Das Schild hat der Klima-Aktivist Guillermo Fernandez um den Hals getragen.
Porträt

Klima-Aktivist: «Niemand wird sagen können, er habe es nicht gewusst»

Guillermo Fernandez (47) hat 39 Tage vor dem Bundeshaus im Hungerstreik verbracht. Die Regierung soll alles daransetzen, die Klimakatastrophe abzuwenden. Er will seinen Kindern die Hölle ersparen und notfalls dafür sterben. Papst Franziskus spricht ihm aus dem Herzen.

Eva Meienberg

Guillermo Fernandez hat Tortilla de Patatas gekocht. Wir sitzen am Esstisch in der Küche seines Hauses in Morlon im Greyerzerland. Ob er gewusst habe, dass er je wieder etwas essen würde? Damals, als er am 1. November des vergangenen Jahres seinen Hungerstreik auf dem Bundeshaus-Platz angetreten habe? «Überhaupt nicht, ich war bereit zu sterben, wenn meine Forderungen nicht erfüllt worden wären», sagt Guillermo Fernandez.

Der 47-jährige vierfache Familienvater hat sich an jenem vor das Bundeshaus gesetzt mit der Forderung, alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier über die neuesten Erkenntnisse zum Klimawandel zu informieren.

Jeweils am Samstag sind Sympathisantinnen und Sympathisanten Guillermo Fernandez beigestanden.
Jeweils am Samstag sind Sympathisantinnen und Sympathisanten Guillermo Fernandez beigestanden.

39 Tage hungern

Zuerst ist Guillermo Fernandez auf einem roten Metallstuhl gesessen, zuletzt immer schwächer werdend in einen Rollstuhl. Um den Hals hat er sich ein Kartonschild gehängt. «Hungerstreik für das Klima unserer Kinder», stand drauf. Für jeden vergangenen Tag hat er einen Strich auf den Karton gezeichnet. 39 Striche waren es am Schluss. Das «V» hinter den Strichen bedeutet Victory – Sieg.

Nur Wasser und Tee hat er in diesen Tagen zu sich genommen. Angereichert mit Vitaminen und Salz. Sonst nichts. Der dritte Tag sei der Schlimmste gewesen, da habe er grossen Hunger gehabt und Kopfschmerzen, ab danach habe er sich gut gefühlt.

Expertenteam informiert Bundesversammlung

Nach 39 Tagen wurde ihm zugesichert, dass am 2. Mai 2022 ein Expertenteam vor die Bundesversammlung treten würde, um die neuesten Erkenntnisse zum Klimawandel vorzutragen. «Dann wird niemand im Bundeshaus mehr sagen können, er habe nichts gewusst von der drohenden Katastrophe», sagt Guillermo Fernandez. Er werde dort sein und genau kontrollieren, wer der Einladung folge.

Guillermo Fernandez hat seine schulterlangen Haare zu einem Schwanz zusammengebunden. Er trägt Schnauz und Bart. Oft lacht er laut heraus, wenn er etwas gesagt hat. Auch dann, wenn das Gesagte überhaupt nicht lustig ist.

Guillermo Fernandez in seinem Büro. Den Pilgerhut hat er auf dem Bundeshaus-Platz getragen.
Guillermo Fernandez in seinem Büro. Den Pilgerhut hat er auf dem Bundeshaus-Platz getragen.

Erde bald nicht mehr zu retten

Zum Beispiel, dass er im vergangenen Jahr am 9. August, am Geburtstag seiner jüngsten Tochter, erkannt habe, dass sie an ihrem 23. Geburtstag wissen werde, dass die Welt nicht mehr zu retten sei. Dass zu diesem Zeitpunkt die Erderwärmung soweit fortgeschritten werden sei, dass das Ende der Menschheit feststehe.

«Ich kam mir vor wie der heilige Paulus.»

Diese Erkenntnis hat den Familienvater wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Er habe sich plötzlich wie der schlimmste Mensch auf Erden gefühlt. Mit zwei Autos in der Garage, einem grossen Haus, hundertmal mit dem Flieger gereist. «Ich kam mir vor wie der heilige Paulus», erinnert sich Guillermo an den Tag, an dem sich sein Leben komplett geändert hat.

Guillermo Fernandez verknüpft Episoden aus seinem Leben zu einer grossen, stimmigen Erzählung. Alles macht irgendwie Sinn. Die Erinnerungsmünze von Santiago de Compostela aus dem Zigarettenautomaten hat den Ausschlag gegeben für seine Pilgerreise. Die Geburt seines ersten Kindes hat ihm schlagartig gezeigt, wofür es sich zu leben lohnt.

Mehr Reichtum oder Spiritualität?

Aus Liebe zu seinen Kindern habe er etwas tun müssen. «Sonst wird es die Hölle für sie sein.» Die Hölle bedeute Hunger und Krieg auf der ganzen Welt. Aber das Schrecklichste sei, dass unsere Kinder mit ihrem Wissen über das Klima keine eigenen Kinder haben werden, weil sie ihnen das nicht zumuten wollten.

Dabei wäre die Lösung ganz einfach, sagt Guillermo Fernandez und lacht. Fünf Prozent CO2-Emissionen weniger pro Jahr bis 2050. Jetzt gelte es, sich zu entscheiden: mehr Reichtum oder mehr Spiritualität?

Blick frei ins Paradies

Die Tortilla ist gegessen. Wir machen eine Hausführung. Über eine kurze Treppe kommt man ins Wohnzimmer. Die Fensterfront gibt den Blick frei ins Paradies. Hügel, See, in der Ferne leuchtet die verschneite Flanke einer Bergkette. Auf der unverbauten Wiese vor dem Haus weiden drei Pferde. Es sei damals das letzte Haus gewesen, das er und seine Frau angeschaut hätten. Die Entscheidung fiel beim Blick aus diesen Fenstern.

Guillermo Fernandez steht vor seinem Haus mit Blick auf den Greyerzersee
Guillermo Fernandez steht vor seinem Haus mit Blick auf den Greyerzersee

Atheist in Gebetsgruppe

Guillermo Fernandez ist in Lausanne auf die Welt gekommen. Er hat einen jüngeren Bruder. Sein Vater, ein Ingenieur kam aus Spanien in die Schweiz, um zu arbeiten. Die Arbeit führte die Familie nach Beringen, Aigle, und schliesslich nach Collombey, wo Guillermo Fernandez seine Jugend verbracht hat. Im Gymnasium habe er sich einer Gebetsgruppe angeschlossen. Das sei umso erstaunlicher, als er eigentlich atheistisch und antiklerikal gewesen sei.

Mit der Gruppe ist er 1992 an den Weltjugendtag nach Rom gereist und mit 18 Jahren ist er mit drei Freunden nach Santiago de Compostela gepilgert. Danach habe er Gott wieder vergessen. Über Umwege ist Guillermo Fernandez zum IT-Spezialist geworden. Hat eine eigene Firma gegründet und diese gewinnbringend verkauft. «Wenn ich beim Hungerstreik gestorben wäre, hätte meine Familie genug Geld gehabt, um ohne mich weiterzuleben», sagt Guillermo Fernandez.

«Ich bin stolz, dass mein Grossvater kein Franquista war.»

Sein Vater kam aus Spanien in die Schweiz, um als Ingenieur zu arbeiten. Der Grossvater verlor sein Leben im Kampf gegen das Franco-Regime. «Ich bin stolz, dass mein Grossvater kein Franquista war», sagt Guillermo Fernandez. Genau so stolz wären seine Kinder gewesen, wenn er am Hunger-Streik gestorben wäre, ist Guillermo Fernandez überzeugt. «In zehn Jahren wüssten meine Kinder, dass ich im Wissen um die Klimakatastrophe nicht untätig geblieben bin, sondern getan habe, was ich tun konnte.»

Papst Franziskus bei einem Gottesdienst.
Papst Franziskus bei einem Gottesdienst.

Lob für Papst

Wissen und nichts tun, ist für den Klimaaktivisten keine Option mehr. Das wirft er der schweizerischen Regierung vor und verweist auf Papst Franziskus, der ihm aus dem Herzen spreche. In der Videobotschaft des Papstes an die Volksbewegungen vom 16. Oktober des vergangenen Jahres rede das Oberhaupt der katholischen Kirche nichts schön. Er adressiere seine Forderungen ganz klar an pharmazeutische Firmen, an den Rohstoffhandel, Lebensmittelhersteller und Waffenhändler, Technologie- und Kommunikationsriesen, Regierungen.

Guillermo Fernandez zitiert den Papst: «Dieses System mit seiner unerbittlichen Profitlogik entzieht sich jeder menschlichen Kontrolle. Es ist an der Zeit, die außer Kontrolle geratene Lokomotive abzubremsen, die auf den Abgrund zusteuert. Es ist noch Zeit.» Der heilige Vater spreche ihm mit diesen Worten aus dem Herzen. Mit ihm teile er die Hoffnung, dass es noch nicht zu spät sei.

Rosenkranz vor Bundeshaus

Im obersten Stock des Hauses befindet sich das Büro von Guillermo Fernandez. Eine Bücherwand, Kinderzeichnungen und Mitbringsel von der Elfenbeinküste, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern einige Jahre verbracht hat. Und da ist auch der grüne Filzhut mit der Schellmuschel, den er auf dem Bundeshaus getragen hat. Und ein selbstgemachter Rosenkranz. «Den habe ich jeden Morgen gebetet, bevor ich auf den Bundeshausplatz gegangen bin.»

Der Pilgerhut und der selbstgemacht Rosenkranz von Guillermo Fernandez
Der Pilgerhut und der selbstgemacht Rosenkranz von Guillermo Fernandez

Während des Hungerstreiks hat Guillermo Fernandez viele Menschen kennen gelernt. «Die meisten von ihnen sind gute Menschen und das gibt mir Hoffnung.» Viele von ihnen unterstützten ihn heute bei seinem Kampf. Es stimme nicht, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Diese Geschichte müsse man korrigieren und den Menschen Mut machen, sich für das Leben und die Liebe zu entscheiden.

Schönste Tage: im Hungerstreik

Die Hausführung endet in der Garage. Dort halten wir Ausschau nach den Kartonschildern, die der Aktivist während des Hungerstreiks bei sich hatte. Nach einigem Suchen finden wir die Schilder in einer Kiste. Sie gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. #PapaonHungerstrike steht darauf geschrieben und die roten Striche zeugen von ungewissen Tagen, die dennoch zu den schönsten seines Lebens gehörten, sagt Guillermo Fernandez und lacht schallend.

Die nächsten zehn Jahre werde er für das Klima und gegen Unwissenheit und Ignoranz kämpfen. Als Erstes steht die Konferenz am 2. Mai im Parlament an. Nach dem Bundesparlament seien die kantonalen Parlamente an der Reihe. Dann die Schulen, interessierte Bürgerinnen und Bürger. So dass am Schluss niemand sagen könne, er habe nicht gewusst, was uns bevorstehe.

Das Schild hat der Klima-Aktivist Guillermo Fernandez um den Hals getragen. | © Eva Meienberg
25. Januar 2022 | 12:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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