Lukas Niederberger
Schweiz

Nach dem Rausschmiss bei der SGG: Jetzt spricht Lukas Niederberger

Der Ex-Jesuit Lukas Niederberger ist auf Jobsuche. Er könnte sich vorstellen, wieder für die Kirche zu arbeiten. Wobei er sagt: «Ich weiss nicht, ob meine Ideen in der Kirchenleitung erwünscht wären.»

Raphael Rauch

Sie sind mit 58 Jahren vom Vorstand der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) gefeuert worden. Wie fühlt sich das an?

Lukas Niederberger*: Wie der Tod eines krebskranken Freundes. 

Lukas Niederberger beim Frauenrütli am 1. August 2021.
Lukas Niederberger beim Frauenrütli am 1. August 2021.

So schlimm?

Niederberger: Ja. Ich trauere über den Verlust einer Arbeitsstelle, die ich sehr gemocht habe. Ich habe ausserordentlich viel Zeit und Herzblut für die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft investiert. Neben der Trauer spüre ich auch Wut. Bei einem verstorbenen Freund richtet sich diese oftmals gegen die Medizin, die nicht mehr tun konnte. Und man stellt die Frage: Warum hat es ausgerechnet ihn getroffen? Mich macht meine Entlassung wütend und ich frage mich: Warum hat der Vorstand keine andere Lösung gefunden? Wie bei einem verstorbenen Freund, der länger krank war, spüre ich mit der Kündigung auch eine Erleichterung, weil ein jahrelanges Leiden ein Ende gefunden hat.

Haben Sie gelitten?

Niederberger: Ja, schon. 

1.-August-Feier 2022 auf dem Rütli, hier mit der Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, Simone Curau.
1.-August-Feier 2022 auf dem Rütli, hier mit der Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, Simone Curau.

Inwiefern?

Niederberger: Seit einigen Jahren meldete ich beim Vorstand den Wunsch nach einer Entlastung an, um mehr inhaltlich arbeiten zu können. Aber stattdessen erhielt ich zusätzliche Arbeiten. Am Ende hatte ich 4’000 Überstunden. Das Leiden ist aber strukturell-systemisch: Überall hört man, wir werden immer älter, bleiben länger fit und sollen darum bis 67 oder 70 Jahre arbeiten. Aber de facto gilt man schon mit 50 Jahren als nicht mehr visionär und agil genug und darum als unvermittelbar.

«So cool bin ich nicht. Jetzt sehe ich vor allem den Verlust.»

Eine Phrase von Seelsorgenden lautet: «Leben ist Veränderung.» Oder: «Krisen sind Chancen.» Hilft das?

Niederberger: Die Veränderung ist tatsächlich oft die einzige Konstante im Leben. Das griechische Wort «krisis» sowie das chinesische Zeichen für Krise beinhalten zwei Seiten: die Bedrohung und die Chance. Ich rede nicht gerne von Krise, Loch oder Leere, sondern lieber von Brachland oder Brachzeit. Diese brauchen wir, wenn wirklich Neues wachsen soll. Ich hoffe, dass ich in sieben Jahren sagen kann: Der Rausschmiss gab mir die Chance, nochmals etwas ganz anderes zu machen. Aber so cool bin ich jetzt natürlich nicht. Jetzt sehe ich vor allem den Verlust. 

Archiv-Aufnahme aus 2015: Lukas Niederberger gibt ein Interview.
Archiv-Aufnahme aus 2015: Lukas Niederberger gibt ein Interview.

Sie haben sich schon einmal neu erfunden – als Sie vor 15 Jahren den Jesuitenorden verlassen haben. Hilft diese Erfahrung?

Niederberger: Ja. Ich weiss, was es bedeutet, bei null anzufangen. Heute stehe ich finanziell und auch bezüglich Netzwerk besser da als früher. Damals war ich 43 und hatte als Ordensmann keinen einzigen Franken auf dem Sparkonto und kein Guthaben auf der Pensionskasse. Und auch keine Partnerin, die mich menschlich unterstützt.

Tanzende Frauen beim Frauenrütli, 1. August 2021.
Tanzende Frauen beim Frauenrütli, 1. August 2021.

Sind Sie ein privilegierter Arbeitsloser?

Niederberger: Wenn ich die Stellenportale anschaue, denke ich: Nein. Es gibt nur wenige Stellen, die zu meinem Profil passen. Andererseits habe ich ein grosses Netzwerk und viele Projektideen, die ich umsetzen möchte. Ich habe keine Kinder und darum nicht den Druck, den ein Familienvater in meiner Situation hätte.

Bischof Bonnemain, Bischof Gmür und Abt Urban Federer machen Werbung für "Chancen Kirchenberufe".
Bischof Bonnemain, Bischof Gmür und Abt Urban Federer machen Werbung für "Chancen Kirchenberufe".

Fachkräftemangel gibt’s auch in der katholischen Kirche. Könnten Sie sich vorstellen, wieder für die Kirche zu arbeiten?

Niederberger: Das hängt nur zum Teil von mir ab. Für gewisse Arbeiten braucht es eine sogenannte Missio, eine Beauftragung vom Bischof. Ich bin geweihter Priester, habe mich aber nie laisieren lassen. Darum würde ich wohl keine Beauftragung vom Bischof bekommen.

Warum haben Sie sich nie laisieren lassen?

Niederberger: Im Gesuch um Laisierung muss man sich mehr oder weniger für verrückt erklären.

Marienbild am Spitalbett
Marienbild am Spitalbett

Die Zürcher Spitalseelsorge sucht Quereinsteigende. Wäre das was für Sie?

Niederberger: Die Arbeit in der Spitalseelsorge finde ich wichtig, herausfordernd und erfüllend Wenn die Kirche mir die Arbeitserlaubnis erteilen würde, wäre ich durchaus bereit, das notwendige Clinical Pastoral Training zu absolvieren.

Bundesrat Alain Berset sucht einen neuen Pressesprecher. Wäre das was?

Niederberger: Ich kenne seinen langjährigen Sprecher Peter Lauener gut, weil er Bundesrat Berset mehrmals zur Bundesfeier aufs Rütli begleitet hat. Peter Lauener hatte in den letzten Jahren einen 20-Stunden-Job – pro Tag, nicht pro Woche. Das möchte ich lieber nicht. 

Bischof Joseph Bonnemain beim Start des synodalen Prozesses in Einsiedeln.
Bischof Joseph Bonnemain beim Start des synodalen Prozesses in Einsiedeln.

Der Bischof von Chur, Joseph Bonnemain, ist seit März 2021 im Amt. Der Bischofsrat hat noch immer Vakanzen. Würde Sie das Ressort pastorale Entwicklung reizen?

Niederberger: Die pastorale Entwicklung im Bistum Chur stelle ich mir spannend und zugleich spannungsreich vor, weil die einen alles und die anderen nichts verändern wollen. Ich weiss nicht, ob meine Ideen in der Kirchenleitung erwünscht wären.

Glencore – Sitz der Rohstofffirma in Baar im Kanton Zug.
Glencore – Sitz der Rohstofffirma in Baar im Kanton Zug.

Gibt es bei Ihrer Stellensuche ein No-Go?

Niederberger: Ein Job in der Rüstungsindustrie oder bei einem Rohstoffkonzern wie Glencore könnte ich nicht annehmen. Ich will Probleme nicht kreieren, sondern lösen.

«Ich habe viele Ideen, wie wir unsere Gesellschaft solidarischer und nachhaltiger gestalten können.»

Haben Sie einen Traum, der jetzt Wirklichkeit werden könnte?

Niederberger: Mit 18 Jahren wollte ich Diplomat oder Filmemacher werden. Dieser Zug ist abgefahren. Ich habe aber viele Ideen, wie wir unsere Gesellschaft solidarischer und nachhaltiger gestalten können. Diese Ideen will ich nun einigen Stiftungen, Hilfswerken und Unternehmen unterbreiten.

Wegweiser: Titelblatt der Broschüre kasualpraxis.ch der Freikirchen Schweiz.
Wegweiser: Titelblatt der Broschüre kasualpraxis.ch der Freikirchen Schweiz.

Laut Ihrer Website sind Sie auch als Ritualbegleiter tätig. Könnten Sie das hauptberuflich machen?

Niederberger: Ich würde gerne noch mehr Rituale gestalten. Vor allem Beerdigungen gestalte ich gerne mit den Angehörigen oder auch schon im Vorfeld des Todes mit älteren oder kranken Menschen. Nachdem es nun die «Ehe für alle» gibt und falls die steuerliche Heiratsstrafe bald fällt, werde ich in Zukunft sicher auch mehr Hochzeiten gestalten. 

«Es geht um den Wunsch nach Sinn, Freude und Gemeinschaft.» 

In Ihrem Buch «Rituale» schreiben Sie: «Je mehr wir uns durch unsere Erwerbstätigkeit definieren und uns mit ihr identifizieren, umso dramatischer ist eine Kündigung oder der Übergang ins Rentenalter.» Wenn Sie sich selbst coachen würden: Was würden Sie sagen?

Niederberger: Gönn dir eine Brachzeit, in der du nicht wissen musst, was als Nächstes kommt. Wandere auf dem Jakobsweg oder mach sonst eine Auszeit. Und frage dich, wofür du brennst und welche Themen dich in der Tiefe bewegen. Je älter wir werden, desto weniger sollten Macht, Ehre und Geld die Wahl deiner Tätigkeiten bestimmen, sondern der Wunsch nach Sinn, Freude und Gemeinschaft. 

Gäste des Frauenrütli mit Schildern auf der Rütliwiese.
Gäste des Frauenrütli mit Schildern auf der Rütliwiese.

Die SGG ist für die 1.-August-Feierlichkeiten auf dem Rütli zuständig. Sie haben jahrelang die Feierlichkeiten geleitet und nun zum ersten Mal frei. Was machen Sie am 1. August?

Niederberger: Ich werde auf meinem Hausberg Rigi wandern gehen – und den vorgeschlagenen neuen Hymnentext «Weisses Kreuz auf rotem Grund» singen.

* Der katholische Theologe Lukas Niederberger (58) war Priester im Jesuitenorden und leitete bis 2008 das Lassalle-Haus bei Zug. Vor 15 Jahren hat er den Jesuitenorden verlassen und lebt seit 13 Jahren mit seiner Partnerin zusammen. Er hat eine eigene Website

SGG: Differenzen in Führungsfragen

Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft kommentiert auf ihrer Website die Personalentscheidung wie folgt: «Aufgrund Differenzen in Führungsfragen hat sich der Vorstand entschieden, die Zusammenarbeit mit dem Geschäftsleiter Lukas Niederberger zu beenden. Die SGG bedankt sich bei Lukas Niederberger für das grosse Engagement in den letzten neun Jahren; die offizielle Würdigung findet zu einem späteren Zeitpunkt statt. Die Geschäftsleitung übernimmt ad interim bis auf Weiteres Peter Haerle, langjähriger Kulturdirektor der Stadt Zürich. Alle Projekte werden wie geplant weitergeführt.»


Lukas Niederberger | © Aufbruch
21. Juli 2022 | 15:20
Lesezeit: ca. 5 Min.
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