Kann religiöses Online-Dating funktionieren?
Religion anders

Liebe auf den ersten Wisch? Religiöses Online-Dating

Früher gingen Heiratswillige an geselligen Anlässen auf Brautschau oder annoncierten in einer Tageszeitung. Heute lernt man Singles aus der Umgebung bequem auf Dating-Apps wie Tinder kennen. Auch gläubige Christen, Musliminnen und Juden setzen auf die Online-Partnersuche.

Natalie Fritz

Die Pandemie war ein Segen für die Online-Dating-Anbieter. Da es zeitweise kaum Möglichkeiten gab, sich in Bars oder Discos zu verabreden, suchten viele Menschen im coronafreien virtuellen Raum ein Abenteuer oder die grosse Liebe.

Fast 42 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer hatte die Dating-App Tinder an ihrem zehnten Geburtstag am 15. September 2022. Davon zahlen elf Millionen Userinnen und User für sogenannte Upgrades – also Zusatzleistungen, die die virtuelle Partnersuche erleichtern und beschleunigen sollen. Damit die Suche nach Ms oder Mr Right nicht zu lange dauert und dadurch kostspielig wird, können die Nutzenden Filter einsetzen. So lässt sich das Feld möglicher Partnerinnen und Partner eingrenzen.

Rechts oder links wischen?
Rechts oder links wischen?

Glaube als Filterkategorie

In den letzten Jahren sind immer mehr Dating-Apps und -Plattformen entstanden, die auf sogenannte Nischen setzen. Hier findet die Motorradfanatikerin dann einen Partner mit dem nötigen Sitzfleisch und der Veganer seine tiernotfreie Frau fürs Leben.

Motorrad-Partner: Es gibt für alle Vorlieben passende PartnerInnen. Screenshot
Motorrad-Partner: Es gibt für alle Vorlieben passende PartnerInnen. Screenshot

Auch der Glaube kann ein wichtiger Filter bei der Partnersuche sein. Bei religiösen Dating-Apps kann die Userin ganz spezifisch nach Religionszugehörigkeit oder nach Vorlieben bei der Glaubensausübung aussuchen. Für viele gläubige Userinnen und User sind gängige Apps wie Tinder oder Bumble zu wenig nachhaltig, weil eher auf schnelle Bekanntschaften ausgelegt. Viele religiöse Nutzerinnen und Nutzer suchen auf einer Dating-App einen Partner oder eine Partnerin für die Ehe und Familiengründung.

Arrangierte Ehen haben Tradition

Dass im religiösen Umfeld das Online-Dating sehr erfolgreich ist, liegt teilweise auch in der Tradition begründet. Aus Südostasien oder arabischen Ländern sind uns arrangierte Ehen bekannt, aber die Liebesehe wurde auch in Europa erst im 19. Jahrhundert populär. Zuvor waren viele Ehen vereinbarte Vernunftgemeinschaften, die der Vermehrung oder Erhaltung des Besitzes dienten.

Passende Partner fand man je nach Klassenzugehörigkeit etwa auf Bällen oder Hochzeitsmärkten. Noch heute findet im irischen Lisdoonvarna alljährlich um die Erntedankzeit das grösste Matchmaking-Festival Europas statt.

Der Heiratsvermittler. Nach einem Gemälde von Edm. Herger, 1890 Leipzig
Der Heiratsvermittler. Nach einem Gemälde von Edm. Herger, 1890 Leipzig

Im christlichen, jüdischen oder muslimischen Kontext übernahmen meist ältere Familienmitglieder die Rolle der Kundschafter und Partner-Vermittlerin. Immer wieder setzte man aber auch auf die Dienstleistungen professioneller Heiratsvermittler. Insbesondere dann, wenn der Eheschluss zwei wichtige Familien verbinden sollte. Wie beim heutigen Online-Dating kamen hier zuerst die Karten auf den Tisch und dann wurde geschaut, ob es passt.

Wenn Gott Dating-Profile verbindet

«Für mich war klar: Wenn es jemanden gibt, der für mich bestimmt ist, dann wird Gott ihn über Chringles zu mir führen, ich brauche nur zu warten.» So lautet das Statement einer anonymen Userin der christlichen Partnerbörse chringles.ch. Diese Online-Vermittlung richtet sich an gläubige Christinnen und Christen aller Konfessionen, die eine Partnerschaft auf dem Glauben aufbauen möchten. Dass dabei auch über die eigene Konfessionszugehörigkeit hinausgeschaut werden soll, erklären die Schweizer Entwickler auf der Startseite.

Chringles Erfolgsgeschichten. Screenshot
Chringles Erfolgsgeschichten. Screenshot

Das 2009 gegründete Unternehmen verlangt für eine Passiv-Mitgliedschaft keine Gebühren, ein Upgrade auf eine Aktiv-Mitgliedschaft mit mehr Funktionen kostet dann. Bei der Erstellung eines Profils kann die Userin mit Aussagen zur persönlichen Spiritualität oder Wunscheigenschaften des künftigen Partners die Suche eingrenzen. Anders als die internationale Dating-Seite Christian Mingle mit ihren über 15 Millionen Profilen hat chringles.ch nur etwa 6’000 aktive Userinnen und User, hauptsächlich aus der Schweiz.

Homosexualität ist kein Tabu für christliche Online-Dating-Portale

Das 2001 gegründete Christian Mingle hat vom Erfolg von Tinder gelernt und 2014 eine App eingeführt, die Singles in der Umgebung anzeigt. Seit 2016 können Userinnen und User bei den sexuellen Vorlieben auch nach Partnerinnen und Partnern des gleichen Geschlechts suchen.

Believr: Die christliche Dating-App für LGBTQ+. Screenshot
Believr: Die christliche Dating-App für LGBTQ+. Screenshot

Doch was, wenn man sich zu christlich für die LGBTQ-Community und zu queer für die christlichen Dating-Portale fühlt? Auch dann gibt es verschiedene Online-Partnerbörsen. Die believr-App etwa ist spezialisiert auf die Vermittlung von LGBTQ-Partnerinnen und Partnern. Als Filter fungieren hier einerseits Werte, die einem wichtig sind, andererseits darf der oder die Userin die Geschlechtszugehörigkeit und das Alter des Wunschpartners angeben.

Der Markt für diese Nischenportalen boomt, die Angebotsliste ist mittlerweile unüberschaubar – nicht nur im christlichen Kontext.

JSwipe oder Jwed – mehr oder weniger koscheres Dating

Im jüdischen Umfeld übernehmen auf Wunsch auch heute noch sogenannte Matchmaker oder Schadchen die professionelle Vermittlung von Heiratswilligen. Die Community ist relativ klein und weit versprengt, da kann Hilfe durchaus nützlich sein.

JWed: Partnervermittlung für jüdische Ehewillige. Screenshot
JWed: Partnervermittlung für jüdische Ehewillige. Screenshot

Für Jüdinnen und Juden gibt es eine reichhaltige Auswahl an Möglichkeiten zum Online-Dating. Je nach Glaubensverständnis und Absicht suchen sich die User ihre Plattform oder App. Wenn die Userin etwa die feste Absicht hat, demnächst zu heiraten, dann wählt sie wohl JWed. Diese kostenpflichtige, jüdische Ehevermittlungsplattform wirbt damit, dass sie seit 2001 über 3’700 Hochzeiten ermöglicht habe. Nutzerinnen und Nutzer können im jeweiligen Profil einen Zeithorizont bis zur Heirat angeben oder die Anzahl Kinder, die sie sich wünschen. Mit ungefähr 12’000 aktiven Profilen ist sie jedoch relativ bescheiden bestückt.

Ganz anders die 2014 gegründete Dating-App JSwipe. Mit über 2,5 Million Userinnen und Usern ist sie wohl die meistgenutzte jüdische App für die Partnersuche. Wie bei Tinder ist auch die Grundversion von JSwipe gratis – und sie funktioniert ganz ähnlich. Auch hier wischt man nach links oder rechts, um Profile zu liken. Mit einem SuperSwipe – einem lächelnden Davidstern – signalisiert man dem Gegenüber, dass man besonders interessiert ist.

"SuperSwipe" mit lachendem Davidstern. Screenshot
"SuperSwipe" mit lachendem Davidstern. Screenshot
Mazel tov! – Glückwunsch zum Match auf JSwipe. Screenshot
Mazel tov! – Glückwunsch zum Match auf JSwipe. Screenshot

Bei einem Match erscheint der Segen «Mazel tov» – ein Glückwunsch, der auch an jüdischen Hochzeiten zu hören ist. Allerdings ist JSwipe nicht ausschliesslich für Hochzeitswillige ausgelegt, sondern auch für Jüdinnen und Juden, die keine feste Beziehung suchen. Gründer David Yarus erklärte zudem, dass JSwipe auch die jüdische LGBTQ-Community anspreche, da man auch nach sexuellen Vorlieben filtern könne.

Nicht daten, heiraten!

Auch gläubige Musliminnen und Muslime haben die Qual der Wahl, wenn sie online nach der grossen Liebe oder einer netten Bekanntschaft suchen. muzz ist eine kostenlose App, die mittlerweile über 6 Millionen Profile verzeichnet. Die App ist in erster Linie eine moderne muslimische Ehevermittlungs-Plattform.

In einem BBC-Interview erklärte muzz-Gründer Shahzad Younas diese Ausrichtung folgendermassen: «Muslime daten nicht, sie heiraten.» Und weil die muslimische Gemeinschaft beim Thema Ehe noch sehr traditionell sei – Younas selbst ist in Manchester aufgewachsen –, würden auch heute viele Familien auf eine Vermittlungsperson setzen.

Religiöse Filter auf muzz.com. Screenshot
Religiöse Filter auf muzz.com. Screenshot

Um den heiratswilligen Musliminnen und Muslimen die Chance zu geben, in einem anständigen Umfeld selbst aktiv zu suchen, kreierte er 2015 die App. Hier kann man nach religiöser Ausrichtung, Bet- und Essgewohnheiten filtern. Als Userin oder User kann man ausserdem angeben, ob Konvertierte als mögliche Partner angezeigt werden sollen. Gerade für konvertierte Musliminnen und Muslime stellen solche Dating-Apps eine valable Möglichkeit der Partnersuche dar, weil ihnen häufig das soziale Netzwerk noch fehlt.

Chatten mit Anstandswauwau

Besonders an muzz ist das Angebot eines Walī, einer Aufsichtsperson. Diese können User und vor allem Userinnen zu einem Chat beiziehen, damit der Anstand gewährleistet bleibt. Wer sich anständig verhält, wird mit Empfehlungsbadges belohnt.

Wali-Funktion: Anstand auch beim Chatten. Screenshot
Wali-Funktion: Anstand auch beim Chatten. Screenshot

Selbstbestimmung im Einklang mit Moral wird auch bei der Dating-App Hawaya gross geschrieben. Auch diese App richtet sich an religiös aktive und moderne Musliminnen und Muslime, die einen Lebenspartner suchen. Die Dating-App buzzArab präsentiert sich nicht nur als muslimisch-interreligiöses Partnervermittlungsportal, sondern bietet sogar Suchfunktionen für homosexuelle Musliminnen und Muslime an.

Trotz der Vorwürfe wie Oberflächlichkeit und mangelnde Romantik: Diese religiösen Online-Dating-Möglichkeiten setzen, wenn auch nur im Kleinen, etwas in Gang. Als Unternehmen haben sie die Zeichen der Zeit und der Wirtschaft gelesen und ihr Angebot auch auf die LGBTQ-Community ausgeweitet. Die Frage ist, wie lange es dauern wird, bis die religiösen Institutionen ihre Algorithmen bezüglich Geschlechterrollen und Heteronormativität anpassen und die Vielfalt begrüssen.


Kann religiöses Online-Dating funktionieren? | © Pixabay/amrothman, Pixabay License
1. Oktober 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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Einige christliche Dating-Apps und Dating-Portale

www.chringles.ch, grösste christliche Single-Börse der Schweiz

www.himmlisch-plaudern.ch, christliche Partnerbörse und Freundes-Netzwerk

www.hallooh.ch, christliche Homepage für Singles

www.kathtreff.org, katholische Dating-Seite

www.christ-sucht-christ.de, grösste Singlebörse für Christen und Christinnen im deutschsprachigen Raum

www.funkyfish.de, christliche Singlebörse und Community

www.christianmingle.com, das weltweit wohl grösste christliche Partnervermittlungs-Portal

Studie der Uni Genf (Dr. Gina Potarca) zum Phänomen Online-Dating