Schweineherz-Transplantation an der University of Maryland
Theologie konkret

Mensch mit Schweineherz? «Die Tier-Mensch-Grenze wird nicht verwischt»

Jochen Sautermeister (46) hat den Lehrstuhl, den einst der Glarner Theologe Franz Böckle hatte: den Lehrstuhl für Moraltheologie an der Uni Bonn. Was hält Sautermeister von der weltweit ersten Transplantation eines Schweineherzens in einen menschlichen Körper?

Raphael Rauch

In den USA hat diese Woche zum ersten Mal hat ein Mensch ein genetisch verändertes Schweineherz transplantiert bekommen. Wie sehen Sie das?

Jochen Sautermeister*: Es war nur eine Frage der Zeit, bis das geschieht. Seit Jahrzehnten wird hier bereits geforscht. Das ist ein grosser Erfolg und ein wichtiger Schritt für die Medizin. Er dürfte vergleichbar sein mit der ersten Herztransplantation von Mensch zu Mensch vor über 50 Jahren. Heute wissen wir, dass die Transplantationsmedizin vielen Menschen hilft. Grundsätzliche sehe ich keine Einwände. Es geht darum, Leben zu retten.

«Eine informierte Zustimmung liegt vor.»

Der Patient in den USA hat offenbar vor der Operation kommuniziert, dass es eine Entscheidung über Leben und Tod war: «Ich weiss, es ist ein Schuss ins Dunkel, aber es ist meine letzte Chance.» Gibt es aus ethischer Sicht Gründe, die Schweineherz-Transplantation nicht gut zu finden?

Sautermeister: Da es sich hierbei um eine informierte Entscheidung des Patienten gehandelt hat und er sich aus freien Stücken dazu entschlossen hat, liegt die Bedingung des sogenannten «informed consent» vor, also einer informierten Zustimmung. Damit verwirklicht er sein Recht auf Patientenautonomie. 

Aus einer lebensweltlichen Perspektive ist es gut, dass die Frau und die Familie des Patienten der Operation auch zugestimmt haben. Eine solche Akzeptanz hilft sicherlich dem Patienten, aber auch der ganzen Familie, mit der Situation umzugehen.

Der Patient (links) mit seinem Sohn.
Der Patient (links) mit seinem Sohn.

Ist der Patient ein menschliches Versuchskaninchen? Wir wissen nicht, wie erfolgreich die Transplantation ist.

Sautermeister: Ich wäre mit der Bezeichnung «menschliches Versuchskaninchen» sehr zurückhaltend. Um solche medizinischen Eingriffe vornehmen zu können, bedarf es langjähriger vorklinischer Studien auch im Tiermodell. Dies ist sogar rechtlich vorgeschrieben. Es gibt im Falle der Xenotransplantation auch Standards für vorklinische Versuche, was erforderliche Erfolgs- und Qualitätskriterien für die Transplantation von Schweineherzen in nicht-menschliche Primaten sind, bevor die Anwendung am Menschen erfolgt. Erst wenn diese erfolgreich verlaufen, lässt sich ein solcher Heilversuch wie jetzt jüngst in den USA medizinisch verantworten. Die Transplantation findet also nicht im luftleeren Raum statt, sondern es gibt schon viele naturwissenschaftliche und medizinische Vorarbeiten.

«Angesichts des drohenden Todes wird die Ungewissheit, wie der Eingriff verlaufen wird, relativiert.»

Hinzu kommt die Extremsituation des Patienten: Er ist lebensgefährlich am Herz erkrankt und hatte keine Aussicht auf ein menschliches Spenderherz. Für ihn war die Transplantation eines Schweineherzens gewissermassen seine letzte Chance. Angesichts des drohenden Todes wird die Ungewissheit, wie der Eingriff verlaufen wird, relativiert. Bei der ersten Herztransplantation von Mensch zu Mensch vor etwa 54 Jahren war dies auch so.

Entnahme des Schweineherzens
Entnahme des Schweineherzens

Welche ethischen Aspekte sind aus Ihrer Sicht zentral?

Sautermeister: Gerade beim ersten Einsatz von neuen medizinischen Technologien am Menschen sind drei Leitfragen wichtig. Erstens: Gibt es hinreichende wissenschaftliche und medizinische Vorklärungen durch vorklinische Studien? Zweitens: Kommt eine Güterabwägung zum Schluss, dass es aufgrund von fehlenden Therapieoptionen bei einer lebensgefährlichen Erkrankung keine andere Möglichkeit gibt? Und drittens: Liegt eine informierte Zustimmung des Patienten vor?

«Wenn die Eignung gegeben ist, ist ein menschliches Herz aber physiologisch passender als ein Schweineherz.»

Welchen Unterschied macht es aus ethischer Sicht, ob ein Herz von einem Schwein oder von einem verstorbenen Menschen kommt?

Sautermeister: Entscheidend ist zuerst einmal die medizinische Erfolgsaussicht: Welches Herz ist mit dem Organismus des Organempfängers kompatibel? Nicht jedes menschliche Herz eignet sich physiologisch für eine Transplantation. Wenn die Eignung gegeben ist, ist ein menschliches Herz aber physiologisch passender als ein Schweineherz.

Als Problem kommt hinzu: Es gibt zu wenig geeignete Spenderorgane und die Organverteilung läuft angesichts knapper Ressourcen nicht immer gerecht ab.

Ein Schwein
Ein Schwein

Es gibt auch einen psychischen Aspekt: Die psychische Integration des neuen Herzens in die eigene Identität spielt auch eine Rolle. Was bedeutet es für den Organempfänger, wenn er ein menschliches oder tierisches Herz eingepflanzt bekommt? Hierbei sind soziokulturelle und religiöse Aspekte nicht unerheblich hinsichtlich der soziokulturellen Akzeptanz. 

Nicht vergessen werden darf auch die Frage nach der Praktikabilität: Während es bei einer Herztransplantation nach postmortaler Organspende sehr schnell gehen muss, damit das Organ erhalten bleibt, liessen sich Transplantationen mit tierischen Organen viel besser planen und absehbar organisieren.

Jochen Sautermeister ist Dekan der Bonner Fakultät. Hier mit dem Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey.
Jochen Sautermeister ist Dekan der Bonner Fakultät. Hier mit dem Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey.

Welche ethischen Fragen stellen sich noch?

Sautermeister: Ethisch relevant ist auch die Frage, ob mit einer Xenotransplantation Krankheitserreger von Tier auf den Menschen übertragen werden können, insbesondere bestimmte Viren, gegen die das menschliche Immunsystem nicht gut gewappnet ist und die vom Organempfänger auch auf andere Menschen übertragen werden können. Auch hierzu gibt es erhebliche Forschungsbemühungen, um das Risiko zu minimieren, wenngleich eine gewisse Restunsicherheit nicht auszuschliessen ist. 

«Es stellen sich Haftungs- und soziale Zustimmungsfragen.»

Wie geht die Forschung mit dieser Restunsicherheit um?

Sautermeister: Es ist wichtig, auf ein medizinisches Monitoring zu setzen, um hier – im worst case – rechtzeitig reagieren zu können. Es stellen sich damit also Haftungs- und soziale Zustimmungsfragen, die über die individuelle Zustimmung des Patienten hinausgehen. Darum ist auch ein gesellschaftlicher Diskurs zu diesem Thema wichtig.

Symbiose von Mensch und Technik
Symbiose von Mensch und Technik

Hebt die neue Transplantationsart die Mensch-Tier-Grenze auf?

Sautermeister: Nein, das ist nicht der Fall. Solche Fragen diskutieren wir aber durchaus: Werden die Gattungsgrenzen zwischen Mensch und Tier überschritten? Verändert sich der Mensch wesentlich durch ein solches Xenotransplantat? Oder wird dadurch ein Mensch-Tier-Mischwesen im Sinne neuer Lebewesen geschaffen? Hierfür sehe ich aber keine Anzeichen. 

«Wo die Identität des Menschen verletzt würde, liegt eine moralische Grenze.»

Welche Grenzen sollte die Xenotransplantation haben?

Sautermeister: Die Xenotransplantation wäre dann ethisch nicht mehr vertretbar, wenn die biologische Grenze zwischen Mensch und Tier überschritten oder klar verwischt würde. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn sich Mensch-Tier-Mischwesen bilden würden – indem etwa die Keimbahn, also die Bildung von Ei- und Samenzellen des Menschen, beeinflusst und verändert würde. Man kann sagen: Überall dort, wo die Identität des Menschen und das praktische Selbstverständnis des Menschen in seiner Würde verletzt oder beeinträchtigt würde, liegt eine moralische Grenze. Dann wären wir auch nicht mehr so einfach in der Lage, uns moralisch mit diesen neuen Lebewesen zu orientieren. Eine weitere Grenze besteht dort, wo der Tierschutz und das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt würden. 

Schweineherz-Transplantation an der University of Maryland
Schweineherz-Transplantation an der University of Maryland

Ist die Hoffnung berechtigt, Xenotransplantation könnte den massiven Bedarf an Spendeorganen decken – und so auch dem kriminellen Organhandel das Handwerk legen?

Sautermeister: Mit der Xenotransplantation verbindet sich in der Tat die Hoffnung, ein probates Mittel zu finden, um einem Mangel an Spenderorganen abzuhelfen. Bei genauerer Betrachtung muss man jedoch sagen, dass es sich ja um ganz verschiedene Organe und Gewebe handelt. Insofern muss hier differenziert werden. Umso komplexer das Zusammenspiel zwischen dem tierischen Organ und dem menschlichen Organismus ist, umso schwieriger wird es. Ich wäre daher vorsichtig, hier schnelle Hoffnungen auf eine breit etablierte medizinische Praxis schüren zu wollen. 

Ausserdem gibt es ja auch andere Richtungen in der biomedizinischen Forschung, um den Organmangel zu beheben, wie im Bereich der Gewebe- und Organzüchtung. Aber auch hier ist es noch ein langer Weg. 

Klar ist auf jeden Fall: Je besser der Organmangel auf medizinisch machbare und ethisch verantwortbare Weise behoben werden kann, desto mehr wird ein krimineller Organhandel zurückgedrängt.

Die Schöpfung - hier in der Kapelle des Uni-Spitals Zürich.
Die Schöpfung - hier in der Kapelle des Uni-Spitals Zürich.

Die Zeiten sind vorbei, in denen sich die Menschheit ungefragt als Krone der Schöpfung sehen kann. Wie steht es um das Schwein aus ethischer Sicht?

Sautermeister: Die Tierethik diskutiert die Frage: Ist es ethisch vertretbar, Tiere speziell zum Zweck der Organerzeugung zu züchten? Die Anstrengungen um Xenotransplantation sollten nur solange verfolgt und betrieben werden, bis es andere therapeutische Verfahren zur Gewinnung von Spenderorganen gibt, die medizinisch mindestens genauso gut, in der Herstellung verfügbar und ethisch vertretbar sind. Aber auch hier ist es noch ein weiter Weg.

«Das Leben des Menschen steht über dem des Tieres.»

Das heisst?

Sautermeister: Es ist sehr gut, dass in den letzten Jahrzehnten die Sensibilität gegenüber dem Eigenwert der Tiere gewachsen ist. Es gilt den Aspekt des Tierwohls und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Sinne des Tierschutzes zu beachten. Aber solange das Schwein selbstverständlich gegessen und anderweitig genutzt wird, sehe ich keinen zwingenden Grund, die Xenotransplantation abzulehnen. Hier sieht man, wie die Tierethik in weitere ethische Aspekte und gesellschaftliche Praktiken einzubetten ist. Bei den monotheistischen Religionen steht aufgrund des Grundsatzes des Lebensschutzes und unter Betonung eines achtsamen und verantwortungsvollen Umgangs mit Tieren das Leben des Menschen über dem des Tieres.

* Jochen Sautermeister (46) ist seit 2015 Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Universität der Uni Bonn. Seit 2020 ist er Dekan der Fakultät. Seit zehn Jahren leitet er ein theologisch-ethisches Forschungsprojekt zur Xenotransplantation.

16.01.2022, 16 Uhr: Wir haben das Alter korrigiert: Jochen Sautermeister ist 46, nicht 47.


Schweineherz-Transplantation an der University of Maryland | © University of Maryland
16. Januar 2022 | 05:00
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