Elisabeth Baume-Schneider
Schweiz

Lehrerin im Habit: Wie sich Elisabeth Baume-Schneider und Kurt Koch für eine Nonne stark machten

Elisabeth Baume-Schneider (57) will Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga im Bundesrat werden. Vor Jahren setzte sich die SP-Frau für eine Nonne ein, die im Habit unterrichten wollte. Ein Gespräch über Papst Franziskus, die Caritas – und den jurassischen Bürgerort von Bischof Joseph Bonnemain.

Sarah Stutte

Warum wollen Sie Bundesrätin werden?

Elisabeth Baume-Schneider*: Ich komme aus einer Randregion und einem kleinen Kanton, der gezeigt hat, was er leisten kann und wie Demokratie im Alltag funktioniert. Schliesslich konnte sich der Jura friedlich vom Kanton Bern lossagen. Ich bringe meine Persönlichkeit und Fähigkeiten mit, aus meiner 13-jährigen Erfahrung als Regierungsrätin des Kanton Jura. Ich arbeite gerne kollegial und war auch Direktorin einer Fachhochschule. Ich mag es also, Entscheidungen zu treffen und das in einem guten Team. Zudem besitze ich die nötige Energie, um mich den Herausforderungen einer sich verändernden Zeit zu stellen.

«Ich habe sehr viel Respekt vor Religion und Spiritualität.»

Was bedeutet Ihnen Religion?

Baume-Schneider: Ich habe sehr viel Respekt vor Religion und Spiritualität. Meine Eltern waren sehr gläubig und beteten oft. Mein Vater war jahrelang Synodenmitglied des Kantons Bern und anschliessend des Kantons Jura. Meine Schwester ist heute Pfarreisekretärin in Montreux. Ich selbst bin reformiert, mein Mann ist Katholik, genau wie meine zwei Söhne.

Die Stadt Moutier im Jura.
Die Stadt Moutier im Jura.

Gehen Sie in die Kirche?

Baume-Schneider: Wir besuchen zwar nur selten den Gottesdienst, ich gehe aber oft auf den Friedhof, um Blumen auf das Grab meiner Eltern zu legen und weil ich mich gerne dort aufhalte. Es ist friedlich dort.

«Zudem ist es wichtig, den Unterschied zwischen Katechismus und Unterricht zu erkennen.»

Wann hatten Sie als Regierungsrätin im Jura mit Religionsthemen zu tun?

Baume-Schneider: Ich habe dort das Erziehungs-, Sport- und Kulturdepartement geleitet. In dieser Funktion war ich beispielsweise involviert in die Kontroverse, ob das Fach Religion in den Schulen noch weiter unterrichtet werden soll. Mir war es immer wichtig, dass die Kinder andere Glaubensrichtungen verstehen und die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten kennen. Zudem ist es wichtig, den Unterschied zwischen Katechismus und Unterricht zu erkennen.

Der Katechismus der Katholischen Kirche, das kürzere Kompendium und "Youcat"
Der Katechismus der Katholischen Kirche, das kürzere Kompendium und "Youcat"

Können Sie sich an ein heisses Eisen erinnern?

Baume-Schneider: Im jurasischen Soyhières gibt es eine Kinderschule, die von Oblatinnen geführt wird. Diese gehören der französischen Kongregation des Heiligen Franz von Sales an. Es hiess, die Schwester dürfe nicht mehr mit ihrem Schleier arbeiten, weil gesetzlich geregelt sei, dass man an öffentlichen Schulen nicht missionieren dürfe. Daraufhin habe ich mich 2009 mit dem Bischof getroffen. Das war damals noch Kurt Koch, der von 1996 bis 2010 Bischof von Basel war. Ich habe erwirkt, dass diese Schwester weiter als Lehrerin tätig sein kann. Mittlerweile ist sie pensioniert.

«Als Kind fand ich es schrecklich, Geburtstag und Weihnachten an einem Tag feiern zu müssen.»

Kurt Koch, inzwischen Kurienkardinal, steht derzeit wegen seines NS-Vergleichs in der Kritik.

Baume-Schneider: Das habe ich nicht mitverfolgt. Ich habe ihn als Mensch kennengelernt, der zuhört und der dieser Kongregation helfen wollte.

Sie haben am 24. Dezember Geburtstag. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Datum?

Baume-Schneider: Als Kind fand ich es schrecklich, Geburtstag und Weihnachten an einem Tag feiern zu müssen. Ich komme aus einer Bauernfamilie, die nicht viel Geld hatte. Meine Eltern haben jedoch stets darauf geachtet, dass meine Geschenke trotzdem besonders sind. Das Datum war schwierig. Wenn ich mit Freundinnen und Freunden feiern wollte, hatte niemand Zeit. Mein Geburtstag musste deshalb immer nachgeholt werden.

Elisabeth Baume-Schneider ist eine reformierte Christin.
Elisabeth Baume-Schneider ist eine reformierte Christin.

Welche religionspolitischen Baustellen stehen aus Ihrer Sicht an?

Baume-Schneider: Mir liegen die Umwelt und der Respekt sowie der Schutz von Minderheiten am Herzen.Hier leisten beispielsweise «Brot für alle» oder auch die Caritas sehr gute Arbeit. In Franches-Montagnes, wo ich lebe, gibt es einen kleinen Solidaritätsladen. Dieser wurde mit Unterstützung der Caritas ins Leben gerufen.

«Die Kirche muss sich auch für die Umwelt und für Soziales interessieren.»

Wie politisch darf die Kirche sein?

Baume-Schneider: Ich bin nicht der Meinung, dass sich die kirchliche Arbeit nur auf die Kirche beschränken sollte. Sie muss sich auch für die Umwelt und für Soziales interessieren. So gab und gibt es immer wieder engagierte Pfarrer oder Priester, die sich den Flüchtlingen annehmen. Die Kirche hat ihren Platz in der Gesellschaft.

Plakat der Schweizer KVI-Kampagne 2020.
Plakat der Schweizer KVI-Kampagne 2020.

Was halten Sie vom kirchlichen Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative?

Baume-Schneider: Es ist wichtig, dass sie sich engagiert. Unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht – die Kirche ist Teil unseres Lebens. Sie steht dafür, das Leben zu schätzen, sie steht für den Respekt vor dem Planeten und der Natur. Aus diesem Grund ist es unerlässlich für die Kirche, sich hier einzubringen. Die Kirche hat immer ihren Standpunkt vertreten, das finde ich gut.

«Jeder Mensch soll heiraten dürfen, wenn er das möchte.»

Nach der «Ehe für alle»: Was steht als Nächstes an? Wie weit sollten Samenspende, Leihmutterschaft et cetera gehen?

Baume-Schneider: Ich war für die «Ehe für alle» – jeder Mensch soll heiraten dürfen, wenn er das möchte. Die Frage der Leihmutterschaft stellt sich jetzt nicht. Sollte sie sich stellen, finde ich, dass es Rahmenbedingungen geben muss. Ich finde es nicht korrekt, wenn Frauen dazu gezwungen sind, auf andere Länder auszuweichen und die Kinder womöglich keine Chance haben, später etwas über ihre Herkunft zu erfahren. Diese ethische Diskussion um das Kindeswohl kann auch beispielsweise die Altersfrage der Frauen miteinschliessen.

Die Methodisten von Regenbogenkirche.ch werben für die "Ehe für alle".
Die Methodisten von Regenbogenkirche.ch werben für die "Ehe für alle".

Sie haben früher als Sozialarbeiterin gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie geprägt?

Baume-Schneider: Ich war als Sozialarbeiterin in der Vormundschaftsbehörde tätig. Ich war also für die Kinder zuständig, die zur Adoption freigegeben wurden. Es war eine sehr schöne und wichtige Aufgabe, die Frauen zu unterstützen. Auch im Bericht zu erwähnen, dass das Kind nicht nur ausgesetzt wurde, sondern dass die Mutter ein besseres Leben für das Baby wollte.

«Ich bin auch dafür, dass Frauen in der Schweiz abtreiben können, wenn das ihr Wunsch ist.»

Was sagen Sie zum Thema Abtreibung?

Baume-Schneider: Ich bin auch dafür, dass Frauen in der Schweiz abtreiben können, wenn das ihr Wunsch ist.  Ich hatte einmal den Fall, dass eine junge Frau von ihrem Grossvater schwanger wurde. Es darf einfach nicht sein, dass ihr dann diese Möglichkeit verwehrt wird. Jedes Gesetz wirkt sich direkt auf das Leben der Menschen aus. Daran sollte immer gedacht werden.

Papst Franziskus.
Papst Franziskus.

Was halten Sie von Papst Franziskus?

Baume-Schneider: Er hat moderne Ansichten. Auch für die Flüchtlinge setzt er sich oft ein. Meiner Meinung nach könnte er noch mehr Stellung zum Pflichtzölibat beziehen. Ich habe eine Dokumentation gesehen über Frauen, die Kinder von Priestern haben und diese Kinder werden niemals ihre Väter kennenlernen. Das passt nicht zu unserer Zeit.

«Ich war nie in einer marxistischen Partei.»

Papst Franziskus kritisiert immer wieder den Kapitalismus. Freut das Sie als ehemalige Marxistin?

Baume-Schneider: Ich war nie in einer marxistischen Partei, ich fand die Überlegungen einfach interessant. Als moderne Frau, die findet, dass der Wohlstand geteilt werden muss und dass die Reichen nicht immer reicher werden können und die Armen immer ärmer, freut es mich, dass diese Fragen auch vom Papst wahrgenommen werden. Dieser Graben bedingt den Klimawandel, so dass es immer schwieriger werden wird, in bestimmten Teilen der Welt zu leben.

«Meine Eltern waren sehr solidarisch und offen. Sie glaubten daran, dass das Leben für alle schön sein muss und nicht nur für wenige.»

Im Evangelium gibt es das Gleichnis vom Kamel und dem Nadelöhr: «Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.» Ist das Christentum marxistisch?

Baume-Schneider: In gewisser Hinsicht. Die Forderung einer klassenlosen Gesellschaft trägt auch einen christlichen Ton. Meine Eltern waren sehr solidarisch und offen. Sie glaubten daran, dass das Leben für alle schön sein muss und nicht nur für wenige. Ich bin immer noch hoffnungsvoll, dass die Kirche ihren Weg findet. Ich habe viele Freunde, die mittlerweile ausgetreten sind. Das werde ich nicht machen. Die Kirche kann nach wie vor wichtig sein.

Les Pommerats im Kanton Jura, der Bürgerort von Bischof Joseph Bonnemain.
Les Pommerats im Kanton Jura, der Bürgerort von Bischof Joseph Bonnemain.

Kennen Sie Les Pommerats im Kanton Jura? Das ist der Bürgerort von Bischof Joseph Bonnemain.

Baume-Schneider: Ich kenne den Ort, aber ich wusste nicht, dass das der Bürgerort des Bischofs von Chur ist.

Bischof Joseph Bonnemain.
Bischof Joseph Bonnemain.

Sie sind zweite Vizepräsidentin im Ständerat. Ausgerechnet Daniel Jositsch musste Ihnen den Vortritt lassen. Denken Sie, dass sich diese Konstellation für das Bundesratsamt wiederholen wird?

«Ich schätze Daniel Jositsch».

Baume-Schneider: Es gab mehrere Personen, die an dem Vizepräsidium interessiert waren, nicht nur Daniel Jositsch. Ich schätze ihn. Man wird sehen, was passiert.

* Elisabeth Baume-Schneider (59) ist seit 2019 SP-Ständerätin und wurde 2002 in die Regierung des Kantons Jura gewählt. Sie wurde in Saint-Imier geboren und studierte Wirtschaft und Sozialwissenschaft. Von 1989 bis 2002 arbeitete sie als Sozialarbeiterin. Von 2016 bis 2020 war sie Direktorin der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne. Würde sie als Bundesrätin gewählt, wäre es das erste Mal, dass der jüngste Kanton in der Landesregierung vertreten wäre.


Elisabeth Baume-Schneider | © Keystone
17. November 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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