Marie-Louise Beyeler predigt im Festgottesdienst in Solothurn.
Schweiz

Marie-Louise Beyeler: «Fürchtet euch nicht: Von der Freude an Veränderung und vom Mut für Neues»

Die Präsidentin der Berner Landeskirche, Marie-Louise Beyeler, wirbt für Veränderungen in der Kirche: «Sagen, was Sache ist, gehört nicht gerade zu den kirchlichen Spezialitäten.» Dabei könnte das biblische «Fürchte dich nicht» leitend sein.

Marie-Louise Beyeler*

Wären die Geschehnisse um Johannes den Täufer herum ein Roman, würde er wohl den Titel «Fürchtet euch nicht» tragen, der Untertitel könnte lauten: «Zweifel, Zaudern und Zuversicht bei den Wegbereiter:innen der Zeitenwende».

Die Dramatis personae sind beachtliche Persönlichkeiten:

  • Der Priester Zacharias hat’s gerne wie gewohnt und ist Neuem gegenüber äusserst skeptisch;
  • seine Frau Elisabeth, gelassene Pragmatikerin mit Durchsetzungswillen;
  • ein namenloser Engel mit starkem Auftritt;
  • ein Engel namens Gabriel mit grossen Ansagen; 
  • Josef, Zimmermann und Zauderer; 
  • seine junge Verlobte Maria, unbekümmert und ihrem Schicksal ergeben;
  • Johannes, der Wegbereiter des Höchsten;
  • Jesus, der Sohn Gottes; 
  • Sowie Nachbarn aller Arten und Familienmitglieder mit Einmischungstendenzen.

Die Geschehnisse verweben sich ineinander: Während der Priester Zacharias an der Arbeit ist, erscheint ihm im Tempel ein Engel und kündigt ihm und Elisabeth einen Sohn an. 

Marie-Louise Beyeler im Gottesdienst neben Bischof Felix Gmür
Marie-Louise Beyeler im Gottesdienst neben Bischof Felix Gmür

«Fürchte dich nicht»

Nicht irgendein Bübchen soll das werden, sondern einer, der gross sein wird vor dem Herrn, der das Volk für den Herrn bereit machen wird. Trotz des «Fürchte dich nicht» des Engels zweifelt Zacharias und wird vom Engel kurzerhand mit Stummheit geschlagen. Von Elisabeth wird nicht viel erzählt, sie scheint froh zu sein, so spät doch noch Mutter zu werden – und zieht sich für längere Zeit zurück.

Parallel dazu erscheint in der Stadt Nazareth der jungen Maria der Engel Gabriel. Ein Kind soll sie empfangen, der Sohn des Höchsten soll das werden. Sie staunt und spricht ihr berühmtes «Fiat voluntas tua». Dagegen will – so erzählt es Matthäus – ihr Verlobter Josef das Weite suchen, aus Angst vor der Schande im Dorf. Auch hier heisst es «Fürchte dich nicht», ein Engel erscheint ihm im Traum, erklärt ihm den Sachverhalt von Marias Schwangerschaft und befiehlt ihm, zu ihr zu stehen. 

Zweifelnde Väter, gelassene Mütter, spezielle Söhne

Wir haben es also mit zweifelnden Vätern, gelassen im Strom der Geschehnisse stehenden Müttern und ihren je sehr speziellen Söhnen zu tun…

Johannes, der starke Retter, der Prophet des Höchsten, tritt nach langen Jahren in der Wüste öffentlich auf, fordert in seinen Predigten Gerechtigkeit und Umkehr und verstärkt seine Worte durch das Untertauchen der Gläubigen. Nun steht auch Jesus vor ihm und will sich taufen lassen. Ich müsste von dir getauft werden, sagt Johannes. Aber Jesus bleibt dran: Lass es nur zu!

Marie-Louise Beyeler ist Präsidentin der Landeskirche Bern und hält die Predigt anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz
Marie-Louise Beyeler ist Präsidentin der Landeskirche Bern und hält die Predigt anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz

«Dies ist mein geliebter Sohn» 

Hier verschlingen sich die Geschichten von Johannes und Jesus aufs Engste. Es scheint, als stehe die Zeit kurz still. 

Der, der sich als nicht würdig bezeichnet, dem anderen die Schuhe auszuziehen, taucht den anderen ein ins Wasser der Vergebung und Umkehr. «Dies ist mein geliebter Sohn, an IHM habe ich Gefallen», spricht die Stimme aus dem offenen Himmel und kündigt damit Jesus an als wahrhaftigen Sohn Gottes, als Messias.

Unverständnis, Angst, Zweifel

In Johannes dem Täufer erleben wir eine von Gott eingesetzte Vita der Verkündigung, immer auf das Neue, auf IHN, den Gottessohn hin. Es gibt verschiedene Interpretationen seiner Rolle, mir gefällt jene des Propheten des Übergangs. Während mit Jesu Geburt die Zeitenwende da ist, das Neue anbricht, ist Johannes in beiden Zeitaltern zuhause, als Wegbereiter und als Wegbegleiter Jesu.

Marie-Louise Beyeler ist Präsidentin der Landeskirche Bern (2. von links)
Marie-Louise Beyeler ist Präsidentin der Landeskirche Bern (2. von links)

Die Wegbereiter des Neuen stören den Lauf des Gewohnten. Die Engel-Ermahnungen «Fürchtet euch nicht» weisen bereits früh darauf hin, dass die beiden grossen Männer der Zeitenwende ihre Umgebungen aufs Höchste herausfordern. Die Reaktionen, Ängste und Befürchtungen der Menschen um Johannes und Jesus herum sind heftig. So gibt es in jeder Etappe der Geschehnisse Unverständnis, Angst, Zweifel, Verstummen, Spott und Rückzug. 

Wie gehen wir mit dem Reformstau um?

Und heute? Wie gehen wir mit Schwierigkeiten um? Mit dem Reformstau? Mit Krisen und Konflikten? Mit dem «fade out» von Glauben und Kirche in unserer Gesellschaft? Sagen, was Sache ist, gehört nicht gerade zu den kirchlichen Spezialitäten. Weggehen, wenn’s schwierig wird, ist schon fast Programm. Aus Angst vor Veränderungen schauen viele gerne zurück in gute alte Zeiten, die es nie gab.

Aber: Wir sehen einfach den Engel nicht, der uns losschickt, in genau unsere Zeit, unsere Anforderungen, in Neues hinein. Sein ruhig und gelassen ausgesprochenes «Fürchte dich nicht» verhallt zu oft ungehört im Geschrei der Zeit. 

Das Reich Gottes macht mutig, leichtfüssig, frei

Wir haben jedoch tatsächlich nichts zu befürchten. Als Getaufte sind wir eingetaucht in Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Das befreit uns per se von Angst, weil uns damit das Reich Gottes verheissen ist, das nicht irgendwo in unerreichbarer Ferne ist, sondern immer hier, heute, mit uns und unserem Tun beginnt. Der für uns überblickbare Strom der Geschehnisse ist eingebettet in die Perspektive ewigen Lebens – das macht uns mutig, leichtfüssig, frei. 

«Fürchtet euch nicht», könnte folglich der Roman heissen, der sich an das Wirken des Johannes anlehnt und der von heutigen Wegbereiter:innen und Wegbegleiter:innen handelt. Der Untertitel würde heissen: Von der Freude an Veränderung und vom Mut für Neues.

Amen.

* Die Theologin Marie-Louise Beyeler ist Präsidentin der Landeskirche Bern und Mitglied der Steuerungsgruppe «Weg der Erneuerung» im Bistum Basel. Sie hat diese Predigt am Freitag in der Solothurner Kathedrale anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz gehalten.


Marie-Louise Beyeler predigt im Festgottesdienst in Solothurn. | © Roberto Conciatori
24. Juni 2022 | 17:15
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