Martin Stewen und Joseph Maria Bonnemain bei der Mahnwache gegen Antisemitismus
Schweiz

Nach Messerattacke: Hunderte bei Mahnwache in Zürich

Am Sonntagabend haben sich mehrere hundert Menschen zu einer Mahnwache in Zürich versammelt. In der Schweiz nehmen antisemitische Straftaten zu. Bischof Joseph Maria Bonnemain war gekommen und richtete eine Botschaft an den jugendlichen Täter.

Magdalena Thiele und Annalena Müller

Nach dem Angriff auf einen orthodoxen Juden in Zürich haben sich am Sonntagabend mehrere Hundert Menschen zu einer Mahnwache versammelt. Viele trugen gelbe Regenschirme als Zeichen gegen Antisemitismus. Unter den Wachenden war auch der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain. Die Angst vor wachsendem Antisemitismus ist unter den Teilnehmenden gross.

Antisemitisches Motiv

«Ich bin hier, um meine Solidarität mit allen zum Ausdruck zu bringen, die Antisemitismus verurteilen», sagt Bischof Joseph Maria Bonnemain bei der Mahnwache für den 50-jährigen orthodoxen Juden, der am Samstagabend durch eine Messerattacke in Zürich schwer verletzt worden war. Die Kantonspolizei geht derzeit von einem antisemitischen Tatmotiv aus.

Mahnwache nach dem Terrorakt auf einen orthodoxen Juden Anfang März in Zürich: Bekenntnis zu Israel und gegen Antisemitismus.
Mahnwache nach dem Terrorakt auf einen orthodoxen Juden Anfang März in Zürich: Bekenntnis zu Israel und gegen Antisemitismus.

Auch für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) besteht aufgrund von Zeugenaussagen in den Medien wenig Zweifel, dass der Angriff antisemitisch motiviert war, wie die Organisation am Sonntag schrieb. Es handle sich um ein «antisemitisches Hassverbrechen». Der Anstieg des Antisemitismus in den letzten Monaten hat ihrer Meinung nach «eine neue erschreckende Eskalationsstufe erreicht».

Friedensgebet

Bei allem Entsetzen über die Tat denkt der Churer Bischof auch an den erst 15 Jahre alten Tatverdächtigen. Für ihn hofft Bonnemain, dass ihn die Botschaft der Fastenzeit erreiche. «Tu Busse und kehre um.» Antisemitische Taten dürften nie wieder toleriert werden, weder in Zürich, noch sonst irgendwo. «Die Zivilcourage und das besonnene Handeln der Passanten, die dem Opfer beistanden, zeigen dieses Bewusstsein deutlich; darüber bin ich sehr froh und dankbar», fügt Bischof Bonnemain an. Trotz allem hoffe er immer noch, dass in Israel und Palästina Juden, Christen und Muslime endlich miteinander in Frieden leben könnten.

Hunderte Menschen nahmen am Sonntagabend in Zürich an der Mahnwache gegen Antisemitismus teil.
Hunderte Menschen nahmen am Sonntagabend in Zürich an der Mahnwache gegen Antisemitismus teil.

Dafür werde auch im Abendgottesdienst in der nahegelegenen Pfarrkirche St. Peter und Paul gebetet, schliesst sich der Zürcher Synodalrat und Vikar der Gemeinde Martin Stewen den Worten des Bischofs an. Die jüdische Gemeinde habe Psalmen geschickt, die sie dort in Solidarität sprechen werden.

Angst vor Antisemitismus

Zur Mahnwache aufgerufen hatte die Organisation Yellow Umbrella. Das Wort ergriff der Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, Noam Hertig. Er sei mit seiner Kippa noch wenige Stunden vor dem Angriff zusammen mit seinen Kindern genau hier vorbeigelaufen, sagte Hertig den mehreren hundert gekommenen Zuhörern. Und stellte dann fest: «Ich dachte – vielleicht naiverweise, dass wir im Gegensatz zu Paris, London oder Paris hier in Zürich sicher sind. Ich glaubte an eine friedliche Koexistenz.» Die Angst, dass das friedliche und sichere Zusammenleben akkut gefährdet ist, sie war am Sonntagabend deutlich zu spüren.

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Antisemitismus-Vorfälle nehmen zu

Antisemitismus-Vorfälle haben sich in der Schweiz seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem israelischen Gegengriff auf den von dieser Organisation regierten palästinensischen Gazastreifen gehäuft. In der EU und in den USA gilt die Hamas als Terrororganisation, in der Schweiz wollen das Parlament und der Bundesrat sie verbieten.

Kürzlich veröffentlichte die Westschweizer Fachstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung (Cicad) Zahlen, wonach antisemitisch motivierte Vorfälle in der Westschweiz im vergangenen Jahr um 68 Prozent zunahmen. Fast die Hälfte davon ereignete sich nach dem 7. Oktober.

Der Bundesrat hatte Anfang Februar angekündigt, gemeinsam mit den Kantonen eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus auszuarbeiten. Geprüft werden soll auch, ob neu ein Beauftragter für Rassismus- und Antisemitismusbekämpfung eingesetzt werden soll. (sda)


Martin Stewen und Joseph Maria Bonnemain bei der Mahnwache gegen Antisemitismus | © Magdalena Thiele
4. März 2024 | 09:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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