Bischof Joseph Bonnemain unterschreibt den neuen Verhaltenskodex am 5. April 2022.
Schweiz

«Keine Theologin»: Bonnemains Kritik an Karin Iten irritiert Zürich

Der Streit über den neuen Verhaltenskodex im Bistum Chur geht weiter. Bischof Joseph Bonnemain kritisiert, dass sich seine Präventionsbeauftragte Karin Iten zu «theologischen Zusammenhängen» geäussert hat. Aus Zürich erhält Karin Iten Rückenwind.

Raphael Rauch

Seit einer Woche rumort es im Bistum Chur wie schon lange nicht mehr. Zwei Priester des Bistums Chur, die sich im November 2020 gegen Joseph Bonnemain als neuen Bischof aussprachen, kritisieren in einem offenen Brief den neuen Verhaltenskodex des Bistums Chur.

Vorwurf: Die Glaubenslehre der Kirche aushöhlen

Zwar könnten sie «95 Prozent von dem, was im Verhaltenskodex enthalten ist betreffend Prävention», zustimmen. Trotzdem hätte Bischof Joseph Bonnemain «dieses Dokument niemals unterzeichnen dürfen», finden die Domherren Roland Graf und Franz Imhof. Sie behaupten, «die LGBT-Ideologie» werde «unter dem Deckmantel der Übergriffsprävention in der Kirche» implantiert «und damit die Glaubenslehre der Kirche» ausgehöhlt. «LGBT» steht für die englische Variante für lesbisch, schwul, bi- und transsexuell. 

Sie gehören dem "Churer Priesterkreis" an und kritisieren den Verhaltenskodex: die Domherren Roland Graf (l.) und Franz Imhof.
Sie gehören dem "Churer Priesterkreis" an und kritisieren den Verhaltenskodex: die Domherren Roland Graf (l.) und Franz Imhof.

Der neue Verhaltenskodex des Bistums Chur enthält Passagen, die im Spannungsfeld zum katholischen Lehramt stehen, etwa: «Ich unterlasse jegliche Form von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Identität.» Auch sieht der Verhaltenskodex vor, «pauschal negative Bewertungen von angeblich unbiblischem Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung» seien zu unterlassen. Alle Mitarbeitenden des Bistums Chur müssen den Verhaltenskodex unterschreiben.

Bischof Bonnemain kritisiert Karin Iten

Am Freitag äusserte sich Bischof Joseph Bonnemain gegenüber dem reaktionären Portal kath.net. «Es ist offensichtlich, dass die kirchliche Sexualmoral, gemäss dem Evangelium, weder diskriminierend, noch unmenschlich ist, sondern die kurzsichtige und kasuistische Deutung oder Interpretation derselben», zitiert ihn das Portal. «Deswegen bin ich als Bischof bestrebt und entschlossen, in Einklang und Treue zum katholischen Glauben und in Einheit mit Papst und Bischofskollegium meinen Dienst zu leisten – auch jetzt, im Zusammenhang mit der Implementierung des neuen Verhaltenskodex.»

Karin Iten
Karin Iten

Bischof Joseph Bonnemain kritisiert auch seine Präventionsbeauftragte Karin Iten, die zusammen mit dem Priester Stefan Loppacher für das Bistum Chur und die Schweizer Bischofskonferenz arbeitet.

«Keine Theologin»

Karin Iten sei «eine ausgewiesene Fachperson im Bereich Prävention, aber keine Theologin. Demzufolge bedauere ich, dass sie sich über theologische Zusammenhänge geäussert hat. Ich bin mit ihr im Gespräch, um diesen Sachverhalt zu klären», teilte Bonnemain kath.net mit.

Franziska Driessen-Reding ist ehemalige Zürcher Synodalratspräsidentin.
Franziska Driessen-Reding ist ehemalige Zürcher Synodalratspräsidentin.

Dass der Bischof von Chur seine Präventionsfachfrau öffentlich abkanzelt, sorgt vor allem in Zürich für Irritationen. «Diese Stellungnahme kann ich nicht nachvollziehen. Dass sich der Bischof auf Druck einiger weniger anonymer Priester öffentlich auf einem für seine Hetz-Tiraden bekannten Online-Plattform von unserer Präventionsbeauftragten distanziert, irritiert mich sehr», sagt Franziska Driessen-Reding. Sie ist die Präsidentin des Zürcher Synodalrats. «Ich habe Bischof Joseph Maria bisher anders kennengelernt und weiss, dass ihm die Prävention ein wichtiges Anliegen ist. Ich versuche deshalb, das im direkten Gespräch mit ihm zu klären.»

«Kirchliche Sexualmoral gemäss dem Evangelium»

Franziska Driessen-Reding verteidigt Karin Iten und Stefan Loppacher: «Die Präventionsbeauftragten weisen zurecht immer wieder darauf hin, dass wir nicht nur eine Verhaltensänderung in der Kirche brauchen, sondern dass der Missbrauch auch systemische Ursachen in einigen Punkten der traditionellen kirchlichen Sexuallehre hat, die überwunden werden müssen. Wer nicht einsieht, dass sexuelle Selbstbestimmung auch von der kirchlichen Lehre endlich unmissverständlich respektiert werden muss, ist in der Zürcher Kirche und der offenen Gesellschaft im Kanton Zürich am falschen Ort.»

Dieses Plakat (Ausschnitt) ist Teil der Ausstellung "Take Care", die im Kunsthaus Zürich zu sehen ist und war Teil einer "Stop Aids"-Kampagne.
Dieses Plakat (Ausschnitt) ist Teil der Ausstellung "Take Care", die im Kunsthaus Zürich zu sehen ist und war Teil einer "Stop Aids"-Kampagne.

Was genau Bischof Joseph Bonnemain unter einer «kirchlichen Sexualmoral gemäss dem Evangelium» versteht, lässt der Opus-Dei-Anhänger immer wieder offen.

«Kein Herrenwort über oder gegen Homosexualität»

Auf die Frage, ob auch schwule oder lesbische Seelsorgende eine bischöfliche Beauftragung erhalten könnten, sagte Bonnemain im April: «Es geht um den Einzelfall. Je nachdem, wie die konkrete Situation der Person aussieht, ist eine Missio möglich. Von mir gibt es hier kein pauschales Ja und kein Nein. Es geht um die konkrete Situation eines Menschen.»

Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.
Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.

Viele Ethikerinnen und Moraltheologen sehen die kirchliche Sexualmoral schon seit Jahrzehnten als veraltet an. Die Tübinger Ethikerin Regina Ammicht Quinn weist schon länger darauf hin, dass im Neuen Testament «viel von Liebe die Rede» sei «und wenig von Sexualität. Abgesehen von Jesu Wort über die Ehescheidung gibt er keine Auskunft über seine Haltung zur Sexualmoral: Es gibt kein Herrenwort über oder gegen Homosexualität, Masturbation, Prostitution, vorehelichen Geschlechtsverkehr und so weiter.»


Bischof Joseph Bonnemain unterschreibt den neuen Verhaltenskodex am 5. April 2022. | © Christian Merz
7. Mai 2022 | 13:56
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