Über das ganze Gesicht strahlt Priorin Irene Gassmann
Schweiz

Mit der Zeitkapsel des Klosters Fahr zurück in die Vergangenheit

Unterengstringen, ZH 11.8.7 (kath.ch) Im Kloster Fahr hat am 10. August eine Zeitreise stattgefunden. Die Turmkugel wurde geöffnet und damit auch ein Stück Geschichte des Klosters preisgegeben. In der Kugel liegen nämlich Schriftstücke von früheren Klosterbewohnern. Die älteste Schrift stammt aus dem Jahr 1804.

Francesca Trento

Irgendwo im Nirgendwo ruht das Kloster Fahr. Von Ruhe konnte am 10. August jedoch keine Rede sein. Ordensschwestern unter Regenschirmen und mit wasserfesten Schuhen, jede Menge Presseleute und Schaulustige warteten gespannt vor dem Kirchenturm. Etwas Seltenes sollte gleich geschehen: Eine Reise in die Vergangenheit stand bevor. Die Turmkugel auf der Kirchturmspitze, oder besser: die Zeitkapsel sollte geöffnet werden.

Der Regen und die Sanierung des Turmes jedoch verzögerten das Ganze ein wenig. Die Turmkugel sollte zuerst runtergehievt werden. «Wir wollen ja nicht riskieren, dass die Dokumente nass werden», erklärte die Priorin Irene Gassmann die Verzögerung. Ihr Gesicht leuchtete vor Vorfreude.

Wenn die Zeitkapsel reist

Die Wartenden standen eine gute Viertelstunde mit den Köpfen im Nacken. Witze wurden darüber gerissen: «Morgen werden ein paar von uns wohl Genickschmerzen haben», sagte jemand. Als es endlich soweit war, die Turmkugel sicher auf den Boden gebracht, das Kreuz rausgehievt, wurde ein gespannt freudiges Raunen laut.

«Da haben sich Insekten breit gemacht. Aber sie sind alle tot.» | © Francesca Trento

Stolz zeigte die Priorin die goldene Kugel. Die Presseleute wuselten umher. Ein vielfältiges Knipsen von den vielen Kameras war zu hören. Im Loch der Kugel, in dem sonst das Kreuz angebracht ist, hatten sich irgendwelche Tierchen und Insekten breit gemacht. «Das sieht ja gruusig aus», meinte ein Mädchen, das einen Blick hinein erhaschen durfte. Sie verzog das Gesicht. «Wie ein Wespennest», meinte die Priorin. «Aber die sind alle tot», sagte sie immer noch lächelnd.

Was in der Zeitkapsel zu sehen ist, finden nicht alle schön | © Francesca Trento

Endlich war es soweit. Die Turmkugel war unter dem Dach. Der Inhalt konnte sorgenlos herausgenommen und auf dem Tisch verteilt werden, was die Priorin auch tat. Sehr behutsam nahm sie die Dokumente Stück für Stück heraus, zeigte sie mit strahlendem Lachen, wie ein Kind, das ein Eis kriegt, der Menge. «Ach, diese Schrift! Die ist wunderbar», freute sie sich. Und begann vorzulesen.

Von einem wichtigen Abt war in einem Brief die Rede, der im Kloster weilte, um sich von einer schweren Krankheit zu erholen. «Er will uns zwar schon wieder verlassen, doch man hat Mühe Vorgesetzte zum Gehorsam zu bringen. Es wird bei euch jetzt noch nicht besser sein», so der Schreiber. Die Reise in die Vergangenheit zeigte eines: Humor hatten die damaligen Brüder und Schwestern gewiss.

Als die Franzosen kamen

Doch zum Leben gehört nebst Humor auch Düsteres. Eines der Dokumente beschreibt den Franzoseneinfall in die Schweiz 1798-1799. Mit «Schwefel und Feuerkraft» stürmten im Jahr 1799 «viele tausend Mann auf unser liebes Gotteshaus» (…) «Wir lagen ganz entkräftet wie Lämmer in unseren Zellen, in Todesangst.» Solche beängstigende Zeilen las Thomas Fässler, Benediktiner aus Einsiedeln, vor.

«Wir weben alle an einem grossen Teppich»

Verfasst wurde der Brief erst 1804. Eine Schwester mutmasst, dass die Brüder lange vom Vorfall geschockt waren und deshalb erst so viel später darüber berichteten. Denn «40’000 Mann» seien auf das Kloster gestürmt, die Brüder bangten um ihr Leben. Doch ein Wunder geschah – so glaubt man jedenfalls im Kloster Fahr. Denn bis heute ist noch unklar, wieso niemand verletzt wurde und die Mauern noch stehen. «Ich habe schon gehört, dass ein Nebel das Kloster unsichtbar gemacht hätte und deshalb die Franzosen das Kloster nicht gesehen haben», meinte eine Schwester geheimnisvoll.

Thomas Fässler liest über den Franzoseneinfall vor| © Francesca Trento

Diese Reise in die Vergangenheit hat bei vielen grossen Eindruck hinterlassen. «Es führt einem ins Bewusstsein, dass wir alle an einem grossen Teppich weben.» Die Öffnung der Turmkugel hinterliess bei Fässler diesen Eindruck. «Es wurde mir soeben wieder bewusst, dass wir an diesem weiterweben, dass andere Menschen hier gelebt und gewirkt haben. Die Welt ist die gleiche, die Nöte und Sorgen sind die gleichen. Das Gebäude ist das gleiche, aber die Menschen kommen und gehen.»

Frauen schreiben Geschichte

Bis jetzt webten immer Männer am Teppich. Alle bisherigen Dokumente und Briefe in der Turmkugel wurden von Männern verfasst. Zum ersten Mal verfassen dieses Mal die Frauen den Brief an die nächste Generation. Darin wird laut der Priorin sicher etwas von der Klostersanierung stehen. Aber vielleicht haben auch ein zwei Witze darin Platz.

Über das ganze Gesicht strahlt Priorin Irene Gassmann | © Francesca Trento
11. August 2017 | 12:42
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Turmkugel im Kloster Fahr

In den Turmkugeln auf den Turmspitzen der Kirchen befinden sich oft Dokumente und Schreiben von früher. Informationen über das Geschehen zu eben dieser Zeit sind darin festgehalten. Das kann von Preisen von Waren bis zu neuen Erfindungen der Zeit und «Trends» gehen, war am Medienanlass zu erfahren. Die Kugel im Kloster Fahr wird in unregelmässigen Abständen geöffnet. Dieses Jahr fand die Öffnung in Zusammenhang mit der Turmsanierung statt.

Die älteste Schrift der Turmkugel im Kloster Fahr stammt aus dem Jahr 1804. Die jüngste aus dem Jahr 1965. Dieses Mal wird zum ersten Mal eine Frau den Brief verfassen: Priorin Irene Gassmann.

Die Dokumente aus der Zeitkapsel werden nun digitalisiert und archiviert. Damit ist der Erhalt der Schriften besser gewährleistet. Wann das aktuelle Schreiben hinzugefügt und die Kugel wieder auf den Turm angebracht wird, ist noch unbestimmt.