Pfarreileiter Martin Pedrazzoli vor der Katholischen Kirche in Elgg ZH.
Schweiz

Martin Pedrazzoli: «Hier hat sich ein anti-katholischer Brauch etabliert»

Am Aschermittwoch beginnt die 40-tägige Fastenzeit vor Ostern. In Elgg ZH ist der Tag seit jeher ein besonderer, denn dann wird der sogenannte «Äschli» gefeiert. Der spezielle Umzug mit militärischen und fasnächtlichen Zügen ist ein Brauchtum, das bis ins 16. Jahrhundert reicht. Pfarreileiter Martin Pedrazzoli erklärt, warum ein katholischer Feiertag in einem reformierten Landstädtchen gefeiert wird.

Sarah Stutte

Der Äschli in Elgg wird seit dem 16. Jahrhundert gefeiert. Wie ist diese Tradition entstanden?

Martin Pedrazzoli*: Der genaue Ursprung ist nicht ganz klar. In den Geschichtsbüchern steht, dass der erste Aschermittwoch nach der Reformation 1525 nicht mehr als Fasttag begangen wurde, sondern als durch die Gemeinde gesteuerter Festtag. An diesem gab es nun gratis zu essen und zu trinken.

Versammlung vor dem "Hauptquartier" in Elgg.
Versammlung vor dem "Hauptquartier" in Elgg.

Damit hat sich also ein anti-katholischer Brauch etabliert, um die Fastenzeit und die Spendung des Asche-Kreuzes zu torpedieren. Ein weiterer Einfluss ist militärischer Natur und hängt mit der Musterung zusammen. Sobald Elgg im 14. Jahrhundert eine eigene Fahne und eine eigene Truppe hatte, suchte man hier junge Buben und ledige Männer für das Militär.

«Katholisch am Äschli ist eigentlich nur der Name.»

Wurde der Äschli im Laufe der Jahre noch katholischer?

Pedrazzoli: Nein. Katholisch am Äschli ist eigentlich nur der Name. Der religiöse Einfluss hat sich komplett gelöst vom Aschermittwoch im traditionellen katholischen Sinn. Der Ritus, Gläubigen während der Messe Asche auf das Haupt zu streuen, ist mit der Reformation abgeschafft worden. Lange Zeit gab es deshalb gar keine aktiven Katholiken mehr in Elgg. Sie wurden erst später wieder in Elgg ansässig und mit ihnen hier 1961 wieder eine katholische Pfarrei gegründet.

Aschermittwoch
Aschermittwoch

Wie hat sich das Brauchtum über die Zeit entwickelt?

Pedrazzoli: Über die Jahrzehnte gab es immer wieder verschiedene Umzüge, es gab auch Historienspiele. In einem Jahr zelebrierte man den katholischen Bezug mit dem Aschekreuz. Dann hat sich aber verstärkt der militärische Ansatz mit der Hauptmannwahl und -rede, verbunden mit der Fasnacht, etabliert. In den katholischen Gebieten hört die Fasnacht mit dem Aschermittwoch auf und in den reformierten Regionen fängt sie erst an.

Die gesamte Äschli-Kompanie 2023.
Die gesamte Äschli-Kompanie 2023.

Dass der Äschli in einer reformierten Region eine katholische Komponente hat, macht ihn besonders. Könnte man sagen, er hat etwas Ökumenisches?

Pedrazzoli: In der Art, wie der Äschli gefeiert wird, durchaus. Das hat aber mehr mit unserer ökumenischen Tradition des Miteinanders in Elgg zu tun. Findet also ein Dorffest wie ein Äschli-Jubiläum statt, gibt es auch einen ökumenischen Gottesdienst. Im letzten Jahr stand das Mittelalter als Thema am Äschli im Vordergrund. Wir haben dazu einen mittelalterlichen Gottesdienst gestaltet, mit einem katholischen Anfangsteil, inklusive Rauchfass.

Die Katholische Kirche in Elgg ZH.
Die Katholische Kirche in Elgg ZH.

Die Aschermittwochs-Gesellschaft organisiert jährlich den Äschli. Mit welchem Zweck hat diese sich 1914 gegründet?

Pedrazzoli: Da es auch schon Bestrebungen gab, den Äschli abzuschaffen, hat sich der Verein formiert, um das Brauchtum in Elgg zu erhalten und zu pflegen. Im nächsten Jahr feiert die Aschermittwochs-Gesellschaft ihr 111. Jubiläum.

«Die Melodie der Trommler und Pfeifer hat fast etwas Gespenstisches.»

Der Äschli war immer ein Knabenumzug. Haben Frauen trotzdem in irgendeiner Form am Äschli teilgenommen?

Pedrazzoli: Am Fest offensichtlich schon im 16. und 17. Jahrhundert. So steht es im Buch der Elgger Geschichte. In der Auswahl der Kompanie jedoch nicht. Das ist aber heute die grosse Diskussion. Soll der Äschli laut Tradition weiterhin ein reiner Jungenumzug sein oder sollen auch Mädchen zugelassen werden? Bestrebungen, das Reglement aufzulockern gibt es, bisher ist es aber noch nicht so.

Im Morgengrauen des Aschermittwochs beginnt der Umzug.
Im Morgengrauen des Aschermittwochs beginnt der Umzug.

Wie sieht der Ablauf am Äschli aus?

Pedrazzoli: Am frühen Morgen des Aschermittwoch um 4 Uhr startet die Tagwacht mit dem Kanonenschuss. Tambouren und Pfeifer gehen daraufhin durch die Gassen und wecken die Einwohnerinnen und Einwohner. Ihnen folgen die Trommler und Pfeifer mit ihrer sehr charakteristischen Melodie. Das hat fast etwas Gespenstisches. Um 7 Uhr trifft sich die eigentliche Kompanie und zieht mehrmals durch das Dorf. Ein Höhepunkt ist sicher um 13 Uhr die Rede des Hauptmanns im Dorfkern. Um 8 Uhr ist dann der Zapfenstreich.

«Es gibt ganze Generationen, die vom Äschlifieber befallen sind.»

Wie ist der Äschli in der Bevölkerung verankert?

Pedrazzoli: Der Äschli ist einer der wichtigsten Brauchtümer in Elgg, weshalb ein sehr grosser Teil der Bewohnerinnen und Bewohner daran teilnimmt. Viele sind damit aufgewachsen. Es gibt ganze Generationen, die von diesem gewissen Äschlifieber befallen sind. Dort haben sowohl der Vater wie auch der Grossvater aktiv mitgemacht oder sind schon Hauptmann gewesen und dann packt es die Söhne und Enkel ebenso.

Mit Spannung wird jedes Jahr die Rede des Hauptmanns erwartet.
Mit Spannung wird jedes Jahr die Rede des Hauptmanns erwartet.

Wie viele Festfreudige wissen heute noch, dass die Fasnacht einen katholischen Hintergrund hat?

Pedrazzoli: Das wissen die Wenigsten. Der erste Pfarrer unserer katholischen Pfarrei machte sich Sorgen darüber, ob die Fastenzeit überhaupt eingehalten werden könnte, wenn gleichzeitig mit dem Äschli ein riesiges Dorffest stattfinde. Daraufhin holte er eine Dispens des Bischofs ein, damit die Elgger am Äschli teilnehmen können. Diese wurde dann erteilt mit der Auflage, den Fastentag nachzuholen.

Martin Pedrazzoli: "Katholisch am Äschli ist nur noch der Name."
Martin Pedrazzoli: "Katholisch am Äschli ist nur noch der Name."

Würden Sie sich persönlich wünschen, dass das Brauchtum wieder katholischer wird?

Pedrazzoli: Nein. Es ist gut so, wie es ist. Ich finde es positiv, dass in Elgg die Verbundenheit zur Kirche, aber auch zur Ökumene nach wie vor da ist. Es ist schön, dass wir mit unserem katholischen Teil auch dazu gehören und eingebunden werden.

*Martin Pedrazzoli ist Pfarreileiter der Katholischen Kirche in Elgg ZH.

Der Äschli

Seinen Namen hat der höchste Festtag im historischen Landstädtchen Elgg von der Kirche. Am Aschermittwoch wird den Gläubigen während der Messe Asche auf das Haupt gestreut oder ein Asche-Kreuz auf die Stirn gezeichnet. Der Aschermittwoch ist der erste Tag der 40-tägigen Fastenzeit. Nach der Auflegung der Asche spricht der Priester ein Gebet, das mit den Worten beginnt: «Gewähre uns, Herr, dass wir nun durch diese heiligen Fasten in die Reihen der Truppen Christi eintreten». Während diese Worte an 1. Mose 3, 19 anknüpfen, erinnert das Streuen der Asche an die Busse der Niniviten (im Propheten Jona 3, 5). Bereits 1628 schrieb Pfarrer Fäsi ins Pfarrbuch: «dass die Veranstaltung eines Knabenumzuges mit militärischem Charakter in das 16. Jahrhundert zurückreicht, denn der Umzug ‘lediger Knaben’ sei in Elgg ein alter Brauch». (sas)

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Pfarreileiter Martin Pedrazzoli vor der Katholischen Kirche in Elgg ZH. | © Sarah Stutte
12. Februar 2024 | 14:00
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