Christa Markwalder
Schweiz

Nationalrätin Markwalder sieht grosse Chance in Woche der Religionen

Bern, 6.11.16 (kath.ch) Den hohen Wert der Woche der Religionen würdigte der ehemalige Bundesgerichtspräsident Giusep Nay an einer Jubiläumfeier in Bern. Er warnte davor, dass ein «christlicher Staat» eine Religion über andere stelle. An der Feier «10 Jahre Woche der Religionen» betonte Nationalratspräsidentin Christa Markwalder, diese bereite das Feld für den Religionsfrieden im Lande vor.

Georges Scherrer

Alles begann 1988 mit einer Tagung «10 Jahre Indochina-Flüchtlinge in der Schweiz», welche Heidi Rudolf, Mitglied des Katharina-Werks in Basel, im Auftrag von Caritas Schweiz organisierte. Verschiedene Religionsgemeinschaften kamen zu Wort. Diese wünschten eine Fortführung dieser Dialogplattform. Daraufhin wurde im April 1992 der Verein «Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz» (Iras Cotis) gegründet.

Um mehr Breitenwirkung in der Öffentlichkeit zu erzielen, rief der Verein 2007 die «Woche der Religionen» ins Leben. Diese fand bei zahlreichen Religionsgemeinschaften in der Schweiz sofort Anklang und wurde breit herum zu einem Erfolg. Das Programm der diesjährigen Anlässe zur «Woche», die vom 5. bis 13. November dauert, umfasst 22 Seiten.

Veränderung fängt vor der Haustüre an

Der St. Galler Bischofs Markus Büchel hat in einem Votum für Iras Cotis das Erfolgsrezept mit den Worten umschrieben: «Die Woche der Religionen ermöglicht diesen Austausch an der Basis und ist deshalb wertvoll für Dialog und Verständigung unter den Religionen.»

Konkreter Beitrag zum Religionsfrieden

In diesem Jahr wird sie zum zehnten Mal durchgeführt. Für die Nationale Jubiläumsfeier wurde symbolträchtig das Berner «Haus der Religionen» ausgewählt. Ein Grusswort überbrachte Nationalratspräsidentin Christa Markwalder persönlich.

Die Woche der Religionen leiste einen konkreten Beitrag zum Religionsfrieden. Sie helfe dabei «Schutzwälle zu überwinden», die in der Gesellschaft bestehen, sagte die Politikerin. Die Religionsfreiheit war immer ein Thema in der Schweiz, die Intoleranz zwischen Reformierten und Katholiken sei bis in die 1950er Jahre gegengewärtig gewesen.

In der Schweizer Bevölkerung herrsche derzeit ein Unbehagen gegenüber dem Islam, das in der «sehr realen Bedrohung durch islamistische Gruppen» begründet sei, so die Nationalratspräsidentin. Die Glaubensvielfalt dürfte jedoch nicht spalten. Die Woche der Religionen sehe die Unterschiede als etwas Bereicherndes und nicht als etwas Bedrohliches.

Nach St. Galler Vorbild

Die Woche der Religionen ist von grosser Bedeutung, weil sie sowohl für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft einiges bringe, betonte die Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Iras Cotis, Rifa’at Lenzin, an der Feier. Die Islamwissenschafterin ist Mitglied des Interreligiösen Think-Tank. Die erste «Woche» orientierte sich am Beispiel der Interreligiösen Dialog- und Aktions Woche IDA, die vor elf Jahren in St. Gallen durchgeführt wurde.

Die Woche ermögliche es Menschen, sich zu begegnen und kennenzulernen. Konkrete Aktion wie etwa das gemeinsame Friedensgebet führten zu mehr Verständnis, Respekt und Akzeptanz.

Was könnte Menschen interessieren, die meine Religion nicht kennen?

Die Woche richte sich auch an «Skeptische» und an Personen, die an religiösen Fragen und anderen Kulturen interessiert sind. Die unzähligen Veranstaltungen, die kleiner oder grösser landauf landab stattfinden, erreichten Hunderte von Menschen in allen Teilen der Schweiz. «Veränderung fängt vor der Haustüre an. Überlegen Sie sich, was Sie, Ihre Gemeinde, Ihr Verein, Ihre Jugendgruppe tun könnten», forderte die Iras Cotis-Präsidentin. Und als Vorschlag gab sie ihren Gästen mit: «Fragen Sie sich: Was könnte Menschen interessieren, die meine Religion nicht kennen?»

Lenzin wies zudem darauf hin, dass die Woche den Reconciliation Awards durch die internationale S.E.R. Foundation (Foundation for Subjective Experience and Research) erhielt. Dieser wurde anlässlich der Konferenz der Freiwilligen-Organisationen der Vereinten Nationen 2011 in Bonn verliehen. Sie schloss mit den Worten: «Es ist so einfach, sich zu verstehen, wenn man sich kennt. Lernen wir uns also kennen.»

Nicht ohne die Religion

Die Festrede hielt der ehemalige Bundesgerichtspräsident Giusep Nay. Er wies auf CVP Präsident Gehard Pfister hin, der mit seinem Bekenntnis zum Christlichen eine Wertediskussion ausgelöst hat. Die «Woche» bringe in der aufgekommenen Debatte die Religion zu Recht ins Spiel. «Wenn die Kirchen immer leerer werden und auch Moscheen und Synagogen keinen Massenzulauf haben, heisst das noch lange nicht, die Menschen seien heute nicht mehr religiös», sagte der alt Bundesrichter.

Wir müssen uns davor hüten, die westlich geprägten Menschenrechte für einen Kolonialismus zu verwenden

Als Jurist, der sich intensiv mit dem Verhältnis zwischen Staat, Kirchen, weiteren Religionsgemeinschaften, Rechtsstaat und Demokratie befasse, werfe er nun die These auf, dass der freiheitliche demokratische Rechtsstaat ohne die Werte, die auch die Religionen vermitteln, «schlicht nicht funktionieren würde».

Gleiche Rechte für Gemeinschaften

Der Staat müsse alle Kräfte fördern, die zur moralischen Substanz des Einzelnen und damit auch der Gesellschaft entscheidend beitragen. Zu diesen Kräften zählen nicht zuletzt die Kirchen und weitere Religionsgemeinschaften, so der Jurist. Iras Cotis leiste eine wertvolle Arbeit, weil sie zum gegenseitigen Verstehen unter den Religionen beitrage.

Ein Rechtsstaat ohne die Werte der Religion würde schlicht nicht funktionieren

Wenn der multireligiöse und weltanschaulich pluralistische Staat alle diese relevanten Kräfte in rechtsgleicher Weise unterstütze, verletze er sein aus der Religionsfreiheit fliessendes Neutralitätsgebot gegenüber dem Religiösen nicht. Dieses Gebot werde «leider zu oft zu Unrecht angeführt, um passiv gegenüber den Religionen zu bleiben».

Unerlässliche Grundwerte

Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften nannte Nay das beste und seit langem bewährte Instrument, um alle Religionsgemeinschaften mit Gewinn in den gesellschaftlichen Prozess der Bildung und Erhaltung der im demokratischen Rechtsstaat unerlässlichen Grundwerte einzubinden.

Nay warnte davor, dass ein «Staat zum christlichen Staat» werde, indem er den anderen Religionen nur ein zweitrangigen Platz einräume. Ein solches Vorgehen berge die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft.

Es sei ein falscher Ansatz, wenn in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion teilweise verlangt werde, dass eine Religionsgemeinschaft bereits alle Voraussetzungen erfüllen müsse, bevor mit ihr überhaupt darüber diskutiert werden soll, ob sie durch den Staat offiziell anerkannt werden soll. Vielmehr solle jeder interessierten Religionsgemeinschaft von einer öffentlichen Bedeutung das Angebot gemacht werden, öffentlich anerkannt zu werden. Gleichzeitig gelte es, dieser Gemeinschaft aufzuzeigen, welche Voraussetzungen sie für eine Anerkennung erfüllen müsse.

Keinen neuen Kolonialismus

Nay warnte zudem davor, sich in der in der laufenden Wertediskussion vorab auf das Christentum zu berufen. Der auf religiöse Neutralität verpflichtete Staat müsse sich auf die Grund- und Menschenrechte abstützen, um in der Zivilgesellschaft für ein friedliches und erspriessliches Zusammenhalten zu sorgen. Der demokratische Rechtsstaat müsse unabdingbare Werte Grund- und Menschenrechte hochhalten. Bestehende Rechtsschutzlücken müssten behoben werden.

«Vor etwas müssen wir im Westen uns jedoch hüten», warnte Nay. Er schloss mit den Worten: «Wir müssen uns davor hüten, die von ihrer Entstehung her doch westlich geprägten Menschenrechte für eine Neuauflage eines Kolonialismus zu verwenden.»

 

Christa Markwalder | © 2016 Georges Scherrer
6. November 2016 | 18:01
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