Mentari Baumann, Geschäftsführerin der kirchlichen Reformbewegung «Allianz Gleichwürdig Katholisch»
Schweiz

Mentari Baumann: «Der Segen für alle reproduziert, was falsch und was richtig ist»

Was der Segen für alle auslöst, weshalb das Privatleben für römisch-katholische Kirchenmitarbeitende in der Schweiz nicht privat ist und woher sie die Energie nimmt, sich für Gleichberechtigung in der Kirche einzusetzen, erzählt Mentari Baumann im Podcast «Laut + Leis».

Sandra Leis

Und sie bewegt sich doch: Das dachten viele Katholikinnen und Katholiken, als sie kurz vor Weihnachten hörten, dass der Papst jetzt den Segen für alle erlaubt. Noch 2021 hat der Vatikan einen solchen Segen kategorisch abgelehnt. 

Auch Mentari Baumann, Geschäftsführerin der kirchlichen Reformbewegung «Allianz Gleichwürdig Katholisch» war positiv überrascht, als sie die Schlagzeile las: «Ich dachte: Wow, cool, wirklich?»

Paare «in irregulären Situationen»

Nach der Lektüre des päpstlichen Schreibens kühlte sich die Euphorie deutlich ab. Denn der Vatikan spricht von Paaren «in irregulären Situationen». Damit meint er wiederverheiratete Geschiedene, Menschen im Konkubinat sowie gleichgeschlechtliche Paare.

Der Vatikan erlaubt jetzt den Segen für alle. Im Bild: Die Offene Kirche Elisabethen in Basel.
Der Vatikan erlaubt jetzt den Segen für alle. Im Bild: Die Offene Kirche Elisabethen in Basel.

«Wer von Paaren ‹in irregulären Situationen› spricht, entwürdigt diese Menschen und schaut sie nicht als gleichberechtigt an», sagt Baumann. Das schaffe eine Zweiklassengesellschaft. «Der Segen für alle reproduziert, was falsch und was richtig ist.»

Sakrament der Ehe bleibt unangetastet

Damit niemand auf die Idee kommt, den Segen für alle mit dem Sakrament der Ehe zu verwechseln, gibt es zahlreiche Einschränkungen: Der Segen darf nicht während der Eucharistiefeier stattfinden und nicht vor dem Altar. Das Tragen von Hochzeitskleidern und der Tausch von Ringen ist untersagt.

Segen für alle: ein Tausch der Ringe ist nicht erlaubt.
Segen für alle: ein Tausch der Ringe ist nicht erlaubt.

Und: Laut Erklärung darf den Segen nur erhalten, wer seine sexuelle Orientierung nicht auslebt. Das klingt in den Ohren vieler Gläubiger sehr weltfremd und ist es auch für die «Allianz Gleichwürdig Katholisch». «Wir vertreten Menschen, die aus Sicht des Vatikans in ‹in irregulären Situationen› leben und zu ihrer Sexualität stehen. Wir fordern, dass alle konsensbasierten Beziehungen als gleichwürdig behandelt werden», sagt Mentari Baumann.

Grosse Freude bei der Mutter

Trotz dieser Kritikpunkte begrüsst sie den Schritt des Vatikans: «So enttäuscht wie wir hier in der Schweiz sind, andernorts hilft es dann doch im Gespräch.» 

Für ihre Mutter, eine Katholikin aus Indonesien, sei der Segen «ein mega wichtiger Schritt». Denn sie könne jetzt sagen: «Hey, meine Tochter darf gesegnet werden.» Ähnlich gehe es den Verwandten in Indonesien, wo Homosexualität nicht erlaubt ist. «Auch für sie ist es jetzt einfacher, über meine Frau und mich zu sprechen, weil der Papst hat ja gesagt, wir dürften gesegnet werden», sagt Baumann.

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Dank ihrer indonesischen Wurzeln (der Vater ist ein Berner Protestant) hat sie stets auch die Realitäten von Menschen im Blick, die nicht in der Schweiz leben. Sie sagt: «Wir können keine Gleichzeitigkeit erwarten, denn es gibt zahlreiche Menschen auf dieser Welt, die werden wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt oder gar getötet.»

Privatleben ist nicht privat

In der Schweiz sind Segnungen von nichtverheirateten und gleichgeschlechtlichen Paaren und geschiedenen Wiederverheirateten vielerorts schon Realität. Da ändert sich wenig.

Meinrad Furrer (l.) segnet ein lesbisches Paar, Juni 2021.
Meinrad Furrer (l.) segnet ein lesbisches Paar, Juni 2021.

Anders sieht es beim Personal der römisch-katholischen Kirche aus. Wer in der Schweiz in einer sogenannten «irregulären Situation» lebt, riskiert bis heute eine Kündigung oder läuft Gefahr, die Erlaubnis für ein Amt, die Missio canonica, nicht zu erhalten. 

«Out in Church funktioniert dank der Menge»

In Deutschland ist man diesbezüglich einen grossen Schritt weiter: Vor zwei Jahren haben kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch Menschen, die ehrenamtlich für die Kirche arbeiten, ihr Queer-Sein öffentlich gemacht. «Out in Church» heisst die Bewegung, und sie hat erreicht, dass die Bischöfe Deutschlands das kirchliche Arbeitsrecht angepasst haben: Die private Lebensführung ist kein Kündigungsgrund mehr.

Auf die Frage, weshalb sich reformfreudige Schweizer Katholikinnen und Katholiken nicht «Out in Church» zum Vorbild genommen haben, sagt Mentari Baumann: «Out in Church funktioniert dank der Menge. In Deutschland sind viel mehr Menschen betroffen und haben so den nötigen Druck aufbauen können.»

Die Bewegung «Out in Church» hat in Deutschland eine Anpassung im kirchlichen Arbeitsrecht erreicht.
Die Bewegung «Out in Church» hat in Deutschland eine Anpassung im kirchlichen Arbeitsrecht erreicht.

Hinzu komme, dass es in der Schweiz kein separates, kirchliches Arbeitsrecht gibt. «Gemäss Schweizer Arbeitsrecht darf die private Lebensführung kein Kündigungsgrund sein. Die Mechanismen, die zu einer Kündigung führen oder Nicht-Beförderung zur Folge haben, sind deshalb in der römisch-katholischen Kirche viel subtiler.»

Mentari heisst Sonne

Gleichwohl sei das Ziel klar: Das Privatleben müsse auch für kirchliche Angestellte privat sein. Schützenhilfe bekommt die «Allianz Gleichwürdig Katholisch» von der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ): Sie hat im Herbst dieselbe Forderung an die Schweizer Bischöfe gestellt.

Mit der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» setzt sich Mentari Baumann ein für Gleichberechtigung in der Kirche.
Mit der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» setzt sich Mentari Baumann ein für Gleichberechtigung in der Kirche.

Wer für Gleichberechtigung in der römisch-katholischen Kirche kämpft, braucht einen langen Atem: Den hat Mentari Baumann. Sie verweist auf ihre Weggefährten («Ich mache das nicht allein») und auf ihr Alter: «Ich bin dreissig Jahre jung. Das heisst, ich kämpfe nicht schon seit fünfzig Jahren für die gleichen Anliegen und erhalte die immergleichen Antworten. Vermutlich bin ich deshalb noch voller Elan.»

Auch mit ihrem Vornamen macht sie ihrem Engagement alle Ehre: Mentari ist indonesisch und heisst Sonne.


Mentari Baumann, Geschäftsführerin der kirchlichen Reformbewegung «Allianz Gleichwürdig Katholisch» | © Sandra Leis
2. Februar 2024 | 09:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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