Jugendmesse in der Krypta der Liebfrauenkirche in Zürich
Schweiz

«Klassische Jugendgottesdienste funktionieren heute nicht mehr»

Wetzikon ZH, 16.6.17 (kath.ch) Macht die Kirche keine Jugendarbeit, stirbt sie in 15 bis 20 Jahren. Dies ist die Einschätzung von Stefan Ritz, dem Leiter der Animationsstelle kirchliche Jugendarbeit (AKJ) Oberland. Dennoch sei es nicht das Hauptziel der kirchlichen Jugendarbeit, die Jugendlichen ins Leben der Pfarreien zu integrieren, sagt der 43-Jährige im Interview mit kath.ch. Ritz unterstützt die Pfarreien des Zürcher Oberlands beim Aufbau der Jugendarbeit.

Barbara Ludwig

Als Leiter der Animationsstelle kirchliche Jugendarbeit (AKJ) Oberland unterstützen Sie Pfarreien in der Jugendarbeit. Wie gehen Sie dabei vor?

Stefan Ritz: Ich betreue 25 Pfarreien im Dekanat Oberland. Ich kläre zunächst ab, welche Pfarreien Jugendarbeiter vor Ort eingestellt haben und welche grundsätzlich an kirchlicher Jugendarbeit interessiert sind. Manchmal zeigt sich, dass eine Pfarrei keine Jugendarbeit leisten kann. Etwa aus finanziellen Gründen, weil sie zu klein ist. Oder weil sie gerade in einer Reorganisation steckt.  Sind Pfarreien an kirchlicher Jugendarbeit interessiert, kläre ich ab, ob sie Unterstützung benötigen.

Welche Dienstleistungen bieten Sie konkret an?

Ritz: Ich unterstütze Pfarreien bei der Anstellung von Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern. Dann kann man mich auch zum Coaching von bereits engagierten Jugendarbeitern hinzuziehen. Drittens helfe ich beim Erarbeiten von Lösungsansätzen: Soll man in der Jugendarbeit mit der politischen Gemeinde kooperieren? Oder sich für den Aufbau kirchlicher Jugendarbeit mit der Nachbarspfarrei zusammenschliessen? Möglich ist auch, einzelne Projekte pfannenfertig einzukaufen und erst später eigene Jugendarbeiter anzustellen.

Ich gebe somit Behörden, Kirchenpflegen, Seelsorgeteams, Pfarrern und Pastoralassistenten Denkanstösse. Die Möglichkeiten einer Pfarrei hängen von der Grösse und den damit verbundenen finanziellen Ressourcen ab. Im Dekanat Oberland sind Pfarreien wie Uster, Dübendorf oder Wetzikon die grossen Player, während Hombrechtikon, Bauma oder Turbenthal zu den kleineren gehören.

Warten Sie, bis die Verantwortlichen bei Ihnen anklopfen?

Ritz: Nein. Ich mache es eher wie ein Versicherungsvertreter. Ich gehe aktiv auf die Leute zu. Man nennt das «Geh-Struktur». In den ersten Monaten meiner Anstellung als Leiter der AKJ Oberland habe ich fleissig telefoniert und mir ein Bild von der Situation gemacht. Seit März 2017 bin ich mit Pfarreien unterwegs. Zurzeit arbeite ich mit sieben zusammen.

Arbeiten Sie auch selber mit den Jugendlichen?

Ritz: Nein, heute nicht mehr. Ich arbeite mit den Multiplikatoren. Meine Zielgruppe sind Jugendarbeiter vor Ort oder andere Personen, die für das Ressort Jugend zuständig sind, etwa Mitglieder von Kirchenpflegen. Aktuell gibt es etwa acht oder neun Jugendarbeiter in den 25 Pfarreien.

In vielen Gottesdiensten sieht man kaum Junge. Ist es das Ziel der kirchlichen Jugendarbeit, Jugendliche ins Leben der Pfarreien zu integrieren?

Ritz: Nein, das ist nicht ihr primäres Ziel. Allerdings: Unternimmt man nichts in diesem Bereich, stirbt die Kirche in 15 bis 20 Jahren. Kirchliche Jugendarbeit macht man auch, damit die Kirche weiterlebt und später irgendjemand die Kirchensteuern bezahlt. Von daher muss die Kirche daran interessiert sein, Zeit und Geld in die Jugendarbeit zu investieren.

Das soll aber nicht das Hauptziel der kirchlichen Jugendarbeit sein?

Ritz: Nein. Die Grundidee ist, dass Jugendliche etwas für ihr Leben lernen können. Das können sie später auch in der Kirche einsetzen. Aber nicht nur dort. Es ist jedoch schon möglich, dass aufgrund der kirchlichen Jugendarbeit junge Menschen stärker am Leben der Pfarrei teilnehmen möchten. Ich bin ein gutes Beispiel dafür. Ich bin bei Jungwacht Blauring gross geworden und dank dem damaligen Jugendarbeiter vor Ort bin ich jetzt selber aktiv in der Kirche.

Will die kirchliche Jugendarbeit die Jugendlichen auch zum Glauben führen?

Ritz: Meiner Ansicht nach gehört das auch dazu. Ein kirchlicher Jugendarbeiter mit Charisma, der einem jungen Menschen sympathisch ist, kann den Glauben unterstützen. Der Jugendliche wird sich dann eher an den Jugendarbeiter wenden, wenn er Glaubensfragen hat. Und nicht an den Jugendarbeiter der politischen Gemeinde.

In den Unterlagen zum Projekt «Glaskubus» der Zürcher Jugendseelsorge haben Sie geschrieben, die kirchliche Jugendarbeit habe sich in den letzten 10 Jahren vom Jugendgottesdienst zu offenen Angeboten gewandelt. Gibt es den Jugendgottesdienst noch?

Ritz: Seit 1998, als ich selber noch Jugendgottesdienste gestaltete, hat ein grosser Wandel stattgefunden. So wie ich das wahrnehme, werden klassische Jugendgottesdienste kaum noch angeboten. Was es noch gibt, sind Schülergottesdienste oder Gottesdienste für Firmanden. Jugendgottesdienste machen, das funktioniert heute nicht mehr.

Warum?

Ritz: Die Jugendlichen kommen nicht, sie haben kein Interesse. Es sei denn, der Pfarrer ist sehr charismatisch. Dann läuft das über seine Person. Die Jugendlichen ticken einfach anders. Die möchten vielleicht einen Gottesdienst vor dem Bahnhof, in einem Tipi oder im Spar. Aber nicht in der Kirche. Heute machen wir einen Spirit Chat, also einen Gottesdienst auf Whatsapp.

Woran messen Sie den Erfolg kirchlicher Jugendarbeit?

Ritz: Eine sehr schwierige Frage. Ich bin seit 20 Jahren in der Kinder- und Jugendarbeit tätig. In den ersten drei, vier Jahren sieht man kaum Erfolge. Erst nach sechs oder sieben Jahren lässt sich feststellen, ob etwas zurückkommt. Zum Beispiel, wenn ein Jugendlicher sich plötzlich in der Pfarrei oder in der Kirchenpflege engagieren möchte. Oder noch später: Wenn er sein Kind taufen lassen möchte, kann das auf Erlebnisse zurückzuführen sein, die er dank der Jugendarbeit machte. Das heisst aber nicht, dass er das ohne Jugendarbeit nicht auch tun würde.

Kann es frustrierend sein, wenn es so lange geht, bis man Früchte sieht?

Ritz: Ja.

Gibt es darum viel Fluktuation bei den Jugendarbeitern?

Ritz: Nein. Kirchliche Jugendarbeiter bleiben im Schnitt zwei bis dreieinhalb Jahre an ihrem Posten. Die Fluktuationen haben weniger mit dem Erfolg zu tun, der nicht unmittelbar eintrifft, als mit der Struktur der Tätigkeit. Jugendarbeit ist kein «9-to-5-Job». Am Freitagabend um 22 Uhr werden die spannenden Fragen auf Whatsapp diskutiert. Dann kann ich nicht antworten: «Sorry, ich mach grad Pause.»

Sie waren selber während 20 Jahren als Sozialarbeiter an der Front. Können Sie von einem Beispiel der späten Ernte erzählen?

Ritz: Kürzlich habe ich einen Mann getroffen, den ich einst betreute. Er war ein ganz schwieriger Jugendlicher. Heute ist er Leiter einer Migros-Filiale. Als wir uns wiedersahen, hat er sich bei mir bedankt. Für die rote Linie, die ich ihm damals setzte.

Stefan Ritz leitet die Animationsstelle kirchliche Jugendarbeit (AKJ) Oberland seit Anfang 2017. Der Aussenposten der Zürcher Jugendseelsorge ist am Dienstag offiziell eröffnet worden.


 

 

Jugendmesse in der Krypta der Liebfrauenkirche in Zürich | © zVG
16. Juni 2017 | 16:07
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