Marie-Louise Beyeler ist die Präsidentin der Landeskirche Bern
Schweiz

Marie-Louise Beyeler: «Die Steuern der Unternehmen werden nur für Soziales eingesetzt»

Sollen Kirchensteuern von Unternehmen freiwillig werden? Der Kanton Bern will diese Frage nächste Woche angehen. Mit den Steuern finanzieren die Landeskirchen ihr soziales Engagement. Denn: «Die Kirchensteuern dürfen nicht für kultische Handlungen verwendet werden.» Die Berner Landeskirchenpräsidentin wünscht sich, dass sich die Berner Grossräte «bewusst sind, was Kirchen in der Gesellschaft leisten.»

Annalena Müller

Marie-Louise Beyeler (69) ist Präsidentin der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Bern. In der am Montag beginnenden Frühjahrssession stehen drei Motionen zur Abstimmung, die sich mit der katholischen Kirche befassen. Eine, die sogenannte Motion Reinhard, fordert, dass die von Unternehmen gezahlte Kirchensteuern künftig auf freiwilliger Basis entrichtet werden. Der Motionär Carlos Reinhard (FDP/Thun) argumentiert, dass der so entstehende Wettbewerb um die Gelder zu besseren Qualitätsstandards führen würde. Die Perspektive der Landeskirche ist eine andere.

Im Kanton Bern könnte es für die Kirche finanziell bald eng werden, macht Ihnen die sogenannte Motion Reinhard Sorgen?

Marie-Louise Beyeler*: Es ist nicht das erste Mal, dass zu diesem Thema eine Motion eingereicht wird. Das darf uns nicht kalt lassen. Das muss uns beschäftigen. Und es beschäftigt mich auch ganz persönlich. Ich glaube, dass Unternehmen ein Interesse haben müssen, dass Leistungen zum Wohl der Gesamtgesellschaft erbracht werden, an denen sie sich beteiligen können. Und genau das geschieht ja mit Kirchensteuern, die von juristischen Personen, also Unternehmen, bezahlt werden. Diese dürfen nur für Leistungen eingesetzt werden, die der Gesellschaft als Ganzes dienen.

«Die Kirchensteuern der Unternehmen dürfen nicht für kultische Handlungen verwendet werden.»

Was heisst das genau?

Beyeler: Durch die sogenannte negative Zweckbindung der juristischen Kirchensteuern dürfen diese nicht für kultische Handlungen verwendet werden. Sondern nur Leistungen, die der Gesamtgesellschaft zugute kommen. Wir setzen die Gelder also für alle Arten von Armutsbekämpfung ein. Zum Beispiel die Finanzierung der Caritas Märkte, in denen Armutsbetroffene günstig einkaufen können.

«Nicht überall steht Kirche drauf, was von den Kirchen getragen wird.»

Mit den Steuern werden auch vielen Angebote für Kinder und Jugendliche finanziert – und zwar oft an Orten, wo sonst nichts ist. Wir dürfen nicht nur an die Städte denken, sondern auch ans Land. Die Kirchen schaffen damit ausserdem Angebote für Seniorinnen und Senioren. Menschen, die oft sehr einsam sind. Das sind nur einige der Angebote. Man muss sich bewusst machen: Nicht überall steht Kirche drauf, was von den Kirchen getragen wird.

Sitz der Landeskirche und der Caritas Bern in der Länggasse.
Sitz der Landeskirche und der Caritas Bern in der Länggasse.

Die Motion Reinhard argumentiert, dass durch die Freiwilligkeit der Steuer Wettbewerb und damit bessere Qualität der sozialen Leistungen gesichert würde. Was sagen Sie dazu?

Beyeler: Ich persönlich halte das für ein untaugliches Argument. Die Kirchen leiten diese Steuern ja vor allem weiter. In den Kirchen gibt es allgemein eine grosse Grundmotivation, sich zu engagieren. Zum anderen sind die entsprechenden Strukturen vorhanden und sehr gut ausgebaut. Die Kombination von Grundmotivation und Strukturen erlaubt den Kirchen niederschwellig, einfach und, wenn nötig, sehr rasch aktiv zu werden.

«Während Corona war es gut, dass wir die Ressourcen und Strukturen hatten und uns nicht erst in einer Ausschreibung darum bewerben mussten.»

Das haben wir während Corona gesehen, wo das innert 24 Stunden funktioniert hat. Das zeigt ja auch der gerade veröffentlichte Bericht zu den Leistungen im Gesamtgesellschaftlichen Interesse 2020-2021. Vielerorts hat die Kirche sofort nach dem Lockdown einspringen können, und zum Beispiel Senioren und Seniorinnen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt. Da war es gut, dass wir die Ressourcen und Strukturen hatten und sofort auf sie zurückgreifen konnten und uns nicht erst in einer Ausschreibung darum bewerben mussten.

Sind Sie und die anderen Landeskirchen in Kontakt mit dem Grossen Rat?

Beyeler: Ja, natürlich. Wir sind untereinander intensiv in Kontakt. Es gibt die ökumenisch bestückte Arbeitsgruppe «Kirche und Staat». Dort planen die Verantwortlichen der drei Landeskirchen die ganze politische Arbeit. Seit geraumer Zeit organisieren wir einmal pro Jahr während der Sommersession eine Mittagsveranstaltung, zu der wir Politikerinnen und Politiker einladen und mit ihnen ins Gespräch kommen.

Blick vom Berner Rathaus in die Rathausgasse
Blick vom Berner Rathaus in die Rathausgasse

Die Kirchen betreiben also Lobbyarbeit?

Beyeler:  Sicher. Gerade jetzt vor der Frühjahrssession sind wir im Kontakt mit allen Kirchgemeinden. Wir versorgen sie mit Informationen, unter anderem der Broschüre, die über das gesamtgesellschaftliche soziale Engagement der Kirche informiert und bitten sie, Kontakt mit den Grossrätinnen und Grossräte aufzunehmen, die sie kennen. Natürlich finden auch Gespräche mit dem Motionär Carlos Reinhard statt. Es gibt keine Hinterzimmer-Deals oder so etwas. Wir sind uns bewusst, dass die Motion zu Annahme empfohlen ist. Und ich denke, das ist vielleicht gar nicht so schlecht.

Inwiefern?

Beyeler: Wenn die Motion in der Frühjahrssession angenommen und anschliessend durchgesetzt wird, braucht es eine Änderung des Landeskirchengesetzes. Dann müsste das Stimmvolk entscheiden. All das passiert nicht von heute auf morgen. Die Berner Regierung hätte dann Gelegenheit, sich ausführlich mit dem Thema und mit der kirchlichen Arbeit auseinanderzusetzen. Das wäre dann der Moment, indem man das Ganze vertieft und zukunftsorientiert anschaut, um gegebenenfalls gemeinsame Möglichkeiten zu finden. So argumentiert ja auch Regierungsrätin Evi Allemann (SP), die im Kanton Bern für die Kirchen und Religion zuständig ist. Und damit kann ich sehr gut leben.

Was wünschen Sie sich für die Frühjahrssession?

Beyeler: Ich persönlich wünsche den Politikerinnen und Politikern, dass sie sich bewusst sind, was Kirchen in der Gesellschaft leisten. Dass es mehr ist, als viele glauben. Dass wir mit unseren Aktivitäten eine Art Kitt im gesellschaftlichen Getriebe darstellen. Und damit einen grossen Beitrag leisten für den religiösen Frieden und eine bessere Lebensqualität für ganz viele Bevölkerungsgruppen in unserem Kanton. Dieses Bewusstsein wünsche ich ihnen, wenn sie die eingereichten Motionen diskutieren und darüber entscheiden.

*Die Theologin Marie-Louise Beyeler ist Präsidentin der Landeskirche Bern, sie ist Mitglied des Präsidiums der RKZ und der «Begleitgruppe Synodaler Prozess» im Bistum Basel.


Marie-Louise Beyeler ist die Präsidentin der Landeskirche Bern | © Annalena Müller
1. März 2024 | 12:00
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