Polizeirazzia in Molenbeek, Brüssel
Schweiz

Molenbeek: Kirche warnt vor Vorverurteilung – Schweiz wird aktiv

Brüssel/Zürich, 17.11.15 (kath.ch) Der Weihbischof in Mecheln-Brüssel Leon Lemmens warnt vor einer Vorverurteilung der Menschen aus dem Brüsseler Stadtteil Sint-Jans-Molenbeek. Zwar sei das Viertel eine typische Vorstadt mit einem hohen Ausländeranteil und vielen sozialen Problemen; jedoch dürfe man es sich mit solchen Erklärungsmustern nun auch nicht zu leicht machen, sagte Lemmens im Interview mit Radio Vatikan von Dienstag, 17.November. In Winterthur gehen die Behörden Informationen über eine Jihad-Szene nach.

Das grosse Problem in Molenbeek sei, dass dort «ganz reiche Gemeinschaften neben ganz armen Gemeinschaften» lebten. Das sei keinerlei Entschuldigung für die schrecklichen Attentate in Paris, so der Weihbischof. Ein möglicher Grund für die Radikalisierung sei, dass sich die junge Generation nicht in die Gemeinschaft integriert fühle. «Die einen geraten in die Fänge der organisierten Kriminalität, andere wiederum in die Falle der Islamisten und Dschihadisten», so Lemmens. Einige der Attentäter von Paris sollen in diesem Stadtteil gelebt haben.

In den insgesamt 19 Stadtgemeinden Brüssels haben nach seinen Angaben rund 30 Prozent der Bewohner keinen belgischen Pass; der Grossteil der Bürger seien Muslime aus dem Maghreb. Es seien «viele radikale islamistische Gruppen entstanden, die aber nicht in den Brüsseler Moscheen aktiv sind», so der Weihbischof. «Im Gegenteil – die Moscheen bekämpfen diese radikalen Islamisten.»

In den «armen Quartieren» gebe es auch Christen. Sie sähen sich häufig als «Brückenbauer» und Friedensstifter. Auch er selbst organisiere regelmässig Gespräche mit Muslimen und Reisen in islamische Länder, um den Katholiken in Brüssel die Kultur und Traditionen der Muslime näherzubringen. – Der 61-jährige Lemmens ist seit 2011 Weihbischof in Mecheln-Brüssel.

Winterthur im Visier der Behörden

In der Schweiz sind in diesem Jahr mehrere Personen aus Winterthur in den Jihad gereist. Darunter sind zwei Geschwister in Teenageralter und drei junge Männer. Einer vor ihnen wurde am Flughafen Zürich an der Weiterreise gehindert. Gemäss des Winterthurer «Landboten» von Dienstag, 17. November, sei ein weiterer Mann nach Syrien abgereist. Die Zeitung meint, dass der IS in der Stadt eine Zelle habe und macht eine Verbindung zur An’Nur-Moschee in Winterthur aus. Der Präsident des islamischen Kulturvereins An’Nur, Atef Sahoun, erklärte gegenüber der Zeitung, die Moschee lehne jegliches radikale Gedankengut ab.

Der Journalist Kurt Pelda, der in der Sache recherchiert, erklärte gegenüber der Zeitung, die radikalen Kräfte sässen nicht im Vorstand oder im Präsidium. Es handle sich vielmehr um eine «ganze Reihe von Predigern und Gebetsleitern, die sich aktiv in der Moschee oder ausserhalb mit Jugendlichen treffen und diese zu radikalisieren versuchen». Diese Gesprächskreise würden von der Moscheeleitung toleriert.

Der Stadtpräsident von Winterthur, Michael Künzle, erklärte gegenüber der Zeitung, die Radikalisierung von jungen Menschen in der Stadt beschäftige die Behörden schon länger. «Wir führen Gespräche mit verschiedenen Stellen.» Er verwies auf eine «Nachrichtensperre» zum Thema und nannte keine weiteren Details.

Zentralrat sorgt für Aufregung

Die Anschläge in Paris wurden in der Schweiz weitherum verurteilt. Für Aufregung in den Medien sorgten Einträge auf der Facebook-Seite des Vereins «Islamischer Zentralrat Schweiz» (IZRS). Dort schrieb unter anderem ein Samir K. : «Ich bin extrem traurig. Kann mich vor Trauer kaum einkriegen. Ich heule schon den ganzen Tag. Nur 140…» Der Sprecher des IZRS, Abdel Azziz Qaasim Illi, mit bürgerlichem Namen Patric Jerome Illi, sagte gegenüber Radio Südostschweiz, die Einträge seien unterdessen gelöscht worden.

Der Verein könne sich zudem nicht von jedem Anschlag distanzieren: «Wir wollen uns nicht jedes Mal von etwas distanzieren, zu dem wir uns nicht assoziiert haben», so Illi gegenüber dem Radio. Er verweist auf eine Stellungnahme von Augst 2014. In dieser nimmt der Verein, der gemäss der Schweizer Bundesbehörden salafistische Züge aufweist, «Stellung zu den von Gewalt geprägten Vorgängen in Teilen der islamischen Welt». Der Westen hingegen wird als eine Macht dargestellt, die rücksichtslos Interessenspolitik betreibe und «wesentlich zur Förderung gewaltsamer Konflikte in der islamischen Welt» beitrage. Eine Verurteilung der Anschläge in Paris vom 13. November findet sich auf der Internetseite des IZRS nicht. (kna/gs)

Polizeirazzia in Molenbeek, Brüssel | © 2015 keystone
17. November 2015 | 15:18
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