Mariano Delgado leitet die Theologische Fakultät Freiburg
Schweiz

Mariano Delgado fordert russisch-orthodoxen Metropoliten auf, sich gegen Putin zu stellen

In einer öffentlichen Erklärung fordert der Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg den Metropolit Hilarion Alfeyev auf, Einfluss auf die russische Gesellschaft zu nehmen. Die russisch-orthodoxe Kirche müsse ihrem prophetischen Auftrag nachkommen, sagt Delgado.

Jacqueline Straub

Sie sind Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Wie blicken Sie derzeit auf die Ereignisse in der Ukraine?

Mariano Delgado*: Ich blicke mit grösster Sorge auf den Krieg in der Ukraine. Das, was sich dort derzeit abspielt, ist eine humanitäre Katastrophe. Gleichzeitig wird dieser Krieg auch Auswirkungen auf die Ökumene haben.

Inwiefern?

Delgado: Es zeigt sich schon jetzt, dass sich die Kluft vertieft hat. So positionierte sich etwa das Kirchenoberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine, Metropolit Onufrij, klar gegen den Krieg und benannte Putin als Aggressor. Kyrill I., Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche in Russland, bezeichnete hingegen die Gegner Russlands als «Kräfte des Bösen». Gerade dieser eklatante Widerspruch der ein und derselben Kirche in diesem Konflikt ist erstaunlich. Es ist zu befürchten, dass es eine dauerhafte Spaltung zwischen den russisch-orthodoxen Kirchen geben wird.

Tete-à-tete: Der russische Staatspräsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I.
Tete-à-tete: Der russische Staatspräsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I.

Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Studierenden und Forschenden aus der Ukraine und aus Russland an der Universität Freiburg?

Delgado: Insbesondere die ukrainischen Studierenden sind sehr besorgt über die Lage in ihrer Heimat. Aber der Krieg hat an unserer Fakultät auf der menschlichen und forschenden Ebene zum Glück bisher keine negativen Auswirkungen.

«Wir müssen Brücken der Verständigung bauen.»

Wie erleben Sie derzeit den Austausch mit kirchlichen und akademischen Partnern des Ostens?

Delgado: Der Austausch besteht weiterhin. Auf der akademischen Ebene ist keine Distanz zu spüren. Das ist gut so. Denn wir müssen Brücken der Verständigung bauen. Selbstverständlich müssen wir als Universität aber die Dinge beim Namen nennen: Das, was gerade in der Ukraine passiert, ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechtes. Das ist aufs Schärfste zu verurteilen.

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. (links) und Metropolit Hilarion.
Der Moskauer Patriarch Kyrill I. (links) und Metropolit Hilarion.

Metropolit Hilarion Alfeyev ist Leiter des Departements für kirchliche Aussenbeziehungen des Moskauer Patriarchats – und Titularprofessor der Universität Freiburg. Ihn fordern Sie in einer öffentlichen Erklärung auf, «seinen kirchlichen und politischen Einfluss geltend» zu machen.

Delgado: Ja, wir erwarten, dass er Präsident Putin öffentlich und unmissverständlich auffordert, die russischen Truppen unverzüglich zurückzuziehen.

Kann Metropolit Hilarion Einfluss auf Putin nehmen?

Delgado: Möglicherweise ist sein Einfluss in der jetzigen Situation gering, weil Putin sich gegen Kritik immunisiert hat. Doch auch wenn er keinen grossen Einfluss hat, sollte er öffentlich vermitteln, dass er alles tut, was er kann, um diesen Krieg zu stoppen. Schliesslich hat er in der russisch-orthodoxen Kirche eine hohe Position und durchaus auch Einfluss auf die Gesellschaft. Und er war bisher auch nicht verlegen, sich über alles Mögliche öffentlich zu äussern, etwa über die westliche Kultur und Werte, die Ökumene oder die moderne Gesellschaft.

«Die russisch-orthodoxe Kirche in Russland muss sich stärker gegen den Krieg aussprechen.»

Welche Rolle hat die orthodoxe Kirche in Russland im Ukrainekrieg?

Delgado: Die orthodoxe Kirche in Russland steht dem Staat sehr nahe. Auch jetzt im Ukrainekonflikt sieht man das deutlich: Putin wird für sein Vorgehen kaum kritisiert. Diese Staatsnähe, kirchenhistorisch auch «Symphonie» genannt, passte vielleicht zum «Ancien Régime». In der modernen Welt kann sie aber zu einer grossen strategischen Schwäche der Kirche werden, weil sie ihre prophetische Rolle einschränkt.

Die Kirche ist aber eine grosse moralische Autorität. Wenn die russisch-orthodoxe Kirche in der Tradition des prophetischen Auftretens sich deutlich gegen die Gewalt positioniert, – noch dazu, wenn es sich um einen Krieg zwischen «Brüdern» mit einem deutlichen Aggressor handelt – kann sie die Zivilgesellschaft in Russland prägen und mobilisieren. Es ist ganz klar: Die russisch-orthodoxe Kirche in Russland muss sich stärker gegen den Krieg aussprechen und Putins Taten verurteilen.

Solidaritätskundgebung für die Ukraine in Berlin am 24. Februar 2022.
Solidaritätskundgebung für die Ukraine in Berlin am 24. Februar 2022.

Haben Sie Hoffnung, dass das funktioniert?

Delgado: Der Druck von allen Seiten ist sehr wichtig. Ich glaube, dass sich in Russland aber nur etwas ändert, wenn sich eine Zivilgesellschaft formiert und gegen Putins Krieg rebelliert. Und dabei können die Kirchen eine tragende Rolle spielen. Das hat man in Spanien bei der «transición» oder dem Übergang vom Franquismus zur Demokratie gesehen.

«Ob wir weitere Schritte einleiten, wenn er sich nicht von Putin distanziert, müssen wir dann prüfen.»

Sollte sich der Freiburger Titularprofessor Metropolit Hilarion nicht von Putin distanzieren, drohen ihm dann Konsequenzen an der theologischen Fakultät?

Delgado: Metropolit Hilarion wurde 2011 in einer Kampfabstimmung Titularprofessor. Eine Titularprofessur ist nicht so wichtig wie eine normale Professur. Es handelt sich um einen Titel, den Lehrbeauftragte bekommen können, wenn sie jahrelang regelmässig lehren. Der Titel ruht dann, wenn die regelmässige Lehre nicht stattfindet. Metropolit Hilarion hatte in den letzten Jahren, auch schon vor der Pandemie, keine Lehraufträge mehr. Von daher ist die Titularprofessur derzeit nicht aktiv. Ob wir weitere Schritte einleiten, wenn er sich nicht von Putin distanziert, müssen wir dann prüfen. Bei einer Person wie Metropolit Hilarion, die eine zweistellige Zahl von Ehrendoktoraten aus der ganzen Welt hat, ist die Freiburger Titularprofessur sicherlich nicht so wichtig. Aber für uns ist es wichtig, die akademischen Kontakte zur Aspirantur und Doktorantur des Moskauer Patriarchats aufrecht zu erhalten – zum Wohle der Studierenden.

* Mariano Delgado ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Freiburg, Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog sowie Dekan der Theologischen Fakultät.


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2. März 2022 | 15:04
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