Stefan Hesse, Erzbischof von Hamburg, während des Eröffnungsgottesdienstes zur Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am 21. September 2021 in Fulda.
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Missbrauchsprozess: Hamburger Erzbischof muss vor Gericht aussagen

Das Kölner Missbrauchsgutachten belastet den Hamburger Erzbischof Stefan Hesse stark: Er habe Pflichtverletzungen begangen. Nun wird er als Zeuge vernommen. Er ist nicht der einzige hohe kirchliche Würdenträger, der vorgeladen wird.

Im Missbrauchsprozess vor dem Landgericht Köln werden gegen einen katholischen Priester prominente Geistliche auftreten. Am 13. Januar wird der ehemalige Top-Jurist des Erzbistums Köln und frühere Offizial Günter Assenmacher (69) gehört. Das bestätigte das Landgericht Köln der Katholischen Nachrichten-Agentur.

Am 18. Januar sagt der Hamburger Erzbischof Stefan Hesse (55) aus. Er war in den Jahren 2010 und 2011 als Personalchef in Köln mit dem Fall befasst. Damit werden erstmals in Deutschland zwei ranghohe Kirchenvertreter in einem Missbrauchsverfahren als Zeugen vernommen.

Missbrauch als interne «Familiensache» abgetan

Laut Anklageschrift soll sich der frühere Pfarrer U. zwischen 1993 und 1999 in 31 Fällen an seinen drei minderjährigen Nichten vergangen haben – davon in drei Fällen schwer. 2010 wurde der Priester von seiner Nichte angezeigt. Später zog sie ihre Anzeige jedoch zurück. Dem früheren Offizial wird vorgeworfen, dass er den Missbrauch an den Mädchen als interne «Familiensache» abtat.

Priester U. soll mehrere Kinder missbraucht haben, darunter auch seine Nichten. (Symbolbild)
Priester U. soll mehrere Kinder missbraucht haben, darunter auch seine Nichten. (Symbolbild)

Im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung rollte das Erzbistum Köln den Fall erneut auf. 2020 erfolgte die Anzeige der Staatsanwaltschaft. Diesmal treten alle drei Nichten als Nebenklägerinnen auf – und eine weitere mutmassliche Betroffene. Sie sagt, U. habe sich 2011 zwei Mal an ihr vergangen.

Noch weitere Betroffene

Die bisherigen Zeugenbefragungen vor Gericht deuten zudem darauf hin, dass es noch weitere Betroffene geben könnte – etwa die Töchter von Bekannten und Weggefährtinnen. Schwer belasten dürften den Angeklagten auch die Aussagen seiner Pflegetochter. Die heute 55-Jährige lernte U. in den 1970er Jahren in einem Kinderheim in Bonn kennen, in dem er während seines Theologiestudiums arbeitete.

Demonstrantin mit Schild: "Keine Vertuschung bei Missbrauchsschuldigen!" am 30. Januar 2020 in Frankfurt.
Demonstrantin mit Schild: "Keine Vertuschung bei Missbrauchsschuldigen!" am 30. Januar 2020 in Frankfurt.

Priester soll Mädchen geschwängert haben

Er nahm das Mädchen sowie einen Jungen aus dem Heim mit zu sich ins Pfarrhaus, wofür er eine Genehmigung des Erzbistums und des Jugendamts erhielt. Es soll zu sexuellen Übergriffen gegen die damals etwa zwölfjährige Pflegetochter gekommen sein. Zweimal sei sie von U. schwanger gewesen, erklärte die Frau vor Gericht. Beide Schwangerschaften seien durch Abtreibung beendet worden.

U. durfte wieder als Krankenhauspfarrer arbeiten

Gegen U. ermittelte die Staatsanwaltschaft bereits 2010. Die Klägerin und Nichte des Beschuldigten zog ihre Anzeige allerdings zurück. Das Verfahren wurde eingestellt, und der Geistliche, der zeitweise beurlaubt war, durfte wieder als Krankenhauspfarrer arbeiten. Das Erzbistum verzichtete auf weitere Massnahmen und meldete die Vorwürfe auch nicht an den Vatikan.

2018 rollte Erzbischof Rainer Maria Woelki den Fall im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung wieder auf. Der Kardinal meldete ihn an die Behörden und untersagte U. die Ausübung priesterlicher Dienste. 2020 klagte die Staatsanwaltschaft den früheren Pfarrer schliesslich an.

Kardinal Rainer Maria Woelki im Kölner Dom.
Kardinal Rainer Maria Woelki im Kölner Dom.

Für den Prozess, der ursprünglich 20 Verhandlungstage dauern sollte, setzte das Gericht mittlerweile insgesamt 29 Termine bis zum 25. Februar an. In der bisherigen Verhandlung deutete sich an, dass es weitere Opfer geben könnte.

Hesse habe pflichtwidrig gehandelt

Die Anschuldigungen von 2010 kommen auch in einem Aufarbeitungsgutachten für das Erzbistum Köln vor, das Juristen vergangenen März vorstellten. Die Gutachter werfen Assenmacher und Hesse vor, Fehler im Fall U. gemacht zu haben: So habe Assenmacher eine falsche Rechtsauskunft darüber gegeben, ob das Erzbistum eine Meldung nach Rom hätte machen müssen. Hesse habe ein Verhör U.s durch Bistumsverantwortliche pflichtwidrig nicht protokollieren lassen.

Nach der Vorstellung des Gutachtens entliess Woelki den Top-Juristen und Leiter des Kirchengerichts aus seinen Ämtern. Hesse bot dem Papst seinen Rücktritt als Hamburger Erzbischof an, den Franziskus jedoch ablehnte. (kna)


Stefan Hesse, Erzbischof von Hamburg, während des Eröffnungsgottesdienstes zur Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am 21. September 2021 in Fulda. | © KNA
10. Januar 2022 | 18:13
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