Michaela Egli
Schweiz

Religionsfreiheit taugt nicht für die Zukunft

Zürich, 9.12.16 (kath.ch) Menschenrechte sind universell. Deshalb sollte das Recht auf Religionsfreiheit in einer zunehmend säkularen Gesellschaft angepasst werden. Diesen Vorschlag macht Michaela Egli, Stiftungsrätin bei Weltethos Schweiz, in ihrem Gastkommentar zum Tag der Menschenrechte vom 10. Dezember.

Das Recht auf Religionsfreiheit schützt andersgläubige Menschen vor Verfolgung und Gewalt. Das ist nötig. In der Schweiz diskutieren wir insbesondere wie weit Religionsfreiheit auch das Praktizieren einer Religion garantiert. Doch dieser Aspekt der Religionsfreiheit hat negative Folgen.

Die Religionsfreiheit baut auf einer veralteten Idee von Religion. Die Vorstellungen einer wahren Interpretation heiliger Schriften und vom richtigen Praktizieren eines Glaubens sind religionswissenschaftlich überholt. Doch genau daran halten wir fest, wenn wir Experten und Expertinnen fragen, ob die eigentliche Bedeutung der islamischen Verschleierung schweizerischen Grundwerten widerspricht und folglich berechtigterweise verboten werden darf oder nicht.

Religionsfreiheit reduziert das konfessionslose Leben auf «ein Leben ohne Religion». Doch auch diese Leben beinhalten Glaubenswelten. Sie drehen sich nicht um Gott, dafür um Krieg und Frieden, um Gesundheit, Erziehung oder um Wahrheit und Fakten. Bekannt sind sie uns als Pazifistinnen, effektive Altruisten, Veganer, Walddorfschüler, Wissenschaftlerinnen oder Esoteriker.  Der springende Punkt dabei: Diese weltlichen Weltdeutungen werden oft nicht minder existentiell praktiziert als religiöse Kulte. Doch der Schutz dieser Freiheiten suchen wir in der Religionsfreiheit vergebens.

Kein Mensch lebt ohne Glauben. Es braucht also gute Gründe dafür, den religiösen Glauben gesondert zu behandeln. Ein guter Grund dies nicht zu tun, ist der nötige Dialog zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen. Unsere Debatten über Religion zeigen klar, dass dort eine ernstzunehmende Konfliktlinie liegt. Die gleichwertige Behandlung aller Glaubens- und Gewissensgrundsätze, egal ob religiös, metaphysisch oder ethisch, wäre ein Schritt in eine dialogfähige Gesellschaft, die Freiheiten schützt, statt Konflikte über Kategorien verschärft – denn dazu sind Menschenrechte da.

Ein Dialog zwischen Glaubenswelten, statt Religionszugehörigkeiten ist ein Dialog, in den Menschen als Menschen eintreten, statt als Atheisten, Muslime oder Christinnen. Religionsfreiheit leistet dies jedoch nicht. Besonders gefordert wären nichtreligiöse Menschen, ihre Weltdeutungen zu artikulieren und ihre Werte zu benennen. Ob Weltformel, Zufall oder Gott – viele würden staunen, wie viel metaphysischer Glaube selbst in der Wissenschaft steckt. Und man könnte merken, dass religiöse und nichtreligiöse Menschen mehr verbindet, als sie trennt.

Ziel einer säkularen Gesellschaft müsste sein, gemeinsam eine Gesellschaft zuarbeiten, in der alle Glaubenswelten ihre Nische finden. Wir könnten uns dann – in absehbarer Zukunft –  zum Beispiel eine Gesellschaft denken, in der Individuen im Rahmen der Glaubensfreiheit ihre jährlichen Feiertage selbst bestimmen und an diesen Tagen für ihren Glauben und ihre Werte einstehen. Mein persönlicher Lieblingsfeiertag würde dann sicher der Tag der Menschenrechte.

Michaela Egli ist Stiftungsrätin bei Weltethos Schweiz und Präsidentin des gleichnamigen Vereins. Sie ist ausserdem Vorstandsmitglied von reatch, einem Think Tank für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft. Die Inspiration für diesen Text stammt aus Ronald Dworkins Buch «Religion ohne Gott».

Das Projekt «Weltethos» vereint die gemeinsamen Werte grosser Religionen und säkularer Philosophien. Der Begriff umfasst die Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit, der Gerechtigkeit und der Solidarität, der Wahrhaftigkeit und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit. Das Projekt Weltethos geht auf den Schweizer Theologen Hans Küng zurück.

 Hinweis: Weltethos Schweiz führt am 10. Dezember auf dem Grossmünsterplatz in Zürich einen Aktionstag zu Menschenrechten durch.

Michaela Egli | © zVg
9. Dezember 2016 | 17:16
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