Kardinal George Pell
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Kardinal Pells Vermächtnis: Das Arbeitsdokument des synodalen Prozesses muss radikal geändert werden

Kurz vor seinem Tod hat Kardinal George Pell einen Artikel für «The Spectator» verfasst. Er kritisiert das Arbeitsdokument des synodalen Prozesses als «eines der inkohärentesten Dokumente, die je aus Rom verschickt wurden», noch dazu «in neomarxistischem Jargon» und «feindlich gegenüber der apostolischen Tradition». kath.ch veröffentlicht Pells Text in voller Länge.

Kardinal George Pell*

Die katholische Bischofssynode ist derzeit damit beschäftigt, das zu schaffen, was sie als «Gottes Traum» von der Synodalität betrachtet. Leider hat sich dieser göttliche Traum zu einem giftigen Alptraum entwickelt, aller erklärten guten Absichten der Bischöfe zum Trotz.

In Afrika und Asien nimmt die Zahl der Katholikinnen und Katholiken zu

Sie haben ein 45-seitiges Arbeitsdokument herausgegeben, das ihren Bericht über die Diskussionen der ersten Phase des «Zuhörens und Unterscheidens» enthält, die in vielen Teilen der Welt stattgefunden haben, und es ist eines der inkohärentesten Dokumente, die je aus Rom verschickt wurden.

Während wir Gott danken, dass die Zahl der Katholikinnen und Katholiken auf der ganzen Welt zunimmt, insbesondere in Afrika und Asien, sieht es in Lateinamerika ganz anders aus, wo die Kirche Verluste sowohl an die Protestanten als auch an die Säkularisten hinnehmen musst.

Alle Völker zu Jüngern machen – davon ist nicht die Rede

Ohne jeden Sinn für Ironie trägt das Dokument den Titel: «Mach den Raum deines Zeltes weit». Das Ziel ist, nicht nur die Neugetauften aufzunehmen – also diejenigen, die dem Ruf zur Umkehr und zum Glauben gefolgt sind –, sondern alle, die interessiert genug sind, um zuzuhören. Die Teilnehmer werden aufgefordert, einladend und radikal integrativ zu sein: «Niemand wird ausgeschlossen».

Das Dokument fordert nicht einmal die katholischen Teilnehmenden auf, alle Völker zu Jüngern zu machen (Matthäus 28,16-20), geschweige denn, vom Erlöser zu predigen – zur rechten Zeit und in der falschen Zeit (2. Timotheus 4,2).

Das sich weitende Zelt ist ein Ort, an dem die Menschen gehört werden

Die erste Aufgabe für alle und besonders für die Lehrenden ist es, im Geist zu hören. Nach dieser jüngsten Aktualisierung der Frohen Botschaft ist die «Synodalität» eine Seinsweise für die Kirche, ohne diese zu definieren, sondern einfach zu leben. Sie dreht sich um fünf kreative Spannungsfelder, die von der radikalen Inklusion ausgehen und sich auf die Mission in einem partizipatorischen Stil zubewegen, indem sie «Mitverantwortung mit anderen Gläubigen und Menschen guten Willens» praktizieren. Schwierigkeiten wie Krieg, Völkermord und die Kluft zwischen Klerus und Laien werden zwar eingeräumt, aber alle können, so die Bischöfe, durch eine lebendige Spiritualität überbrückt werden.

Das Bild von der Kirche als einem sich weitenden Zelt mit dem Herrn in der Mitte stammt von Jesaja, und es geht darum zu betonen, dass dieses sich weitende Zelt ein Ort ist, an dem die Menschen gehört und nicht verurteilt und schon gar nicht ausgeschlossen werden.

Polygamie, Scheidung, Wiederheirat

Wir lesen also, dass das Volk Gottes neue Strategien braucht; nicht Streit und Zusammenstösse, sondern Dialog, bei dem die Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen verworfen wird. Das Volk Gottes muss tatsächlich auf den Schrei der Armen und der Erde hören, heisst es.

Aufgrund der Meinungsverschiedenheiten über Abtreibung, Empfängnisverhütung, die Ordination von Frauen zum Priesteramt und homosexuelle Handlungen sind einige der Meinung, dass keine endgültigen Positionen zu diesen Themen festgelegt oder vorgeschlagen werden können. Dies gilt auch für die Polygamie sowie die Scheidung und Wiederheirat.

Das Alte Testament wird ignoriert

Das Dokument ist jedoch klar in Bezug auf das besondere Problem der untergeordneten Stellung der Frau und die Gefahren des Klerikalismus, obwohl der positive Beitrag vieler Priester anerkannt wird.

Was soll man von diesem Potpourri, diesem Ausfluss des guten Willens des New Age halten? Es ist keine Zusammenfassung des katholischen Glaubens oder der Lehre des Neuen Testaments. Es ist unvollständig, in erheblichem Masse feindselig gegenüber der apostolischen Tradition und erkennt nirgendwo das Neue Testament als das Wort Gottes an, das für alle Lehren über Glauben und Moral massgebend ist. Das Alte Testament wird ignoriert, das Patriarchat abgelehnt und das Mosaische Gesetz, einschliesslich der Zehn Gebote, wird nicht explizit anerkannt.

Sind die Bischöfe Diener und Verteidiger der apostolischen Tradition?

Zwei Punkte können zunächst angeführt werden. Die beiden Synoden in Rom 2023 und 2024 werden ihre Lehre zu moralischen Fragen klären müssen, da der Relator (Hauptautor und Geschäftsführer) Kardinal Jean-Claude Hollerich die grundlegenden Lehren der Kirche zur Sexualität öffentlich abgelehnt hat, mit der Begründung, dass sie der modernen Wissenschaft widersprechen. In normalen Zeiten hätte dies bedeutet, dass seine weitere Tätigkeit als Relator unangemessen, ja gar unmöglich gewesen wäre.

Die Mitglieder der Synode müssen sich entscheiden, ob sie Diener und Verteidiger der apostolischen Tradition in Glaubens- und Sittenfragen sind, oder ob ihr Urteilskraft sie dazu treibt, ihre Souveränität über die katholische Lehre geltend zu machen. 

Faktischer Pluralismus in LGBTQ-Fragen

Sie müssen entscheiden, ob grundlegende Lehren über Dinge wie das Priestertum und die Moral in einer pluralistischen Vorhölle geparkt werden können, in der einige sich dafür entscheiden, Sünden nach unten umzudefinieren, und die meisten sich damit einverstanden erklären, respektvoll unterschiedlicher Meinung zu sein.

Ausserhalb der Synode lässt die Disziplin nach – vor allem in Nordeuropa, wo einige Bischöfe nicht getadelt wurden, selbst wenn sie das Recht eines Bischofs auf Abweichung geltend gemacht haben; in einigen Gemeinden und Orden herrscht bereits ein faktischer Pluralismus in Fragen wie der Segnung homosexueller Aktivitäten.

Die pyramidale Autorität soll zerstört werden

Die Diözesanbischöfe sind die Nachfolger der Apostel. Ein Diözesanbischof ist der oberste Lehrer in jeder Diözese und der Mittelpunkt der lokalen Einheit ihrer Gemeinde sowie der universalen Einheit mit dem Papst, dem Nachfolger Petri. Seit der Zeit des heiligen Irenäus von Lyon ist der Bischof auch der Garant für die fortdauernde Treue zur Lehre Christi, der apostolischen Tradition. Bischöfe sind Statthalter und manchmal auch Richter – genau so sehr wie sie Lehrer und Sakramentenspender sind. Sie sind nicht nur Mauerblümchen oder Stempel.

«Weitet das Zelt» ist sich der Schwächen der Bischöfe bewusst, die manchmal nicht zuhören, autokratische Tendenzen haben und klerikalistisch und individualistisch sein können. Es gibt Zeichen der Hoffnung der effektiven Führung und Zusammenarbeit, aber das Arbeitsdokument spiegelt die Meinung wider, dass die pyramidale Autorität zerstört werden soll und die einzige echte Autorität aus Liebe und Dienst kommt sollte. Die Würde der Taufe soll betont werden, nicht die Priesterweihe, und der Führungsstil soll weniger hierarchisch und mehr zirkulär und partizipativ sein.

Anfällig für Manipulationen

Die Hauptakteure in allen katholischen Synoden (und Konzilien) und in allen orthodoxen Synoden waren die Bischöfe. Auf den kontinentalen Synoden sollte dies auf sanfte, kooperative Weise durchgesetzt und in die Praxis umgesetzt werden, damit die pastoralen Initiativen innerhalb der Grenzen der der gefestigten Doktrinen bleiben. Die Bischöfe sind nicht einfach dazu da, ein ordnungsgemässes Verfahren zu bestätigen und ein «nihil obstat» zu dem, was sie beobachtet haben, anzubieten.

Keinem Teilnehmenden des synodalen Prozesses – ob Laiin, Laie, Ordensmann oder Ordensfrau, Priester oder Bischof – ist damit gedient, dass die Synode beschliesst, dass Abstimmungen nicht erlaubt sind und keine Vorschläge gemacht werden können. Nur die Ansichten des Organisationskomitees an den Heiligen Vater weiterzugeben, damit dieser nach eigenem Gutdünken handeln kann, ist ein Missbrauch der Synodalität, eine Ausgrenzung der Bischöfe, die weder durch die Heilige Schrift noch durch die Tradition gerechtfertigt ist. Es handelt sich nicht um ein ordnungsgemässes Verfahren und dazu um eines, das anfällig für Manipulationen ist.

Tod und Gericht, Himmel und Hölle

Die grosse Mehrheit derjenigen Katholikinnen und Katholiken, die aktiv praktizieren und regelmässig an Gottesdiensten teilnehmen, stimmen den Ergebnissen der Synode nicht zu. Auch auf den höheren Ebenen der Kirche ist die Begeisterung nicht gerade gross. Fortgesetzte Treffen dieser Art vertiefen lediglich die Spaltung, und einige wenige Wissende können das grosse Durcheinander trotz bezeugten guten Willens ausnutzen. 

Die ehemaligen Anglikaner unter uns haben Recht, wenn sie die zunehmende Verwirrung, den Angriff auf die traditionelle Moral und die Einführung eines neomarxistischen Jargons über Ausgrenzung, Entfremdung, Identität, Marginalisierung, die Stimmlosen, LGBTQ sowie die Verdrängung der christlichen Vorstellungen von Vergebung, Sünde, Opfer, Heilung und Erlösung in den Dialog feststellen. Warum das Schweigen über das Leben nach dem Tod, über Belohnung oder Bestrafung, über die vier letzten Dinge: Tod und Gericht, Himmel und Hölle?

Arbeitsdokumente sind nicht Teil des kirchlichen Lehramtes

Bisher hat der synodale Prozess das Transzendente vernachlässigt, ja sogar herabgestuft, hat die Zentralität Christi mit Appellen an den Heiligen Geist überdeckt und Ressentiments gefördert – insbesondere unter den Teilnehmenden.

Arbeitsdokumente sind nicht Teil des kirchlichen Lehramtes. Sie sind eine Diskussionsgrundlage, die vom ganzen Volk Gottes und insbesondere von den Bischöfen mit und unter dem Papst zu beurteilen ist. Dieses Arbeitsdokument muss radikal geändert werden. Die Bischöfe müssen erkennen, dass in Gottes Namen eher früher als später etwas getan werden muss.

* Der australische Kardinal George Pell ist am Dienstag im Alter von 81 Jahren gestorben. Als er den Artikel schrieb, ahnte er nicht, dass er bald sterben würde. «Er war darauf vorbereitet, den Zorn von Papst Franziskus zu spüren. Jetzt aber könnte sein plötzlicher Tod seinen Worten noch mehr Nachdruck verleihen», mutmasst «The Spectator», wo der Artikel zuerst erschienen ist. Wir danken dem Herausgeber für die Möglichzeit der Zweitveröffentlichung (Übersetzung: Annalena Müller).


Kardinal George Pell | © KNA
12. Januar 2023 | 14:39
Lesezeit: ca. 6 Min.
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