Max Frisch (1911-1991)
Schweiz

Max Frisch (1911-1991): «Gott als das Lebendige in jedem Menschen»

Zürich, 4.4.16 (kath.ch) Heimat, Selbstbild, die Suche nach Identität: In der Flüchtlingskrise gewinnen diese Themen an Brisanz. Der vor 25 Jahren verstorbene Max Frisch hätte dazu sicher etwas zu sagen gehabt – und sicher etwas Interessantes.

Paula Konersmann

Der Schweizer Schriftsteller befasste sich intensiv mit diesen Problemen des postmodernen Menschen. Seine Romane gehören zum Kanon der Schullektüre, seine Heimatstadt Zürich ehrte ihn unter anderem mit einem nach ihm benannten Literaturpreis. Am 4. April jährt sich sein Todestag zum 25. Mal.

Geboren am 15. Mai 1911 als Sohn eines Architekten, entwickelte der junge Max schnell Interesse sowohl an der Baukunst als auch an der Schriftstellerei. Am Gymnasium schrieb er erste Stücke, die er wegen mangelnden Erfolgs später vernichtete. Gleichwohl begann er ein Germanistik-Studium. Als Nebenfach wählte er Forensische Psychologie, von der er sich tiefere Einsichten in das Wesen des Menschen erhoffte.

Mit 20 veröffentlichte Frisch seinen ersten Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung», ein Jahr später den Essay «Was bin ich?». Eine Frage, die zentral für sein literarisches Werk werden sollte. Zunächst konzentrierte er sich jedoch auf den Journalismus, berichtete etwa von einer Balkan-Reise. Parallel dazu besuchte er weiterhin die Universität und schrieb sich 1936 für Architektur ein. Nach dem Diplom arbeitete er mehrere Jahre erfolgreich als Architekt.

Mit «Stiller» zum Erfolg

Endgültig zur Literatur gelangte Frisch über das Theater. 1944 wurde sein erstes Stück «Santa Cruz» am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. In den Folgejahren schrieb er mehrere Dramen, unter anderem eine Auseinandersetzung mit der soeben erfundenen Atombombe. Der Suhrkamp-Verlag veröffentlichte zudem eine Sammlung seiner Reiseberichte und Essays, bevor der Roman «Stiller» 1954 den Erfolg brachte, der Frisch dazu bewegte, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen.

Schon der erste Satz – «Ich bin nicht Stiller», behauptet die Titelfigur – greift sein Lebensthema auf. Frischs Folgeromane «Homo Faber» und «Mein Name sei Gantenbein» kreisen ebenfalls um gescheiterte Lebensentwürfe und die Frage «was wäre wenn?». Die Leistung der Literatur sei die Irritation, davon war Frisch überzeugt: Sie könne den Leser befreien oder betroffen machen. In jedem Fall bewahre sie die Utopie, die Möglichkeit einer anderen Welt

Bildnisverbot

Das biblische Gebot, sich kein Bildnis von Gott zu machen, bezog der Schriftsteller auch auf das Verhältnis der Menschen untereinander. «Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist», schrieb Frisch in sein veröffentlichtes «Tagebuch 1946 – 1949».  Ohne Liebe zwinge der Mensch sein Gegenüber und die gesamte Welt in klischeehafte Bilder – und versündige sich damit gegen sich selbst und gegen den anderen. Dementsprechend versuchen viele seiner Romanfiguren, sich von den Bildern zu befreien, die andere sich von ihnen gemacht haben. Eines der bekanntesten Beispiele ist der vermeintliche Jude Andri im Frischs Stück «Andorra», das noch heute zur klassischen Schullektüre gehört.

In den 1940er Jahren entwickelte Frisch eine grundsätzlich hinterfragende Haltung. In seinem Tagebuch notierte er, wer sich nicht mit Politik befasse, diene automatisch der herrschenden Partei. Später nannte er in einem Interview sein Ziel für das Alter: «Nicht weise werden, zornig bleiben.»

Nach mehreren Reisen in die USA, Japan und Jerusalem rückte das Thema Vergänglichkeit in den 70er Jahren stärker in Frischs Fokus. 1989 erhielt er die Diagnose Darmkrebs, zwei Jahre später verstarb er.

«Agnostiker, der jedes Glaubensbekenntnis verweigerte»

Bei der Trauerfeier in Zürich kam kein Geistlicher zu Wort. Der Philosoph Jürgen Habermas erklärte 2007 in der «NZZ», Frisch sei ein Agnostiker gewesen, «der jedes Glaubensbekenntnis verweigerte». Die Stiftskirche St. Peter habe er bei der Planung der eigenen Bestattung jedoch bewusst gewählt: Frisch habe damit «öffentlich die Tatsache dokumentiert, dass die aufgeklärte Moderne kein angemessenes Äquivalent für eine religiöse Bewältigung des letzten, eine Lebensgeschichte abschliessenden «rite de passage» gefunden hat.» (kna/sys)

 

Max Frisch (1911-1991)| © 1986 Keystone
4. April 2016 | 08:15
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