Martin Walser im Jahr 2018 in Zürich.
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Martin Walser: «Die deutlichste Überwindung von Tod und Sterben ist das Schreiben.»

Martin Walser war einer der bedeutendsten deutschsprachigen Literaten der Nachkriegszeit. Nun ist der Schriftsteller im Alter von 96 Jahren gestorben. Walser war Katholik, Schweiz-Fan und oft unbequem, was ihm den Spitznamen «Querkopf vom Bodensee» einbrachte.

Christoph Arens

«Die deutlichste Überwindung von Tod und Sterben ist das Schreiben.» Martin Walser hat sich immer wieder mit der Vergänglichkeit auseinandergesetzt, zuletzt in seinem kurz vor dem 94. Geburtstag erschienenen Buch «Sprachlaub», einer Sammlung von Augenblickstexten, Aphorismen und Gedichten. Im vergangenen Jahr erschien «Das Traumbuch. Postkarten aus dem Schlaf», das er zusammen mit der Künstlerin Cornelia Schleime verfasste. Nun ist einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Nachkriegs-Schriftstellergeneration im Alter von 96 Jahren gestorben.

Ein literarischer Langestreckenläufer

Walser war ein literarischer Langstreckenläufer, der auch im hohen Alter neue Werke vorlegte. Rund 70 Erzählungen und Romane hat er seit 1955 veröffentlicht, dazu Theaterstücke und Hörspiele, Tagebücher, feinsinnige Aphorismen, Essays und Reden. Seine Helden und Antihelden sind oft in Konkurrenzkämpfen und Machthierarchien geschädigte Figuren, die es mit ihrer Umwelt und sich nicht leicht haben. Allerdings: Eine «Deutschstunde» oder «Blechtrommel», die ihm auch international Ruhm beschert hätte, war nicht dabei.

Martin Walser 1999 in Zürich.
Martin Walser 1999 in Zürich.

Der gelernte Journalist war zugleich Beobachter beim ersten Auschwitz-Prozess, setzte sich im Wahlkampf für Willy Brandt ein, wütete gegen den Vietnamkrieg und sorgte für Kontroversen quer durch alle politischen Lager: Der Deutschlandfunk bezeichnete ihn einmal als «Querkopf vom Bodensee»

Katholische Kindheit am Bodensee

Walser wurde 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren. Seine Erinnerungen an die katholische Kindheit im Wirtshaus seiner Eltern hat er im autobiografischen Roman «Ein springender Brunnen» 1998 festgehalten. Dort beschreibt er auch, wie seine tiefe Liebe zur Sprache entstanden ist. «Tu’s in deinen Wörterbaum. Zum Anschauen», sagt der Vater zu Johann, dem Alter Ego des Erzählers, wenn der Junge schwere Worte wie «Popocatepetl» oder «Rippenfellentzündung» hört und sieht.

Idyllische Landschaft: Claudia Opitz-Belakhal ist am Bodensee aufgewachsen.
Idyllische Landschaft: Claudia Opitz-Belakhal ist am Bodensee aufgewachsen.

Auch das Religiöse sei ihm seit Kindertagen vertraut, sagte er der «Zeit». «Religion war nichts Separates, sondern Alltäglichkeit.» Zwischen Religion und Schriftstellerei gebe es dabei durchaus Parallelen: «Die Literatur hat die Welt immer verklärt; das hat sie mit der Religion gemeinsam.»

Flakhelfer, Reporter, Schriftsteller

Der junge Walser besuchte von 1938 bis 1943 die Oberrealschule in Lindau, ehe er als Flakhelfer und als Soldat eingezogen wurde. In der Zentralkartei der NSDAP ist er mit dem Eintrittsdatum 30. Januar 1944 verzeichnet. Er selbst bestritt allerdings eine Mitgliedschaft. 1946 machte er das Abitur. Während des Studiums begann er, für den Süddeutschen Rundfunk als Reporter zu arbeiten. Eine Festanstellung ermöglichte ihm 1951 die Promotion in Tübingen mit einer Dissertation über Franz Kafka. Beim Stuttgarter Hörfunk baute er den Fernsehbereich mit auf.

Für Walser, der mit seiner Frau Käthe vier Töchter hat und ausserdem der leibliche Vater von Jakob Augstein ist, war Literatur lebensnotwendig. «Schreiben und Leben fielen bei mir fast von Anfang an zusammen.» Die Gruppe 47 lud ihn seit 1953 regelmässig ein. 1957 dann sein erster grosser Romanerfolg «Ehen in Philippsburg». 1978 sicherte die Novelle «Ein fliehendes Pferd» auch finanziell seine Unabhängigkeit.

Kommunisten-Freund und Blocher-Fan

Die politische Einordnung des Sprachmagiers änderte sich über die Jahrzehnte dramatisch: Freunde in der Kommunistischen Partei und eine Reise nach Moskau trugen ihm den Ruf ein, Sympathisant der DKP zu sein. Doch 1976 bekannte er, dass er die deutsche Teilung nicht ertrage. Lange vor dem Mauerfall betonte Walser, dass Deutschland zusammengehöre.

Walser nannte Blocher «ein Monument der Richtigkeit».
Walser nannte Blocher «ein Monument der Richtigkeit».

Oft hielt er sich auch in der Schweiz auf, er war bekennender Fan dieses Landes mit seiner liberalen Ordnung und fand zum Schrecken mancher Schriftstellerfreunde positive Worte zu Christoph Blocher, der er «ein Monument der Richtigkeit» nannte.

Streit mit Marcel Reich-Ranicki

Mit Marcel Reich-Ranicki lieferte sich Walser den berühmtesten Streit der deutschen Nachkriegsliteratur. Schon 1976 verriss der Literaturkritiker Walsers Roman «Jenseits der Liebe» als belanglos und miserabel – eine scharfe Kränkung von Walsers Selbstbewusstsein, die auch durch Lob für andere Werke nicht geheilt wurde.

In den 90er Jahren warf Reich-Ranicki Walser Nationalismus vor und kritisierte etwa, dass Auschwitz in dessen autobiografischem Roman «Ein springender Brunnen» gar nicht vorkomme. Bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 warnte Walser daraufhin vor einer Instrumentalisierung des Holocaust und einer «Auschwitz-Keule». Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignaz Bubis, sprach von «geistiger Brandstiftung». Walser fühlte sich vollkommen unverstanden.

Mit ihm führte Walser den berühmtesten Streit deutschen Nachkriegsliteratur: Marcel Reich-Ranicki.
Mit ihm führte Walser den berühmtesten Streit deutschen Nachkriegsliteratur: Marcel Reich-Ranicki.

Es wirkte wie eine Retourkutsche, als Walser dann in seinem Roman «Tod eines Kritikers» (2002) ganz offenkundig auf Reich-Ranicki anspielte. Frank Schirrmacher sprach in der FAZ vom «Spiel mit antisemitischen Klischees». Walser empfand die Diskussion als eine «Hinrichtung».

«schwierig, alt zu werden»

Vor einem Jahr übergab Walser seinen Vorlass an das Deutsche Literaturarchiv Marbach.  Bis zuletzt engagierte er sich in politischen Debatten, etwa bei der Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine. Zuletzt erschien im Frühjahr ein Band mit Gedichten unter dem Titel «Fisch und Vogel lassen grüssen». Es sei schwierig, alt zu werden, räumte der Literat mehrfach ein. «Aber ganz instinktiv wehrt man sich dagegen, dass Schluss ist», sagte er. «Den Tod gibt es für uns nicht. Was uns bevorsteht, ist das Sterben.» (kna/am)


Martin Walser im Jahr 2018 in Zürich. | © KEYSTONE/Gaetan Bally
29. Juli 2023 | 10:00
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