Eva Herzog will Bundesrätin werden.
Schweiz

Bundesrats-Kandidatin Eva Herzog: «Streiken, bis Frauen endlich Priesterinnen werden können»

SP-Ständerätin Eva Herzog (60) gilt als Favoritin für die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Die ehemalige Basler Religionsministerin fordert Reformen in der katholischen Kirche: «Die katholische Kirche könnte ihre Aufgaben ohne Frauen längst nicht mehr erfüllen.»

Jacqueline Straub

Warum wollen Sie Bundesrätin werden?

Eva Herzog*: Ich mache mit Leib und Seele Politik. Die Schweiz steht vor grossen Herausforderungen. Schwierige Situationen schrecken mich nicht ab. Es reizt mich, Lösungen zu finden und Kompromisse zu schliessen. All meine Erfahrungen, die ich gesammelt habe, möchte ich nun in den Bundesrat einbringen.

Eva Herzog
Eva Herzog

In Basel waren Sie auch Religionsministerin. Auf welche Entscheidungen sind Sie besonders stolz?

Herzog: Die Alevitinnen und Aleviten haben in Basel die kantonale Anerkennung erhalten. Es ist zwar nicht das gleiche wie eine öffentlich-rechtliche Anerkennung, aber dennoch war es für die Alevitinnen und Aleviten sehr wichtig, diese zu erhalten. 

«Menschen stellen sich Sinnfragen.»

Was bedeutet Ihnen als Politikerin Religion?

Herzog: Religionen und Religionsgemeinschaften haben eine wichtige kulturelle und soziale Rolle. Sie machen eine gute Arbeit. Menschen haben ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit und stellen sich Sinnfragen. Diese Antworten können sie in der Religion finden.

Eva Herzog
Eva Herzog

Welche Rolle hat Religion in einem politischen System?

Herzog: Als Gemeinwesen gibt es über die öffentlich-rechtliche Anerkennung eine Zusammenarbeit. Etwa weil es Religionsunterricht in den Schulen oder die Kirchensteuer gibt. Kirche und Staat pflegen Beziehungen – aber mit einer klaren inhaltlichen und institutionellen Trennung.

Sind Sie katholisch geprägt?

Herzog: Mein Vater ist reformiert, meine Mutter war katholisch. Ich wurde katholisch erzogen.

Sind Sie noch Mitglied in der katholischen Kirche?

Herzog: Schon lange nicht mehr. Ich bin als Kind gerne in die Kirche gegangen. Die Rituale haben mir immer gefallen. Ich bedauere, wenn diese heute verloren gehen. Ich habe dann aber auf meine Fragen keine Antworten mehr von der Kirche erhalten. Es hat nicht mehr gestimmt. Darum bin ich ausgetreten.

Eva Herzog
Eva Herzog

Sollte der Islam öffentlich-rechtlich anerkannt werden – und wenn ja: wie?

Herzog: Es müsste zuerst eine Gemeinschaft geben, die einen Antrag stellt und dann auch die Bedingungen erfüllt, sei es für eine kantonale Anerkennung – wir nennen es die kleine – oder für die grosse, die öffentlich-rechtliche Anerkennung. Insbesondere eine Bedingung, die Gleichberechtigung der Frauen, dürfte eine Anerkennung schwierig machen.

«Ich kann nur an die Kirche appellieren, diese Ungerechtigkeit endlich zu beenden.»

In der katholischen Kirche sind Frauen auch nicht gleichberechtigt.

Herzog: Das ist richtig. Die katholische Kirche erfüllte die Bedingungen für die öffentlich-rechtliche Anerkennung, die damals galten und sie hat sie weiterhin laut Kantonsverfassung Basel-Stadt. Dort ist gleichzeitig festgehalten, dass Männer und Frauen gleichgestellt sind – ich kann nur an die Kirche appellieren, diese Ungerechtigkeit endlich zu beenden.

Eva Herzog bei einer Pressekonferenz in Bern.
Eva Herzog bei einer Pressekonferenz in Bern.

Was schlagen Sie vor?

Herzog: Alle Frauen müssten streiken, bis Frauen endlich Priesterinnen werden können. Und zwar nicht nur einen Tag, sondern über einen längeren Zeitraum. Die katholische Kirche könnte ihre Aufgaben ohne Frauen längst nicht mehr erfüllen.

«Die Priester und Bischöfe müssten sich für eine Gleichberechtigung der Geschlechter stark machen.»

Braucht es nicht auch Druck vom Staat?

Herzog: Bei einer Trennung von Kirche und Staat ist das sehr schwierig. Aber diese Ungerechtigkeit muss immer wieder laut benannt werden. Ich glaube, der Staat kann effektiv nichts machen. Wenn sich der Staat da einmischt, würde Rom sagen, dass uns das nichts angeht. Den Druck müssen vor allem die Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz erhöhen. Auch müssten die Priester und Bischöfe mitziehen und sich für eine Gleichberechtigung der Geschlechter stark machen.

Eva Herzog
Eva Herzog

Der Ständerat macht den Weg frei für die Eizellenspende für Ehepaare. Wie haben Sie abgestimmt?

Herzog: Ich habe mir lange überlegt, ob ich der Eizellenspende zustimmen soll. Ich habe Ja gesagt. Dabei habe ich mir vor allem vor Augen geführt, was das für die betroffenen Frauen bedeutet. 

«Ich finde es eine wahnsinnig schwierige Entscheidung.»

Wie sieht es mit Leihmutterschaft aus?

Herzog: Ich finde es schwierig, hier eine abschliessende Meinung zu haben. Ich frage mich: Wie ist es für die Frau, die das Kind austrägt, eine emotionale Bindung zu dem Kind aufbaut und es dann nach der Geburt abgeben muss? Ich bin glücklich, dass ich meine zwei Kinder habe. Darum möchte ich anderen diese Erfahrung nicht nehmen. Dennoch: Ich finde es eine wahnsinnig schwierige Entscheidung. Auch für das Kind finde ich das sehr kompliziert.

Eva Herzog
Eva Herzog

Finden Sie, Karin Keller-Sutter hat den Konzernverantwortungsinitiative-Gegenvorschlag genügend umgesetzt? Oder verstehen Sie die Kritik an ihr?

Herzog: Das, was sie angekündigt hat, hat sie umgesetzt. Sie hat ihr Versprechen gehalten. Ich war für den richtigen Gegenvorschlag, der abgelehnt wurde. Von daher ist es noch immer die gleiche Enttäuschung wie damals.

«Abtreibungen ganz verbieten? Das ist eine Missachtung der Würde der Frauen.»

Wie bewerten Sie die Einmal-drüber-schlafen-Initiative zweier SVP-Frauen?

Herzog: Davon halte ich gar nichts. Was die ganze Abtreibungsdebatte anbelangt, verstehe ich nicht, wie man das Leben von einem noch nicht lebensfähigen Kind über das Leben einer Frau stellen kann. Hier habe ich kein Verständnis – auch nicht für die katholische Kirche, welche Abtreibungen nach wie vor verurteilt. Es gibt ja Bestrebungen, Abtreibung ganz zu verbieten. Das ist eine Missachtung der Würde der Frauen.

Eva Herzog
Eva Herzog

Sie wurden auch schon mal als Pressesprecherin von Roche und Novartis bezeichnet. Sind Sie eine Neoliberale mit rotem Parteibuch?

Herzog: Nein (lacht). Wenn man Finanzministerin in einem Kanton ist, hat man Kontakt mit den Konzernen vor Ort. Dass man für das Wohlergehen des Kantons eintritt, ist verständlich. Die Pharmaindustrie in Basel ist unsere Leitindustrie, von der die ganze Schweiz profitiert: durch Bundessteuern und die Zahlungen in den Finanzausgleich. 

«Die Schweiz muss eine Lösung finden.»

Deutschland ist sauer, weil es Schweizer Waffen nicht an die Ukraine liefern darf. Wie sehen Sie das?

Herzog: Für Deutschland ist es eine schwierige Situation. Sie beziehen die Munition aus der Schweiz für die Waffen, die sie der Ukraine liefern. Dass Deutschland sich nun überlegt, Munition künftig irgendwo anders zu beziehen, verstehe ich. Die Schweiz muss eine Lösung finden. So wie es momentan ist, ist es unbefriedigend.

Was halten Sie von Papst Franziskus?

Herzog: Es gab viele Erwartungen und Hoffnungen, die er zu wenig erfüllt hat. Ich verfolge das ganze aber nur aus grosser Distanz.

Die Schweizergarde in Appenzell.
Die Schweizergarde in Appenzell.

Sollte die Schweizergarde auch Frauen aufnehmen?

Herzog: Das ist mir ehrlich gesagt gleichgültig. Die Schweizergarde ist ein historisches Relikt, kommt aus einer anderen Zeit, sie erscheint mir nicht wichtig für die Gleichstellung der Geschlechter.

Maria Schmerzen - Schmerzenskapelle im Kloster Mariastein.
Maria Schmerzen - Schmerzenskapelle im Kloster Mariastein.

Sie sind im Patronatskomitee Mariastein. Welchen Bezug haben Sie zu Mariastein?

Herzog: Ich habe einen sehr engen Bezug zu Mariastein. Meine Mutter ist in Metzerlen aufgewachsen. Ich kenne die Gegend gut und fühle mich ihr sehr verbunden. Mariastein hat als Wallfahrtsort eine grosse Bedeutung, darum bin ich im Patronatskomitee. Was passiert, wenn die Mönche nicht mehr da sind? Für diesen wichtigen Wallfahrtsort in der Schweiz braucht es Lösungen. 

Finden Sie es gut, dass die Landeskirchen in manchen Kantonen von Unternehmenssteuern profitieren?

Herzog: Ja.

«Menschen sind immer auf der Suche, stellen sich Sinnfragen.»

Haben Sie eine Erklärung, warum die katholische Kirche in Basel schweizweit die meisten Austritte zu verzeichnen hat?

Herzog: Vielleicht ist die katholische Kirche zu konservativ für uns. Gesellschaftspolitisch sind wir sehr fortschrittlich. Wenn die katholische Kirche Reformen umsetzen würde, etwa die Gleichstellung der Frau, könnte das sehr helfen. Menschen sind immer auf der Suche, stellen sich Sinnfragen. Ich finde es durchaus schade, dass sie sich spirituell zunehmend anderweitig umschauen.

Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS.
Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS.

Sie haben die Landeskirchen unterstützt, dass über die normale Steuererklärung die Kirchensteuern eingezogen werden. Lässt sich der Kanton Basel-Stadt diesen Mehraufwand etwas kosten wie in Deutschland?

Herzog: Die Kirchen bezahlen den administrativen Aufwand. Das ist aber weniger, als wenn sie es weiterhin selber hätten machen müssen. Die Landeskirchen kamen auf uns zu und haben uns gebeten, das zu machen. 

«Die Kirchen sollen sich für ihre Kernaufgaben einsetzen, zum Beispiel in der Spitalseelsorge.»

Warum haben Sie das Anliegen unterstützt?

Herzog: Damit kann man die Landeskirchen etwas entlasten – durch den Mitgliederschwund ist ihre Finanzlage schwierig. Sie sollen sich für ihre Kernaufgaben einsetzen, fürs Gemeinwohl – zum Beispiel in der Spitalseelsorge. 

Baustellengottesdienst in Thalwil.
Baustellengottesdienst in Thalwil.

Sie haben sich auch für Vorteile bei Subventionsgesuchen bei Kirchensanierungen stark gemacht. Was genau war Ihnen wichtig?

Herzog: Die Kirchen, die Gebäude, gehören den Landeskirchen, meist sind sie denkmalgeschützt. Die Sanierungen sind also zuerst mal Sache der Kirchen, aber es gibt auch eine gewisse Verpflichtung für den Kanton. Uns war immer klar, dass der Kanton etwas zahlen muss, und wir haben uns auch gemeinsam darum bemüht, Bundesgelder zu bekommen, wenn es Gebäude von nationaler Bedeutung waren.

* Die Baslerin Eva Herzog (60) ist SP-Ständerätin und Bundesratskandidatin.


Eva Herzog will Bundesrätin werden. | © Jacqueline Straub
12. November 2022 | 14:21
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