Martin Klöckener
Schweiz

Martin Klöckener: «In der Liturgie manifestiert sich die klerikale Macht»

Martin Klöckener* lehrte drei Jahrzehnte Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg. Mit cath.ch sprach der emeritierte Professor über den päpstlichen Einfluss auf die liturgische Praxis. Und über die Verbindung zwischen Liturgie und Missbrauch.

Gregory Roth, cath.ch / Adaption Annalena Müller

An der zweisprachigen Universität von Freiburg (Schweiz) fallen Klöckener schnell die grossen kulturellen Unterschiede zwischen der Deutsch- und der Westschweiz auf.

Deutschschweiz kritisch – Welschschweiz linientreu

Die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutsch- und Westschweizern zeigen sich auch ganz konkret am Liturgieverständnis. «Für frankophone Schweizer und Schweizerinnen gibt es Bücher und liturgische Regeln. Diese werden akzeptiert und nicht gross hinterfragt.»

In Freiburg  treffen Deutsch- und Welschschweiz aufeinander
In Freiburg treffen Deutsch- und Welschschweiz aufeinander

Anders sähe es bei Schweizern und Schweizerinnen aus dem deutschen Sprachraum aus. «Dort muss man zuerst begründen, warum es diese liturgischen Regeln gibt, und ihren Sinn erklären.» Dieser Unterschied sei sehr interessant, findet Klöckener.

Unterschiedliches Kirchenverständnis sorgt für Konflikte

Diese Mentalitätsunterschiede bringe die Deutschschweizer eher in Konflikte mit Rom. Der Liturgiker verweist auf eine Veröffentlichung des Vatikans aus dem Jahr 1997, welche die Möglichkeiten von Laien begrenzte. Das Dokument richtete sich primär gegen deutsch-schweizerische Praktiken. «Denn dort gab es bereits Pastoralmitarbeiter, die eine grosse Verantwortung in den Pfarreien und auch in der Liturgie hatten», so Klöckener.

Kurt Koch war früher Bischof von Basel – heute ist er Kurienkardinal.
Kurt Koch war früher Bischof von Basel – heute ist er Kurienkardinal.

Ein Jahr zuvor hatte der damalige Bischof von Basel, Kurt Koch, in einem Brief an seine Diözese Möglichkeiten zur Einbindung von Laien in der Pastoral formuliert. «Das waren Diskussionen, die ich hörte, als ich in der Schweiz ankam. Aber diese betrafen vor allem die Deutschschweiz und den Jura; weniger die Westschweiz», sagt der emeritierte Professor.

1980 verbietet der Vatikan Mädchen das Ministrieren

Martin Klöckener erinnert daran, dass die Einbindung von Laien ein langer Prozess war. Auf jeden Schritt nach vorne, folgte dabei mindesten einer zurück. So wurden 1972 Laienlektoren und -lektorinnen eingeführt. 1973 folgten Kommunionhelfer und -helferinnen.

Aber 1980 veröffentlichte dann die Kongregation für den Gottesdienst ein Dokument, das Mädchen als Messdienerinnen verbot. «Das war ein grosses Problem für viele Pfarreien, in denen es normal war, Mädchen unter den Messdienern zu haben.»

Messdiener und Messdienerinnen in Freiburg (i.Br.)
Messdiener und Messdienerinnen in Freiburg (i.Br.)

Als Johannes Paul II. 1980 Deutschland besuchte, waren daher Messdienerinnen an allen grossen Feiern beteiligt. Weder der Papst noch jemand aus der römischen Delegation reagierte darauf. Offiziell wurden die Mädchen jedoch erst 1994 als Messdienerinnen zugelassen.

Benedikt XVI. hat Spaltungen zugelassen

Unter Papst Benedikt XVI. kam die Frage der Wiederzulassung der Alten Messe (Liturgie von 1962) auf. «Auch wenn die Möglichkeit, in bestimmten Fällen und unter der Autorität des Diözesanbischofs zu zelebrieren, bereits vorher bestand, hat Benedikt XVI. die Frage weiter geöffnet», sagt Klöckener.

Papst Benedikt XVI. 2007 auf dem Petersplatz
Papst Benedikt XVI. 2007 auf dem Petersplatz

Denn der Papst erlaubte es jedem Priester, die Form des Ritus selbst zu wählen. «Damit schuf er eine Individualisierung.» Benedikt wollte die Einheit fördern, hat aber regelrechte Spaltungen zugelassen. «Bei der Frage geht es nicht nur um den Ritus. Sondern um eine Theologie, die dahintersteht.»

Franziskus will liturgische Spaltung überwinden

Während sich die Deutsche Bischofskonferenz darauf einigte, die Alte Messe nicht wieder einzuführen, wählte die französischsprachige Welt einen anderen Weg. Vor allem in Frankreich ist die Spaltung tief. Einige französische Bischöfe unterstützen die konservativen Positionen und feiern die Messen nach dem ausserordentlichen Ritus.

Papst Franziskus
Papst Franziskus

Mit dieser Spaltung ist Papst Franziskus nun konfrontiert. Dieser möchte, laut Klöckener, eindeutig zu einer einheitlichen Form der Liturgie zurückkehren: Der Form nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Spaltung der liturgischen Praxis habe aber nicht zu einer Krise der Liturgiewissenschaft geführt.

Krise des Missbrauchs betrifft auch Liturgie

Die Krise des sexuellen Missbrauchs hingegen betrifft die Liturgie durchaus, erklärt Martin Klöckener. «In der Liturgie manifestiert sich klerikale Macht.» Das fange schon bei der Kleidung an.

«Ich habe nichts gegen liturgische Gewänder. Ich bin davon überzeugt, dass sie notwendig sind, um die Funktionen ihrer Träger zum Ausdruck zu bringen.» Aber liturgische Gewänder könnten auch missbraucht werden: «Ich habe Situationen beobachtet, in denen sie eher dazu dienen, die Person, die sie trägt, zu heiligen oder zu vergöttlichen. Und das können wir nicht länger tolerieren.»

*Martin Klöckener wurde 1955 in Westfalen geboren. 1994 siedelte er mit seiner Familie nach Freiburg (Schweiz) über. Als Professor leitete er bis zum Oktober 2022 das Institut für Liturgiewissenschaft. Kürzlich fand seine Abschiedsvorlesung an der Universität Freiburg statt.


Martin Klöckener | © Regula Pfeifer
25. April 2023 | 15:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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