Martin Werlen: «Das Ordensleben ist zutiefst prophetisch»

St. Gallen, 27.1.16 (kath.ch) Jeweils im Januar lädt das Bistum St. Gallen zum Ordensleutetag, an dem über Herausforderungen und Chancen der Orden gesprochen wird. In seinem Impulsreferat gab Alt-Abt Martin Werlen seinen Mitbrüder und Mitschwestern einige aufrüttelnde Gedanken auf den Weg.

Vera Rüttimann

Die Jugendlichen, die auf einer Mauer vor der St. Galler Kathedrale in der Sonne sassen, nahmen ihren Blick von ihren iPhones. Den Anblick, der sich ihnen bot, kennen sie nur wohl von Filmen wie dem «Da Vinci Code»: In einer langen Prozession zogen, die Ministranten mit dem Weihrauchfass beschwingt vorne weg, über hundert Ordensleute in ihren unterschiedlichen Habits vom Klosterhof in die Kathedrale ein. Am Schluss des Zuges der St. Galler Bischof Markus Büchel als Gastgeber des Ordensleutetages.

Dramatische Situation

Zuvor versammelten sich die Ordensleute in einem Saal des Klosterhofs, um sich das Impulsreferat anzuhören. Es nimmt, neben dem Mittagessen im Pfalzkeller, jeweils einen besonderen Stellwert ein. Meist sind die Reden Stimmungsbarometer oder nehmen aktuelle Konflikte in der Gesellschaft auf. Diesmal war also Martin Werlen, Alt-Abt von Einsiedeln, an der Reihe. Die Erwartungen, auch die von Gastgeber Markus Büchel, waren hoch, denn wenn Werlen spricht, bleibt Spitzzüngiges selten aus. In gewohnt bissiger, aber humoriger Art legte der begnadete Referent vor den versammelten Ordensleuten denn auch den Finger auf die offenen Wunden der Kirche. Die Situation der Kirche sei dramatisch. «Wir erleben derzeit extreme Polarisierungen, viele verabschieden sich zudem von der Kirche. Die Kirche sieht alt aus», sagte er. Angebracht sei jetzt nicht Klagen, sondern mutiges Handeln.

In diesem Kontext erinnerte der Wallisser an Franz von Assisi, der wie Papst Franziskus heute eine prophetische Gestalt gewesen sei. Die Handlungen des italienischen Heiligen seien oft unerwartet, aber angebracht gewesen und hätten stets mitten ins Herz getroffen, weil sein Denken weit und offen gewesen sei. «Papst Franziskus und der Heilige Franziskus erinnern uns an etwas, was wir leider oft vergessen: Dass das Ordensleben von seinem tiefsten Wesen her eine prophetische Dimension hat.»

Der Alt-Abt erlebt die jetzige Situation der Kirche als eine Art Sackgasse, in der die einen im Auto sitzen bleiben und andere bestrebt sind, umzukehren. Für Werlen heisst Umkehren vor allem: Nahe bei den Menschen sein und Kirche nicht von oben, sondern von unten zu denken. Dazu rufe auch Papst Franziskus in seinen Schreiben auf. Martin Werlen: «Dieser Papst ermutigt uns Ordensleute dazu, unsere Berufung neu zu entdecken und zu leben.» Leider verhallen seine Botschaften noch immer in vielen Pfarreien und Ordensgemeinschaften lautlos. Er sei ein einsamer Rufer.

Erkennen, was ansteht

Martin Werlen kam in seinem Impulsreferat auch auf die «Durchsetzungsinitiative» der SVP zu sprechen. Die Kirche dürfe sie auf keinen Fall unterstützen. Er mahnte: «Wenn die Kirche hier schweigt, wird das auf sie zurückfallen. Dann erhält sie das System, statt prophetisch Zeugnis abzugeben.» Ein wichtiges Zeichen sind für den Benediktinerpater deshalb all die Pfarrer und Ordensgemeinschafen, die Flüchtlinge aufgenommen haben. Martin Werlen ist überzeugt: «Langfristig werden solche Handlungen die Kirche stärken, auch die Orden. Prophetisch sein heisst ja gerade, das zu erkennen, was gerade ansteht.» (vr)

 Bilder zu diesem Artikel sind direkt bei der Autorin zu beziehen unter: info@veraruettimann.com

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Martin Werlen am Ordensleutetag | © Vera Rüttimann
27. Januar 2016 | 15:21
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