Tete-à-tete: Der russische Staatspräsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I.
International

Moskauer Patriarch schweigt zu Ukraine-Krise

Fast alle Kirchenführer mahnen im Konflikt zwischen Moskau und Kiew zum Frieden. Aber vom Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill I., kommt seit Wochen kein Wort. Er verschont Kremlchef Putin.

Oliver Hinz

Trotz der angespannten Lage Ruhe bewahren. In Kiew beherzigt das Olena Noha. Die Projektleiterin entwickelt in der nationalen Caritas-Zentrale der römisch-katholischen Kirche gemeinsam mit ihren Kollegen einen Evakuierungsplan – für den Fall, dass russische Truppen nach 2014 wieder in die Ukraine einmarschieren.

«Im Inneren hat jeder Angst und Hoffnung.»

Olena Noha, Projektleiterin Caritas-Zentrale in Kiew

«Es geht vor allem um Charkiw, Mariupol und andere Städte im Osten der Ukraine, aber auch Kiew», erklärt Noha. «Im Notfall müssen wir die Waisenkinder und anderen Menschen, die wir in unseren Einrichtungen versorgen, in Sicherheit bringen.» Für sie bereitet die Caritas jetzt ihre Ferienzentren in den Karpaten und in Wolhynien im Westen des Landes vor. Die Ukraine zu verlassen, das kommt für Noha nicht infrage: «Das Leben sieht ganz gewöhnlich aus. Nur im Inneren hat jeder Angst und Hoffnung.»

Kreml spricht von westlicher Hysterie

Welch ein Kontrast zu Moskau und der dortigen orthodoxen Kirche. Der Kreml stellt die Furcht vor einem russischen Angriff auf die Ukraine als westliche Hysterie dar. Er bestreitet, einen Militärschlag gegen das südliche Nachbarland zu planen. Dementsprechend mahnt der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. momentan keineswegs zum Frieden.

Das Moskauer Patriarchat teilt zwar allerhand mit – nur nichts zum Konflikt zwischen Moskau und Kiew. Selbst in der Meldung zum Telefonat von Kyrill I. mit dem Metropoliten von Donezk und Mariupol vor wenigen Tagen hiess es nur vage, der Patriarch habe in dem Gespräch «seine Unterstützung für den friedenserhaltenden Dienst der ukrainisch-orthodoxen Kirche» ausgedrückt.

«Das ist ein dröhnendes Schweigen.»

Regina Elsner, Kirchenexpertin in Berlin

Die Kirchenexpertin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin, Regina Elsner, sieht das Stummbleiben der russisch-orthodoxen Kirche zur politischen Eskalation kritisch. «Das ist ein dröhnendes Schweigen», sagt die Theologin. Offensichtlich wolle das Moskauer Patriarchat vermeiden, in den politischen Konflikt hineingezogen zu werden. Dabei übersehe die Kirche wie schon vor acht Jahren, «dass es in dieser Lage keine Neutralität geben kann».

Aus Elsners Sicht riskiert Moskau «vor allem seine Glaubwürdigkeit als christliche Kirche im Kontext von Krieg und Frieden, besonders unter den eigenen Gläubigen in der Ukraine und Russland, aber auch international». Die Kirche wolle sich alle Türen in der Krise offenhalten und sich dem Vorwurf der politischen Einmischung entziehen. «Das ist aber nach der offenen Unterstützung für Putins Politik und das russische Militär in den vergangenen Jahren kaum mehr möglich», meint Elsner.

Kirche will Putins Gunst nicht verlieren

Sie erklärt das Schweigen des Patriarchen auch damit, dass die Kirche nicht die Gunst des russischen Präsidenten Wladimir Putin verlieren wolle. Kritisiere sie etwa die Verlegung von 100’000 Soldaten an die Grenze zur Ukraine, von denen einige nach russischen Angaben zuletzt wieder abgezogen wurden, gefährde sie die politische Unterstützung durch den Kremlchef. Das bedeute aber nicht unbedingt, dass die Kirche hier ganz auf Putin-Kurs sei. Ihr Oberhaupt Kyrill I. setzt nach Elsners Analyse eher auf Nicht-Widersprechen als auf Zustimmung.

Ukrainische Kirchen rufen zum Frieden auf

In der Ukraine rufen ranghohe Religionsvertreter unterdessen immer wieder zum Frieden auf. Der Gesamtukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften forderte den eigenen Staatspräsidenten Wladimir Selenskyj und Putin am Dienstag auf, «alle möglichen diplomatischen Anstrengungen zu unternehmen, um ein schreckliches Blutvergiessen in unserem Land zu verhindern, das viele Generationen unauslöschlich prägen wird».

Die Präsidenten sollten einen «dauerhaften und gerechten Frieden zwischen unseren Ländern» anstreben. Dazu gehöre als erster Schritt die Freilassung aller Inhaftierter, um guten Willen zu beweisen, so der Rat. Kiew, Moskau und prorussische Separatisten in den «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk hatten seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und dem Beginn der Gefechte in der Ostukraine 2014 zahlreiche Menschen gefangen genommen und halten sie zum Teil bis heute fest.

Ende Januar klang das noch anders. Damals appellierte der Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften an die Ukrainer, ständig für das eigene Land zu beten und «bereit zu sein, dem russischen Aggressor eine starke Abfuhr zu erteilen». (kna)


Tete-à-tete: Der russische Staatspräsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. | © KNA
16. Februar 2022 | 15:08
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