Abendmahlsszene: Gemeinsame Mahlzeit beim ersten Netzwerktreffen
Schweiz

«Wir setzen uns an einen Tisch – wie Jesus und seine Jünger»

Ein Tisch unter freiem Himmel mit Blick auf den Zürichsee. Der Rapperswiler Lindenhügel wird kommenden Sonntag zum Treffpunkt junger Menschen, die sich für die Zukunft der Kirche interessieren. Die Theologin Elena Furrer* (28) sagt, worum es bei dem Anlass geht.

Barbara Ludwig

Die Netzwerktreffen für junge Erwachsene finden im Rahmen des Projekts «Churching» statt. Gibt es Vorbilder oder Erfahrungen, an denen sich «Churching» orientiert?

Elena Furrer: Ja. Ich wurde im Fachbereich junge Erwachsene und Berufung angestellt, weil man festgestellt hatte: Es gibt im Bistum St. Gallen so gut wie keine Gefässe für junge Erwachsene. Bei uns engagieren sich viele Jugendliche nach ihrer Firmung als Firmbegleiter. Als solche können sie kreativ sein, mitorganisieren und Verantwortung übernehmen. Das gefällt ihnen. Nach einigen Jahren würden sie jedoch gerne etwas anderes machen.

«Aber da ist ein grosses schwarzes Loch.»

Aber da ist ein grosses schwarzes Loch: Es existieren praktisch keine kirchlichen Angebote für junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren. Mein Fachbereich ist geschaffen worden, um diese Lücke zu füllen.

Die Lücke gibt es auch anderswo. Ein junger Theologe, Daniel Gewand, aus dem Bistum Münster lancierte deshalb in der deutschen Stadt Coesfeld ein Gefäss, auf das ich bei meinen Recherchen gestossen bin. Es heisst frei.raum.coesfeld. Der Theologe setzte sich in ein Café und war dort einfach ansprechbar. Mit der Zeit kannte man ihn, die Menschen kamen mit ihm in Gespräch. Daraus entstand eine schöne Bewegung für junge Erwachsene. Mit seinem Gefäss hat er aufgezeigt, dass bei jungen Menschen ein Interesse an Kirche da ist. Das beobachten wir auch bei uns.

Elena Furrer an einem Podium im April 2022.
Elena Furrer an einem Podium im April 2022.

Warum sprechen Sie von «Churching»?

Furrer: «Churching» ist ein Begriff, den mein Kollege Philipp Wirth und ich erfunden haben. Am Anfang war die Rede von «Die Kirche der Zukunft gestalten». Wir fanden, die Kirche der Zukunft zu gestalten, sei etwas sehr Dynamisches. Die ing-Form im Englischen bedeutet: Ich bin gerade jetzt, in diesem Moment aktiv. Es war uns wichtig, einen Begriff zu wählen, der diese Dynamik zum Ausdruck bringt. Nicht irgendetwas passiert, sondern wir sind jetzt aktiv.

«Motzen kann jeder, aber es braucht Menschen, die etwas unternehmen.»

Also, wir werden Kirche.

Furrer: Ja. Wir alle sind Kirche. Die Kirche steht und fällt mit den Leuten, und zwar nicht einfach mit den Seelsorgenden, Jugendarbeitenden und anderen Hauptamtlichen, sondern eben auch mit den Gläubigen. Jeder Gläubige kann die Kirche mitgestalten. Dazu hat er nicht nur das Recht, sondern das ist – wie ich finde – auch seine Pflicht. Motzen kann jeder, aber es braucht Menschen, die etwas gegen die Missstände, an denen sie sich stören, unternehmen – indem sie sich und ihre Ideen einbringen.

Welche Rolle spielen die Netzwerktreffen bei dem Projekt «Churching»?

Furrer: «Churching» ist ein grosser Zukunftsprozess im Bistum St. Gallen. Wir wollen junge Menschen finden, die sich aktiv mit ihren Ideen und Visionen einbringen und konkret an deren Umsetzung arbeiten. Wir unterstützen sie dabei. Es soll nicht so sein, dass wir ein Angebot schaffen, das sie wiederum konsumieren können. Es geht darum, dass die jungen Menschen selber innovativ tätig werden.

«Wir arbeiten mit den Pionieren des unüblichen Denkens zusammen.»

Die Netzwerktreffen bilden den Auftakt des Prozesses. Sie erlauben, junge Menschen, die Interesse an der Zukunft der Kirche haben, miteinander ins Gespräch zu bringen. Beim ersten Netzwerktreffen am 26. März in St. Gallen ging es darum, die Teilnehmenden mit dem innovativen Denken vertraut zu machen. Darum haben wir dort mit den Gebrüdern Riklin zusammengearbeitet, den Pionieren des unüblichen Denkens. Unüblich handeln: Das ist ein grosses Wort, das sie immer wieder brauchen. Genau das wollen auch wir. Sich lösen von den Strukturen, die man kennt, von den Rastern, die man im Kopf hat, um etwas völlig Neues auszuprobieren.

Junge Menschen tauschen sich aus beim ersten Netzwerktreffen.
Junge Menschen tauschen sich aus beim ersten Netzwerktreffen.

Beim ersten Treffen ist auch ein Wettbewerb lanciert worden: Wie weit sind die Ideen für eine innovative Kirche gediehen?

Furrer: Von diesem Wettbewerbsgedanken sind wir wieder abgekommen. Im Moment gibt es zu wenig konkrete Ideen. Wir haben gemerkt, dass wir zuerst die Ideensammlung antreiben und das innovative Denken üben müssen. Beim ersten Treffen entstanden aber immerhin zwei konkrete Ideen. Einer der Ideenlieferanten hat sich für kommenden Sonntag wieder angekündigt. Wir möchten an seinem Projekt weiterarbeiten. Es heisst «Ausgang mit Jesus». Er hat erzählt, wie er sich das vorstellt. Darauf wollen wir aufbauen. Es sollen aber auch neu dazukommende Teilnehmerinnen und Teilnehmer Visionen und Projektideen einbringen können.

Welche Rolle haben Sie in dem Prozess?

Furrer: Ich und mein Kollege Philipp Wirth unterstützen die jungen Leute. Zum Beispiel, indem wir ihnen sagen, wo man Gesuche um finanzielle Unterstützung einreichen kann, oder indem wir ihnen einen Werbekanal bieten. Wir sehen uns als ihre Coaches. Wir wollen echte Partizipation ermöglichen. Insofern halten wir es für wesentlich, dass die Teilnehmenden ihr Projekt selbst in die Hand nehmen.

Wie viele Personen erwarten Sie am Sonntag auf dem Lindenhügel in Rapperswil?

Furrer: Es kommen Leute, die bereits am ersten Treffen teilgenommen haben. Wir hoffen, dass weitere hinzukommen. Es ist uns ein Anliegen, dass nicht alles zentral in St. Gallen stattfindet. Wir möchten Menschen aus verschiedenen Regionen einbeziehen. Wir rechnen mit etwa 15 Teilnehmenden. Es ist jedoch schwer abzuschätzen. Junge Erwachsene entscheiden sich sehr kurzfristig.

Warum findet das zweite Netzwerktreffen unter freiem Himmel statt?

Furrer: Uns ist es ein Anliegen, dass die Treffen im öffentlichen Raum stattfinden. So wird der Anlass halböffentlich. Wir werden von vorbeigehenden Menschen wahrgenommen und können Passanten mit unseren Ideen anstecken. Im Idealfall setzen sich Leute spontan hinzu, um mitzudenken. Wir wollen wegkommen von diesem Hinter-verschlossenen-Türen-passiert-irgendetwas. Wir möchten das Bild einer Kirche, die rausgeht, stärken.

«Wir übernehmen das Setting der Abendmahlszene.»

Wir übernehmen das Setting der Abendmahlszene, das wir schon beim ersten Netzwerktreffen hatten. Das heisst, wir sitzen an einem gedeckten Tisch, an dem wir zusammen diskutieren und später auch gemeinsam essen. Zum Abschluss jedes Treffens gibt es eine Mahlzeit. So wie Jesus sich mit seinen Jüngern an einen Tisch hockte, tun das auch wir. Wir alle sind Kirche und begegnen uns hier auf Augenhöhe.

Gibt es, abgesehen vom Setting, eine konkrete Vorstellung davon, wie das Treffen ablaufen soll?

Furrer: Nein. Wir gehen grundsätzlich sehr stark von der aktuellen Stimmung aus und von dem, was passiert. Wir verstehen uns selbst als Teil des Prozesses und nicht einfach als die Organisatoren.

«Der junge Mann gestaltet selbständig einen spirituellen Impuls.»

Wird auch gebetet?

Furrer: Bislang nicht. Wir gehen aber auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden ein und fragen sie im Vorfeld jeweils, ob sie konkrete Wünsche an das kommende Treffen haben. Vor dem zweiten Treffen hat sich nun jemand gemeldet und gesagt, er würde gerne einen spirituellen Impuls für den Beginn des Anlasses vorbereiten. Am Telefon schilderte er mir kurz, was ihm vorschwebt. Nun gestaltet der junge Mann selbständig einen spirituellen Impuls. Er macht das zum ersten Mal. Die Treffen sollen eben auch einen Rahmen bieten, wo man etwas ausprobieren kann.

Erleuchtung beim ersten Netzwerktreffen?
Erleuchtung beim ersten Netzwerktreffen?

Wer sind die Leute, die an die Treffen kommen?

Furrer: Die Teilnahme steht allen offen. Man muss weder katholisch noch Christin oder Christ sein. Aber die Leute, die am ersten Treffen teilnahmen, waren ausschliesslich kirchlich sozialisierte Katholikinnen und Katholiken. Dennoch war es eine bunte Mischung. Es waren Theologiestudierende darunter, aber auch Kaufleute und Gymnasiasten.

«Auch die Vertreter der Gremien sollen in den Prozess einbezogen werden.»

Wie geht es nach Sonntag weiter?

Furrer: Wir hoffen, dass junge Erwachsene beginnen, Projekte vor Ort umzusetzen. In der Pfarrei, in Seelsorgeeinheiten oder im Kollegenkreis. Der nächste Fixpunkt ist das dritte Netzwerktreffen am 26. November in St. Gallen. Dort werden sie die Möglichkeit haben, mit Vertretern kirchlicher Gremien zu sprechen. So sollen auch die Vertreter der Gremien in den Prozess einbezogen werden. Wir wollen aufzeigen, was wir mit den bisherigen Netzwerktreffen erreicht haben und wie es weiter gehen soll.

*Die Theologin Elena Furrer (28) ist seit 1. August 2021 für den neu geschaffenen Fachbereich Junge Erwachsene und Berufung im Bistum St. Gallen zuständig. Sie gehört zum Team der Fachstelle Kirchliche Jugendarbeit. Gemeinsam mit dem Religionspädagogen Philipp Wirth leitet sie das Projekt «Churching». Dieses will junge Menschen ermuntern, gemeinsam die Zukunft der Kirche zu gestalten. Bei schlechtem Wetter findet das Netzwerktreffen vom Sonntag, 26. Juni, im Kapuzinerkloster Rapperswil statt. (bal)


Abendmahlsszene: Gemeinsame Mahlzeit beim ersten Netzwerktreffen | © zVg
23. Juni 2022 | 14:27
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