonominnen engagiert am "Economy of Francesco".
Junge Ökonominnen engagiert am "Economy of Francesco".

Fühlen Sie sich als Schweizerin besonders verpflichtet, den Finanzaspekt in Assisi einzubringen – angesichts unseres Finanzplatzes?

Honegger: Ich fühle mich nicht unbedingt verpflichtet. Aber als Schweizerin bin ich involviert, animiert, manchmal empört über das, was in nächster Umgebung passiert. Dadurch bringe ich eine besondere Affinität zur Auseinandersetzung mit dem Finanzplatz mit.

«Der Event soll Aufbruch sein zu tatkräftigem Handeln.»

Was erwarten Sie von dieser Tagung?

Honegger: Es hat sich bereits Einiges getan in den letzten zwei Jahren: Ein Netzwerk ist entstanden. Wir haben uns ausgetauscht, diskutiert, inspiriert. Doch die Organisatoren sagen klar: Wir befinden uns erst am Anfang. Für mich soll dieser Event ein Aufbruch sein hin nicht nur zu Diskussionen, sondern auch zu tatkräftigem Handeln.   

* Noemi Honegger (31) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Sozialethik (ISE) der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Sie forscht zum Verhältnis von Real- und Finanzwirtschaft aus ethischer Sicht. Zuvor hat sie in Freiburg i.Ü. Theologie und Volkswirtschaft studiert und zwei Jahre bei Fastenaktion gearbeitet.


Noemi Honegger. | © Unilu
23. September 2022 | 11:42
Lesezeit: ca. 3 Min.
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