Auf der "Kotz-Ecke" durften junge Menschen des Bistums St. Gallen aufschreiben, was sie an der Kirche stört.
Schweiz

«Kotz-Ecke» und Kirchen-Wünsche: Was junge Menschen zur Zukunft des Bistums St. Gallen sagen

Junge Menschen sollen die Zukunft des Bistums St. Gallen aktiv mitgestalten. Dafür hat die Theologin Elena Furrer das Format «Churching» konzipiert. Es geht darum, innovative Projekte zu entwickeln und aufzugleisen. Das Fazit: Jammern bringt nichts. Einfach machen!

Jacqueline Straub

Die Perspektiven des Bistums St. Gallen sind sensationell. Vom dritten Stock des Stadthauses St. Gallen gibt’s einen atemberaubenden Blick auf die Klosterkirche.

Und der Status quo? Vieles läuft gut, finden die 25 junge Menschen, die am Samstag zu einem Strategie-Workshop kommen. Aber Manches nervt auch.

Die Teilnehmende bei "Churching" diskutieren über verschiedene Projekte.
Die Teilnehmende bei "Churching" diskutieren über verschiedene Projekte.

Es gibt ein Plakat mit der Überschrift «Kotz-Ecke». Dort sitzt ein Teil der Gruppe und schreibt auf bunte Zettel, was alles an der Kirche stört. Die Kirche sei zu «kompliziert» und «zu ernst», wird kritisiert. Sie sei «nie lustig». Gottesdienste seien «zu lang» und «monoton».

App für Fastenzeit und «Waldkirche»

Trotz «Kotz-Ecke» geht’s bei diesem Projekt nicht ums Jammern, sondern ums Machen. An anderen Stationen werden Ideen für konkrete Projekte gesammelt und notiert.

Diakon Ivan Saric (31) wird im März zum Priester geweiht. Er stellt eine App für die Fastenzeit vor. Julia Brunn (24) macht sich für eine «Waldkirche» stark. Für Erwachsene werde dies schon regelmässig angeboten. «Aber ich habe mit 50- oder 60-Jährigen wenig gemeinsam. Darum möchte ich eine Waldkirche für junge Menschen.»

Wünsche an die Kirche.
Wünsche an die Kirche.

Was ist eine Waldkirche? Julia Brunn erklärt: «Teilnehmende gehen in den Wald, machen meditative Übungen und besprechen bei einem Lagerfeuer philosophische Fragen. Ich glaube, das würde uns jungen Menschen guttun», findet Julia Brunn. «Aber es braucht eben jemand, der das ganze leitet.»

Julia Brunn wünscht sich eine "Waldkirche".
Julia Brunn wünscht sich eine "Waldkirche".

Einen Escape-Room gestalten

Kim Heeb (17) schlägt vor, einen Escape-Room zu gestalten. «Das ist sicher sehr gemeinschaftsfördernd.» Sie ist zum ersten Mal bei einem Treffen von «Churching» dabei und freut sich, dass sie ihre Ideen einbringen kann. Sie findet, die Kirche habe zu viele «veraltete Regeln». Aktuelle Themen würden zu wenig aufgegriffen. Sie wünscht sich Gleichberechtigung in der Kirche und eine erneuerte Sexualmoral. Solche Wünsche werden mit bunten Stiften schriftlich festgehalten.

Kim Heeb war zum ersten Mal bei einem Treffen von *Churching" dabei.
Kim Heeb war zum ersten Mal bei einem Treffen von *Churching" dabei.

Der Ministrant Elias Dietrich (17) ist momentan auf dem Firmweg. Er findet es gut, dass junge Menschen nach der Zukunft des Bistums gefragt und sie gehört werden. «Wenn es ein weiteres Treffen gibt, werde ich wieder daran teilnehmen.»

In die Zukunft schauen

Alex Pitscheider (32) wünscht sich, dass die Kirche wieder lebendiger und vielfältiger wird. «Ich habe die Hoffnung, dass unsere Stimmen von den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern gehört werden.»

Alex Pitscheider hat Hoffnung, dass die Stimme der Jugend gehört wird.
Alex Pitscheider hat Hoffnung, dass die Stimme der Jugend gehört wird.

Die Theologin Ines Schaberger (29) ist die Geschäftsführerin von «175 Jahre Bistum St. Gallen». Ihr ist es wichtig, nicht nur über die Vergangenheit der Kirche nachzudenken, sondern auch in die Zukunft zu schauen. Sie findet: Es brauche kirchliche Angebote für junge Menschen, «die gerne etwas mit Kirche zu tun hätten, aber nirgends reinpassen».

Dominik Michel vom Pastoralrat und Beat Aepli vom Seelsorgerat beim Nachmittag "Churching".
Dominik Michel vom Pastoralrat und Beat Aepli vom Seelsorgerat beim Nachmittag "Churching".

Nach der Pause kommen die jungen Menschen mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern des Bistums ins Gespräch. Konkret mit Bischof Markus Büchel, der Kommunikationsverantwortlichen Sabine Rüthemann, Dominik Michel-Loher von der Abteilung Pastorale Entwicklung und Beratung, Beat Aepli und Franziska Aberer vom Seelsorgerat, Gisela Schönenberger, Vorstand des Kirchengemeindeverbandes sowie Hans Brändle vom Administrationsrat.

Jugendseelsorger Philipp Wirth stellt die Projekte vor.
Jugendseelsorger Philipp Wirth stellt die Projekte vor.

«Wie würdest du einem Alien die Kirche erklären?»

Bevor die Projektideen vorgestellt wurden, gibt es einen Austausch über Fragen à la «Wie würdest du einem Alien die Kirche erklären?» oder «Hat die Kirche eine Zukunft?»

Danach werden Projekte vorgestellt. Etwa ein Wochenende in Zürich. Dabei soll es eine Stadtführung oder eine Schnitzeljagd geben, aber auch das Besichtigen von Kirchen und das Vertiefen der Reformation. Ein «Kirchenbier» am Abend in der Beiz dürfe nicht fehlen. Währenddessen könnten Glaubensfragen besprochen werden.

Treffen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rahmen von "Churching" in St. Gallen.
Treffen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rahmen von "Churching" in St. Gallen.

«Nach Zürich komme ich mit», verspricht Bischof Markus Büchel. In die nächste Runde schafft es das Projekt aber nicht. Gewonnen hat ein lokales Projekt: regelmässige Abende mit Spiel, Essen und Film. Werbung soll über Instagram und Tiktok gemacht werden.

«Gottesdienst plus X»

Ein weiteres Siegerprojekt, das nun von den jungen Erwachsenen konkret umgesetzt werden soll, ist eine Art «Gottesdienst plus X». Also nicht nach dem Gottesdienst auseinander gehen, sondern danach noch etwas gemeinsam zu unternehmen.

Präsentation von Projekten beim "Churching".
Präsentation von Projekten beim "Churching".

Bischof Markus Büchel hofft, dass die jungen Menschen etwas auf die Beine stellen. Mittel hierfür seien vorhanden. Gisela Schönenberger, Vorstand des Kirchengemeindeverbandes, ermutigt die Jugendlichen: «Macht! Unbedingt! Setzt diese Projekte um!» Gleichzeitig fragt sie sich: «Warum setzt ihr das nicht einfach um? Was ist eure Erwartung?»

Für Ideen kämpfen

Elena Furrer (28) ist Gründerin und Co-Leiterin des Zukunftsprozesses «Churching». Am Ende sagt sie: «Ich bin sehr zufrieden mit dem Treffen.» Vor allem, weil die Ideen gleich auch höchster Ebene platziert werden konnten.

Elena Furrer, Gründerin und Co-Leiterin des Zukunftsprozesses «Churching».
Elena Furrer, Gründerin und Co-Leiterin des Zukunftsprozesses «Churching».

Es ist vorerst das letzte Netzwerk-Treffen von «Churching». Elena Furrer sagt: «Ziel ist eine Weiterentwicklung. Jetzt schauen wir, ob und wie die neuen Projekte entstehen.» Sie hofft, dass sich junge Menschen für die aktive Umsetzung der Projekte melden. «Einige Kontakte haben wir bereits notiert.» Die Perspektiven des Bistums St. Gallen bleiben vielversprechend.


Auf der «Kotz-Ecke» durften junge Menschen des Bistums St. Gallen aufschreiben, was sie an der Kirche stört. | © Jacqueline Straub
28. November 2022 | 11:03
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!