Filmszene aus #Female Pleasure mit Doris Wagner
Schweiz

Kein Übergriff auf Schweizer Ordensfrauen bekannt

Zürich, 15.11.18 (kath.ch) Im Film «#Female Pleasure» erzählt Doris Wagner, dass sie als Ordensfrau von einem Priester vergewaltigt wurde. Laut Wagner ist das Phänomen weltweit verbreitet. In der Schweiz sind den diözesanen Fachgremien keine solchen Fälle bekannt. kath.ch hat nachgefragt, an wen eine betroffene Ordensfrau sich in so einem Fall wenden könnte.

Sylvia Stam

Am Donnerstag läuft der Film «#Female Pleasure» in den Schweizer Kinos an. Eine der Protagonistinnen, Doris Wagner, berichtet darin, wie sie als Ordensfrau der geistlichen Gemeinschaft «Das Werk» in Rom von einem Priester vergewaltigt wurde. In einem Artikel in der deutschen Jesuitenzeitschrift «Stimmen der Zeit» (2018/6) berichtet sie ausserdem von einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 1998, derzufolge 30 Prozent der befragten Ordensfrauen angegeben hätten, während ihres Ordenslebens Opfer sexuellen Missbrauchs geworden zu sein.

Keine Zahlen aus der Schweiz

Gemäss Wagner ist sexueller Missbrauch von Ordensfrauen weltweit verbreitet, wie sie im Artikel weiter schreibt. Für die Schweiz liegen zu dieser Thematik keine Zahlen vor, auch konkrete Einzelfälle sind den kirchlichen Anlaufstellen nicht bekannt. Joseph Bonnemain, Sekretär des Fachgremiums Sexuelle Übergriffe der Schweizer Bischofskonferenz, erstellt seit 2002 die Statistiken der gemeldeten Fälle von sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld. «Mir ist kein Fall von einer Ordensfrau bekannt, die von einem Priester sexuell missbraucht worden wäre», sagt Bonnemain gegenüber kath.ch.

Angenommen, eine Ordensfrau in der Schweiz erlebt sexuelle Gewalt durch einen Priester. An wen könnte sie sich wenden? «In allen Bistümern gibt es ein ‘Fachgremium sexuelle Übergriffe’. Auch eine Ordensfrau, der sexuelle Gewalt widerfährt, kann sich an eine der Ansprechpersonen dieser Gremien wenden», erläutert Giorgio Prestele, Präsident des Fachgremiums Sexuelle Übergriffe der Schweizer Bischofskonferenz, gegenüber kath.ch.

Unabhängige Fachpersonen

Aufgabe der Ansprechpersonen sei es, der betroffenen Person zuzuhören und ihre Bedürfnisse zu klären. «Die diözesanen Fachgremien verfügen über ein breites Netzwerk vertrauenswürdiger Fachpersonen – Psychologen, Juristen, Ärzte – die von der Kirche unabhängig sind.» Der betroffenen Ordensfrau könnte eine solche professionelle Begleitung vermittelt werden.

Falls das Opfer im Gespräch mit einer auf diese Weise vermittelten Fachperson zu erkennen geben sollte, dass es dem Bischof direkt sagen möchte, was geschehen ist, würde auch dies über die Ansprechperson des Fachgremiums in die Wege geleitet, sagt Prestele. Die Ansprechpersonen der Fachgremien stehen unter Schweigepflicht.

Auch Giorgio Prestele ist kein Fall bekannt, in welchem sich eine Ordensfrau, die sexuelle Gewalt durch einen Priester erlebt hat, an ein diözesanes Fachgremium gewendet hätte. Er habe aber aufgrund seiner Funktion kaum direkt mit Opfern zu tun.

Ansprechpersonen der Bistümer sind keine Fälle bekannt

Lucia Hauser, seit 2002 eine der Ansprechpersonen für Opfer sexueller Übergriffe im Bistum Basel, bestätigt, dass das Fachgremium auch Ordensfrauen zur Verfügung stehen würde, ebenso Opfern aus anderen Bistümern. Auch an Hauser ist jedoch nie eine Ordensfrau gelangt, die sexuellen Missbrauch durch einen Priester erlebt hat. Die gleiche Antwort geben auch Franziska Gschwend, seit 2014 Präsidentin des Fachgremiums im Bistum St. Gallen, und  Beatrice Luginbühl, seit 2009 eine der Ansprechpersonen des Fachgremiums im Bistum Chur. Luginbühl ist kein entsprechender Fall für das ganze Bistum Chur bekannt. Auch beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund und dem Verein der vom Zölibat betroffen Frauen sind keine solchen Fälle gemeldet worden, wie es auf Anfrage hiess.

«In der Regel muss man gehen, bevor man auspacken kann.»

Aus dieser nicht repräsentativen Umfrage zu schliessen, dass dies in der Schweiz nicht vorkommt, wäre unzulässig. Zum einen können betroffene Ordensfrauen sich auch an staatliche Opferhilfestellen wenden, zum anderen ist bekannt, dass Opfer sexueller Übergriffe oft jahrelang nicht in der Lage sind, darüber zu sprechen. Gemäss Wagner sind bisher nur einzelne der betroffenen Ordensfrauen mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit gelangt, vor allem in Frankreich, wie sie im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» (12. November) sagt.

«In der Regel muss man gehen, bevor man auspacken kann», so Wagner gegenüber der Zeitung. Dazu sind jedoch viele der betroffenen Frauen laut Wagners Einschätzung nicht in der Lage. «Ordensfrauen haben oft das Gefühl, niemand zu sein: Ihr Ich ist weg. Ihr Selbstwert besteht wie einst bei mir darin, alles mit sich machen zu lassen.»

Kommentar zum Thema:


Filmszene aus #Female Pleasure mit Doris Wagner | © Filmcoopi
15. November 2018 | 11:20
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