EDU-Kampagne (Plakatausschnitt): Vater, Mutter, Kind. Ein Leben lang #Pride
Schweiz

Mann-Frau-Kind-Familie: EDU lanciert Wertekampagne gegen Zurich Pride

Mit Slogans wie «Vater, Mutter, Kind. Ein Leben lang #PRIDE» hat die konservative Partei EDU eine Wertekampagne lanciert. Und zwar just am Tag der Zurich Pride. Sie wehrt sich damit gegen «penetrante LGBTQ-Propaganda». Und propagiert ein traditionelles Familienkonzept. Eine Einordnung im christlichen Umfeld.

Sarah Stutte

Rund 70’000 Menschen feierten am 17. Juni an der Zurich Pride friedlich die Diversität. Sie demonstrierten für mehr Sichtbarkeit, für Inklusion und gegen Diskriminierung. Das Motto war in diesem Jahr «Lass uns darüber reden».

Gegenentwurf gegen «penetrante LGBTQ-Propaganda»

Redebedarf hatte offensichtlich auch die Eidgenössisch-Demokratische Union – kurz EDU. Ihres Zeichens christliche und nationalkonservative politische Partei in der Schweiz. Just am Tag, als die vielfarbige und fahnenschwingende LGBTQ*-Community durch die Zürcher Innenstadt zog, lancierte die Partei ihre Wertekampagne. Sie proklamierte einen «klaren Gegenentwurf zur teilweise immer penetranter zu Tage tretenden LGBT-Propaganda».

Mann oder Frau? Das ist nicht entscheidend an der Zurich Pride
Mann oder Frau? Das ist nicht entscheidend an der Zurich Pride

Die passenden Plakate dazu sind unter anderem auf den Werbe-Screens am Hauptbahnhof zu finden. Sie zeigen einen Vater, eine Mutter und ein Kind. Damit demonstrieren sie klar die Haltung der Partei gegen jede andere Art von vielfältigen Lebens- und Familienformen. Auf den Anzeigen stehen ferner Slogans wie «Vater, Mutter, Kind. Ein Leben lang #PRIDE» oder «Christliche Werte, Nächstenliebe, Ehe und Familie #PRIDE».

Ans Festival anlehnen

Das Wort «Pride» als Synonym für die Gay-Pride, ist nicht geschützt, nur die Marke «Zurich Pride Festival». Rechtlich ist deswegen nichts dagegen auszurichten, dass die EDU diese Formulierung adaptiert und in einem anderen Kontext verwendet.

EDU-Wertekampagne im Zürcher Hauptbahnhof
EDU-Wertekampagne im Zürcher Hauptbahnhof
Warum sich jedoch die Partei, der offensichtlich der Regenbogenumzug ein Dorn im Auge ist, bei ihrer Wortwahl trotzdem derselben Bezeichnung bedient, ist Jill Nussbaumer, Co-Präsidentin der Zurich Pride nicht ganz klar. «Wir finden es spannend, dass die EDU uns so stark wahrnimmt und sich an unser Festival anlehnen muss», sagt sie.

Jill Nussbaumer nimmt das als eine Art «Hilferuf» wahr. «Die EDU hat einen aktiven Wähleranteil von ungefähr 25’000 Menschen in der Schweiz. An unserer Pride waren 70’000 Menschen. Vielleicht hat die Partei gemerkt, dass sie an Relevanz verliert und deshalb zum gezielten Schlag auf die LGBTQ*-Community ausgeholt».

Toleranz und Respekt

Die Co-Präsidentin der Zurich Pride kann das nicht nachvollziehen. «Wir bedrohen in keinster Weise christliche Werte. Im Gegenteil. Wir möchten, dass sich alle frei entfalten können, das schliesst die traditionellen Familien mit ein. Das Ziel sollte sein, einander zu tolerieren und zu respektieren», bekräftigt Jill Nussbaumer.

Ähnlich sahen dies auch die Gastgeberinnen und Gäste des interkulturellen Frauentreffs «Café Dona», der in der Reformierten Citykirche Offener St. Jakob beheimatet ist. Sie standen während des Umzugs der Zurich Pride in Regenbogenfarben gekleidet auf dem Balkon des Kirchgemeindehauses der Reformierten Kirche Zürich und winkten den Demonstrierenden zu.

Regenbogenfahne und Kirchturm von St. Jakob, Zürich
Regenbogenfahne und Kirchturm von St. Jakob, Zürich

Die verantwortliche Sozialdiakonin Monika Golling sagt zu kath.ch: «Die Citykirche Offener St. Jakob macht sich stark für vielfältige Lebens- und Liebensweisen und ein buntes, inklusives Wertemanifest, das keine und keinen ausschliesst oder entwertet aufgrund ihrer oder seiner Glaubensrichtung, Hautfarbe, Herkunft und Lebensweise». Weiter unterstreicht Golling: «Dass die Pride auf dem Balkon von Frauen solidarisch unterstützt und gefeiert wurde, ist ganz in unserem Sinne».

Hass ist keine Meinung

Mit ihrer Kampagne startete die EDU zugleich auch eine Petition, um Unterschriften für ihr acht Punkte umfassendes Werte-Manifest zu sammeln. Bekennen sollen sich die potenziellen Unterzeichnenden zur Schöpfung und zum Schutz der Familie als «kleinster natürlicher Zelle unserer Gesellschaft». Ferner sollen sie für ein Bekenntnis zur Ehe von Mann und Frau eintreten sowie für den Schutz des Lebens «von der Zeugung bis zum natürlichen Tod».

Nein soll gesagt werden zur «Transgender-Ideologie» und zu «linkem Feminismus», zur «ideologischen Indoktrination» der Kinder – also keine Dragqueen-Vorlesungen mehr. Zudem gehören laut dem EDU-Manifest alle Zensurgesetze und die Cancel Culture ebenfalls abgeschafft. Kritische Meinungen zu äussern, sei ja noch nicht mit Hassreden gleichzusetzen.

Dem widerspricht Jill Nussbaumer entschieden: «In der erneuerten Antirassismus-Strafnorm von 2020 wird genau definiert, wann Diskriminierung passiert und was unter freie Meinungsäusserung fällt. Hass ist keine Meinung». Das findet auch Magdalena Thiele, Mitarbeiterin Kommunikation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Für sie ist die Kampagne der EDU überdies kleinkariert und albern.

Genug Platz für alle

«Es gibt keinen Prototyp von Familie. Ich finde es absurd, dass diese Partei offenbar vor etwas Angst hat, das die traditionelle Familie überhaupt nicht bedroht oder infrage stellt. Gott hat diese Welt so vielfältig und bunt gemacht, da ist genug Platz für alle», so die Kommunikationsmitarbeiterin.

Magdalena Thiele
Magdalena Thiele

Für Magdalena Thiele heisst die Bedeutung der christlichen Werte in der Gesellschaft hochzuhalten auch Nächstenliebe und Toleranz zu zeigen. «So wie ich das Neue Testament verstehe, lehrt es uns, Menschen nicht abzulehnen, weil sie anders sind als die Norm. Gerade jene hat Jesus akzeptiert, wie sie sind», hält sie fest.

Im Begleitschreiben zur Kampagne wirft die EDU der Schweiz unter anderem «Pinkwashing» vor und spricht von einem «politischen Programm zur Umgestaltung der abendländischen Gesellschaftsordnung». Von «Pinkwashing» spricht man, wenn Unternehmen damit werben, sich für die LGBTQ*-Community und Diversität einzusetzen, dies aber in der Realität nicht tun.

Unternehmen tun etwas

«Den Vorwurf hören wir immer wieder, das ist Unsinn. An der Zurich Pride laufen die Arbeitgeber zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie reden nicht nur davon, gute Bedingungen für alle zu schaffen, sondern tun auch wirklich etwas. Das bedeutet den Arbeitnehmern viel», erklärt Jill Nussbaumer.

Selbst die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) – ein Netzwerk von Christen aus evangelischen Landes- und Freikirchen – kann der Kampagne nicht viel Gutes abgewinnen. Zwar wird auf Anfrage mitgeteilt, dass sich die SEA grundsätzlich nicht zum politischen Programm von Parteien äussert. Doch dann nimmt Kommunikationsleiterin Daniela Baumann doch noch Stellung dazu.

Zurich Pride: Demonstration für Diversität
Zurich Pride: Demonstration für Diversität

«Selbstverständlich sind uns christliche Werte wichtig und wir engagieren uns auch dafür, beispielsweise für gesunde Ehen und Familien mit unserer Arbeitsgemeinschaft ‘Forum Ehe + Familie’ oder für die Meinungsfreiheit mit ‘Christian Public Affairs’», so Baumann. Doch die SEA stehe für christliche Werte ein, weil «wir sie per se als Grundlage für ein gelingendes Leben erachten – und nicht, um uns gegen andere Ansichten zu wenden, wie dies bei der EDU-Kampagne der Fall ist». 

Katholische Vertretung fehlte

Es schaut so aus, als ob die EDU also auch im kirchlichen Umfeld mit ihrer Meinung momentan ein wenig allein dasteht. Von den Reformierten bis zu verschiedenen Freikirchen waren fast alle an der Pride vertreten. «Es gibt sehr viele Glaubensrichtungen an der Demonstration und viele Menschen wollen innerhalb der Strukturen ihrer Kirchen etwas ändern. Vielleicht fühlt sich die EDU auch deshalb bedroht, weil sie genau diesen Wandel in ihren eigenen religiösen Kreisen nicht möchte», erklärt Jill Nussbaumer.

Als Katholikin vermisste die Pride Co-Präsidentin einzig die katholische Kirche am Umzug. «Ich hätte es schön gefunden, wenn die katholische Kirche als eigene Gruppe auch mitgelaufen wäre. Vielleicht waren die Verantwortlichen zu sehr mit den Vorbereitungen des Pride-Gottesdienstes vom Sonntag beschäftigt, der im Übrigen wieder sehr gut besucht war», sagt Nussbaumer.

Auch Magdalena Thiele vermisste «ihre Kirche», wie sie in einem Kommentar auf der Homepage von Katholisch Zürich schrieb. «Ich weiss nicht, warum dieses Jahr keine katholische Vertretung da war – schade. An einem Ereignis, an dem sich gefühlt ganz Zürich beteiligt, sollte die katholische Kirche als wichtiger gesellschaftlicher Akteur nicht fehlen», meint sie. (Korrektur vom 4.7.23, 16.43 Uhr, bal: Die SEA ist ein Netzwerk von Christen aus evangelischen Landes- und Freikirchen und nicht der Dachverband der evangelischen Freikirchen.)


EDU-Kampagne (Plakatausschnitt): Vater, Mutter, Kind. Ein Leben lang #Pride | © EDU
30. Juni 2023 | 12:21
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