Jesus (Yavn Sagnet) und seine Jüngerinnen und Jünger beim letzten Abendmahl. Szene aus "Das neue Evangelium" von Milo Rau.
Schweiz

Nach «Das Neue Evangelium»: Milo Rau kritisiert Migros, Lidl und Coop

Jesus als Streikführer auf einer Tomatenplantage: Davon handelt der Film «Das Neue Evangelium» aus dem Jahr 2020. Der Schweizer Regisseur Milo Rau setzt sich für fair gehandelte Tomaten ein – ist nach eigenen Angaben bei Schweizer Lebensmittel-Ketten aber abgeblitzt.

Raphael Rauch

Kann das Theater die Welt besser machen? Diese Frage stellt die «NZZ am Sonntag» (10. April) dem Schweizer Regisseur Milo Rau (45). «Nur Vollidioten glauben, man könne die Gesellschaft auf der Bühne verändern. Dennoch würde ich Ihre Frage bejahen», antwortet Milo Rau. Das Theater könne «die Welt mit einzelnen Projekten verändern, indem man die Sache ganzheitlich denkt – von der Produktion bis zur Distribution». 

Filmprojekt hilft Sans-Papiers in Italien

Als Beispiel nennt Milo Rau seinen Film «Das Neue Evangelium» (2020), der von Flüchtlingen in Italien handelt, die auf Tomatenplantagen für einen Hungerlohn schuften: «Wir haben mit unserem Jesus-Projekt mehr Flüchtlinge regularisiert als der italienische Staat in vielen Jahren.» Das Film-Projekt habe Sans-Papiers aus der Illegalität geholt und fair produzierte Tomatenkonserven in Umlauf gebracht.

Der Schweizer Regisseur Milo Rau
Der Schweizer Regisseur Milo Rau

Allerdings habe er mit seinem Einsatz für fair produzierte Tomaten die Migros nicht überzeugen können, sagt Milo Rau der «NZZ am Sonntag»: «Das hat leider nicht geklappt. Sie entsprachen nicht der Konzernlogik, die nahmen ihre Tomaten schon von woanders her.» 

Faire Produkte sind nicht «viel teurer»

Doch der Regisseur vermutet einen weiteren Grund: «Wer unsere fairen Tomaten in den Handel aufnimmt, gibt damit implizit zu, dass die anderen Tomaten kriminell sind. Diesen Eindruck möchte man natürlich nicht erwecken.» Dies habe ihm der Manager einer belgischen Lebensmittelkette erklärt, sagt Milo Rau.

Jesus (Yvan Sagnet) steht in einem Tomatenfeld.
Jesus (Yvan Sagnet) steht in einem Tomatenfeld.

Für den Schweizer Regisseur ist es «ein Mythos, dass faire Produkte viel teurer sind: Fair heisst, dass mehr beim Produzenten und weniger beim Verkäufer ankommt. Also mehr beim Kleinbauern und seinen Arbeitern, weniger bei Lidl oder Coop. Das ist gut für alle.»

Als Theatermann «effektiver» denn als Politiker

Milo Rau sieht seine Projekte «als ökonomische Vorbilder für die Welt». «Wenn ich einen Jesus-Film mit Wirtschaftsmigranten drehe, geht es selbstverständlich um die Forderung, dass auch Flüchtlinge ein würdevolles Leben haben sollen. Das sind revolutionäre politische Forderungen, die ich innerhalb meiner Projekte nicht realisieren kann.»

Trotz seines politischen Programms wolle er kein Politiker werden, sagt Milo Rau. Als Theatermacher könne er «weit effektiver arbeiten» denn als Politiker.

«Das Neue Evangelium» aktualisiert die Passionsgeschichte

Der Film «Das Neue Evangelium», der 2020 erschienen ist, aktualisiert die Passionsgeschichte: Jesus erscheint hier als Streikführer auf der Tomatenplantage. Unter den Schauspielern ist auch der eritreische Priester Mussie Zerai. Er spielt im Film einen der Jünger Jesu.

Mussie Zerai gilt als "Father Moses". Im Film "Das Neue Evangelium" spielt er Joseph von Arimathia.
Mussie Zerai gilt als "Father Moses". Im Film "Das Neue Evangelium" spielt er Joseph von Arimathia.

Mussie Zerai hat den Spitznamen «Father Moses». Wenn Menschen in Seenot geraten, rufen sie ihn an. Mussie Zerai war früher als Priester in der Schweiz tätig und arbeitet nun im Vatikan. Letztes Jahr sagte der Luzerner Ehrendoktor zu kath.ch: «In den Augen der Flüchtlinge begegnet uns Gott.»

Der Regisseur Milo Rau arbeitet zurzeit in Zürich an einer «Tell»-Inszenierung. Premiere ist am 23. April.


Jesus (Yavn Sagnet) und seine Jüngerinnen und Jünger beim letzten Abendmahl. Szene aus «Das neue Evangelium» von Milo Rau. | © Armin Smailovic
10. April 2022 | 17:30
Lesezeit: ca. 2 Min.
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