Die Fotografin Elisabeth Real hat Wendelin Bucheli für ihr Buch "The Lesbian Lives Project" begleitet: lesbianlivesproject.com.
Schweiz

Neuer Blick auf die Segnung des lesbischen Paares in Bürglen

Bürglen UR/Zürich, 14.8.18 (kath.ch) Wochenlang machte das Thema Anfang 2015 Schlagzeilen: Wendelin Bucheli, Pfarrer von Bürglen, hatte ein lesbisches Paar gesegnet. Der Churer Bischof Vitus Huonder verlangte die Demission. Später kam es zur Einigung. In einem Fotoband über lesbisches Leben in der Schweiz schildern Bucheli und die beiden Frauen die Geschichte aus ihrer Sicht. Im Interview erzählt die Autorin und Fotografin Elisabeth Real, welche Lücken das Buch aus ihrer Sicht füllt.

Sylvia Stam

Wie sind Sie auf Wendelin Bucheli und das lesbische Paar aus Bürglen gekommen?

Elisabeth Real: Religion ist ein sehr persönliches Thema, gleichzeitig hat es gesellschaftlich Relevanz. Was die katholische Kirche zum Thema Homosexualität sagt, bewegt die Medien immer wieder. Das hat sogar eine politische Komponente. Mich hat diese Schnittstelle interessiert: Etwas so Privates wie die Verbindung dieser zwei Frauen und ihre religiösen Gefühle wurde zu einem öffentlich diskutierten Thema.

«Mein Buch versucht, Lücken zu füllen.»

Ausserdem blieben bei mir aufgrund der Medienberichte viele Fragen zurück. In meinem Buch versuche ich, diese Lücken zu füllen.

Welche Fragen blieben bei Ihnen offen?

Real: Wer sind diese beiden Frauen und warum wollten sie eine solche Segnung? Ich stellte mir ein älteres, streng religiöses lesbisches Paar vor (lacht). Ich war sehr positiv überrascht, als ich merkte, dass die beiden einen gesunden, bodenständigen Glauben haben und keineswegs fundamentalistisch unterwegs sind.

Die Bevölkerung von Bürglen war für mich auch eine Lücke. Ich bin konfessionslos aufgewachsen und habe keinen Bezug zur Kirche. Mich hat beeindruckt, dass die katholische Kirche im Leben von so vielen Bürglerinnen und Bürglern einen hohen Stellenwert hat und wie gut das lesbische Paar in dieser Dorfgemeinschaft aufgehoben ist.

«Das lesbische Paar ist in dieser Dorfgemeinschaft gut aufgehoben.»

Auch wollte ich mehr wissen über Bischof Vitus Huonder und die Art, wie er mit seinen Angestellten kommuniziert.

Haben Sie Antworten bekommen auf diese Fragen?

Real: Ja. Bucheli beschreibt, wie das Gespräch mit Vitus Huonder aus seiner Sicht abgelaufen ist. Er hatte den Eindruck, der Bischof sei quasi in seiner eigenen Welt gewesen und habe ihn im Gespräch nicht angeschaut.*

Für mich ist auch klarer geworden, wer dieser Wendelin Bucheli ist, wie er aufgewachsen ist, was für Gedanken er sich machte, ehe er die Segnung durchführte. Ich weiss jetzt auch, warum er überhaupt aus dem Bistum Lausanne, Genf, Freiburg nach Bürglen kam.

Der Bischof von Chur kommt im Buch nicht selber zu Wort. Weshalb nicht?

Real: Ich hätte sehr gern ein Gespräch mit Bischof Huonder oder mit seinem Sprecher geführt. Auf meine Anfrage kam die Antwort, sie würden zu diesem Thema nichts sagen. Der Antwort war ein pdf-Dokument angehängt, das die Haltung der Schweizer Bischofskonferenz zur Segnung Homosexueller enthielt.*

Angenommen, Chur wäre zu einem Gespräch bereit gewesen. Hätten Sie diese Sicht der Dinge auch publiziert?

Real: Auf jeden Fall! Je mehr Stimmen in einer Geschichte zu Wort kommen, umso runder und differenzierter wird sie. Ich glaube, das Bistum Chur wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer giessen. Es geriet durch diese Geschichte negativ in die Schlagzeilen.

Auch Bucheli und die beiden Frauen waren sehr zurückhaltend im Umgang mit Medien. Ihnen haben sie freimütig die ganze Geschichte erzählt. Wie war das möglich?

Real: Ein Buch ist nichts Dahingeworfenes, man investiert darin viel Zeit und Energie. Das Projekt gab ihnen die Möglichkeit, auszuholen und von sich selber zu erzählen, auch ohne direkten Bezug zu dieser Segnung. Ich habe ihnen zugesichert, dass sie die Bilder und alle Texte vorher sehen könnten. Sie wussten, dass sie jederzeit aussteigen und das Projekt hätten abbrechen können.

«Ich war manchmal unsicher, ob es richtig ist, das zu veröffentlichen.»

Im Verlauf der Zusammenarbeit kamen Dinge zur Sprache, die so persönlich waren, dass ich selber unsicher war, ob es richtig ist, das in einem Buch zu veröffentlichen.

Wie sind die Betroffenen mit dem Resultat zufrieden?

Real: Sie sind alle drei sehr zufrieden mit dem Resultat. Sie hatten ein grosses Bedürfnis, die Geschichte im Zusammenhang zu erzählen, vor allem Wendelin Bucheli. Als ich ihm das Buch überreichte, sagte er mir, es sei für ihn eine therapeutische Erfahrung gewesen. Er fühle sich sehr ernst genommen und die Geschichte sei so in einem würdigen Rahmen aufgenommen und für die Nachwelt dokumentiert worden.

Was für einen Eindruck haben Sie durch die Arbeit an diesem Buch von der katholischen Kirche in der Schweiz bekommen?

Real: Mich hat einerseits Wendelin Bucheli als Mensch und in seiner Tätigkeit als Pfarrer sehr überzeugt. Eindrücklich war für mich auch, wie eine der beiden Frauen, die in Bürglen aufgewachsen ist, ihren Glauben lebt und was dieser ihr gibt. Die katholische Kirche hat sie ihr Leben lang begleitet.

Andererseits ist da auch diese ablehnende, feindliche Haltung in der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen, die ich für gefährlich und weltfremd halte.

Was wollen Sie mit den Büchern bei den Leserinnen und Lesern erreichen?

Real: Ich stelle eine Diskrepanz fest zwischen dem, was in der Gesellschaft mit lesbischen Frauen geschieht und dem, was das Gesetz in diesem Land vorschreibt. Südafrika beispielsweise, das ich im zweiten Band der Reihe thematisiere, führte in der Verfassung als erstes Land weltweit gleiche Rechte für Homo- und Heterosexuelle ein. Deren Lebensrealität ist jedoch eine komplett andere.

«Es muss sich etwas ändern, nicht nur in der Schweiz.»

Indem ich diese Probleme und Herausforderungen darstelle, schaffe ich ein Bewusstsein dafür. Meine Message ist: Es muss sich etwas ändern, nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zu diesem Thema?

Real: Ich bin selber nicht lesbisch, kenne aber viele lesbische Paare persönlich. Ich kann nicht verstehen, warum ich als Frau anders behandelt werde, je nachdem, ob ich mit einer Frau oder mit einem Mann liiert bin. Diese Ungleichheit in unserem Gesetz macht für mich keinen Sinn, zumal in der Verfassung steht, jeder Mensch sei gleich und mit gleicher Würde zu behandeln.

Elisabeth Real (38) ist selbständige Fotografin aus dem aargauischen Wittnau im Fricktal.

Das Buch «Wer wir sind – Lesbische Frauen aus der Schweiz erzählen» thematisiert Situationen im Leben von fünf Betroffenen in Wort und Bild. Im zweiten Kapitel kommen Wendelin Bucheli, Pfarrer von Bürglen, sowie Marthi Kempf und Elisabeth Stirnemann ausführlich zu Wort. Das Buch ist der erste Band einer fünfteiligen Reihe über lesbisches Leben weltweit (»The Lesbian Lives Project») und kann über die gleichnamige Website bezogen werden.

*Hinweis: Das Bistum Chur nahm auf Anfrage nicht Stellung zu diesen Aussagen.


Video: Öffentliche Erklärung Wendelin Buchelis zur Segnung des lesbischen Paares (15. Februar 2015):

Die Fotografin Elisabeth Real hat Wendelin Bucheli für ihr Buch «The Lesbian Lives Project» begleitet: lesbianlivesproject.com. | © Elisabeth Real
14. August 2018 | 10:35
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Die Segnung eines lesbischen Paares in Bürglen

Im Oktober 2014 segnete Wendelin Bucheli, Pfarrer im urnerischen Bürglen, die Verbindung von zwei lesbischen Frauen. Der zuständige Churer Bischof Vitus Huonder teilte Bucheli daraufhin mit, dass dieser Bürglen verlassen müsse, weil diese Handlung nicht der Lehre der katholischen Kirche entspreche. Nach einem weiteren Gespräch zwischen Bischof Huonder und Charles Morerod, Bischof von Freiburg, Lausanne und Genf, rief letzterer Bucheli zurück in sein Heimatbistum. Daraufhin bat Bischof Huonder den Bürgler Pfarrer in einem Brief, per Sommer 2015 zu demissionieren.

Ehe es dazu kam, einigten sich der Pfarrer und der Bischof: Bucheli erklärte, dass er keine Segnungen von homosexuellen Paaren mehr durchführen werde. Im Gegenzug hielt Huonder nicht länger an Buchelis Demission fest. Der «Fall Bürglen» hatte in den Medien hohe Wellen geschlagen. (sys)