Thomas Englberger vor dem Ordinariat des Bistums St. Gallen.
Porträt

Kanzler des Bistums St. Gallen: Thomas Englberger kämpft mit dem Schatten seines Vorgängers

Vor neun Monaten ist Thomas Englberger (57) auf einen fahrenden Zug aufgesprungen: So umschreibt der Theologe seinen Start als Kanzler des Bistums St. Gallen. Die grossen Fussstapfen seines Vorgängers Claudius Luterbacher fordern den kulturaffinen und musikbegeisterten Mann heraus.

Barbara Ludwig

Wenn Thomas Englberger im Büro arbeitet, wacht die Himmelskönigin über ihn. Direkt über dem Schreibtisch thront eine prächtige Madonnenstatue mit Goldkrone auf dem Haupt und dem Jesuskind im Arm. An zwei Wänden des Raumes hängt die Galerie seiner Ahnen: Es sind die Porträts der früheren Kanzler des Bistum St. Gallen, darunter auch eine Frau. Das neuste Porträt an der Wand zeigt Claudius Luterbacher, Kanzler von 2012 bis 2022.

Ahnengalerie: Claudius Luterbacher (rechts) war von 2012 bis 2022 Kanzler des Bistums St. Gallen.
Ahnengalerie: Claudius Luterbacher (rechts) war von 2012 bis 2022 Kanzler des Bistums St. Gallen.

Drei seiner Vorgänger hat Thomas Englberger noch im Amt kennengelernt. Denn der aus Bayern stammende Theologe und Soziologe hat bereits früher in verschiedenen Funktionen für die katholische Kirche in St. Gallen gearbeitet, insgesamt 15 Jahre bis 2011.

Englberger war Assistent und Projektleiter am Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut und Mitarbeiter im Pastoralamt des Bistums.

«Durch seinen fachlichen Hintergrund hat mein Vorgänger hohe Massstäbe gesetzt.»

«Kanzler ist ein klangvoller Titel», sagt Englberger, der seit September im Amt ist, mit einem Schmunzeln. Trotzdem sei er nicht die Nummer Zwei im Bistum. «Die Nummer Zwei ist der Generalvikar. Als Kanzler bin ich für die Akten zuständig.»

Er sei zur Hauptsache verantwortlich dafür, dass alle Geschäfte des Bistums ordnungsgemäss dokumentiert werden. Auch die internen Abläufe gehören in seinen Aufgabenbereich. Englberger bereitet zum Beispiel die Sitzungen des Ordinariatsrates vor, das ist das Leitungsgremium des Bistums.

Kanzler Thomas Englberger in seinem Büro.
Kanzler Thomas Englberger in seinem Büro.

Vor seiner neuen Aufgabe hat Englberger grossen Respekt: Er habe natürlich gemerkt, dass er mit Claudius Luterbacher einen Vorgänger «mit einem langen Schatten und einer grossen Schuhgrösse» habe. Zu tun hat das zum einen mit der fachlichen Qualifikation von Luterbacher als Kirchenrechtler, Ökonom und Sozialethiker. «Durch seinen fachlichen Hintergrund hat mein Vorgänger hohe Massstäbe gesetzt.» Er sei sich nicht sicher, ob die eigene Qualifikation für die vielfältige Aufgabe genüge, sagt Englberger in sympathischer Offenheit.

Der Bischof machte Mut

Eine Rolle spiele auch die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung. Als gebürtiger Ostschweizer sei Luterbacher gesellschaftlich ganz anders integriert als er selber. «Das hat mich ein Stück weit bescheiden gemacht. Ich habe festgestellt: Ich muss und kann nicht so tun, als wäre ich ein zweiter Claudius Luterbacher.»

Bischof Markus Büchel.
Bischof Markus Büchel.

Das ist auch gar nicht nötig. Thomas Englberger geniesst offenbar das volle Vertrauen seines Chefs. 2021 hat ihn die St. Galler Bistumsleitung angefragt, ob er die Nachfolge von Luterbacher übernehmen wolle. Und Bischof Markus Büchel hat ihn mit einem Hinweis auf die Ahnengalerie ermutigt: Jeder, der hier Kanzler war, habe dies auf seine Art gemacht. «Auch du wirst es auf deine Art und Weise tun und dabei deine Schwerpunkte setzen.»

Englberger sagt, dem Bischof sei wichtig gewesen, dass wieder ein Theologe oder eine Theologin das Amt übernehme. Den Job könne man auch ohne Abschluss in Kirchenrecht machen, das zeigten seine Kolleginnen und Kollegen in den Bistümern Chur oder Basel.

Liebe zu Tschechien

Thomas Englberger machte einen Sprachaufenthalt in Prag, als der Bischof bei ihm anklopfte. Dazu hatte sich der Theologe nach einem mehrjährigen Engagement bei der Internationalen Begegnungsstätte Kloster Speinshart entschlossen. Der Ort gehört zu Bayern und befindet sich zirka 30 Kilometer von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt.

Konzert im Kloster Speinshart in Bayern.
Konzert im Kloster Speinshart in Bayern.

Englbergers Tätigkeit im Kultur- und Veranstaltungsmanagement war in Richtung Osten, nach Tschechien, orientiert. Kultur, Geschichte und die «liebenswürdigen» Bewohner Tschechiens sind dem Bayern ans Herz gewachsen. In Speinshart hat Englberger vor allem Konzerte, Ausstellungen und Vorträge organisiert. Damit konnte er Beruf und Hobby verbinden.

«Ein Leben ohne Musik, das geht für mich nicht.»

Denn der 57-Jährige hat eine Passion, die älter ist als sein Interesse für Theologie oder Soziologie: Er spielt Klarinette. Mit 18 wurde Englberger Bayerischer Landessieger beim Solowettbewerb für Klarinette von «Jugend musiziert». Musik ist noch immer sehr wichtig für ihn, auch wenn er zurzeit nicht Teil eines Ensembles ist, das regelmässig zusammen musiziert. «Ein Leben ohne Musik, das geht für mich nicht.»

Thomas Englberger schätzt das gute Arbeitsklima im Ordinariat.
Thomas Englberger schätzt das gute Arbeitsklima im Ordinariat.

Die Musik habe ihm immer geholfen, an einem Ort anzukommen, erzählt Englberger. Zum Beispiel, als er – noch vor seiner Anstellung in Speinshart – im Vorstand des «Orchesters Musikfreunde St. Gallen» mitwirkte.

«Die Schweiz fühlt sich heute anders an.»

Die Musik könnte ihm auch jetzt helfen, sich ein zweites Mal in der Schweiz zu akklimatisieren. Englberger berichtet, dass es ihm ein bisschen ergehe wie den Missionaren, die nach Jahren in Übersee in ihre Heimat zurückkehren. «Sie fremdeln. Auch für mich fühlt sich die Schweiz heute anders an. Zehn Jahre lang war ich in intensivem Kontakt mit einem slawisch geprägten Land. Die Schweiz hingegen ist sowohl kulturell als auch sprachlich nach Westen ausgerichtet.»

Der Klarinettist hatte unterdessen auch schon Gelegenheit, mit dem scheidenden Domorganisten Willibald Guggenmos aufzutreten, den er noch von früher her kennt.

Spannungsfreie Miteinander im Ordinariat

Im Moment konzentriert sich Englberger jedoch voll auf sein Amt. Was ihm bei der Aufgabe als Kanzler gefällt, ist das Umfeld und das gute Arbeitsklima. «Die Abläufe sind eingespielt. Es ist ein spannungsfreies, kooperatives Miteinander, das von gegenseitigem Wohlwollen geprägt ist.» Neun Monate nach dem Start befindet sich der neue Kanzler noch in der Phase der Einarbeitung. «Ich habe noch keinen vollen Jahreszyklus erlebt.» Von Routine ist daher noch keine Rede.

«Hier muss ich in verschiedene Richtungen denken»

Sein neuer Job sei komplexer als die frühere Tätigkeit bei der Internationalen Begegnungsstätte Kloster Speinshart, stellt Englberger fest. «Vorher war ich auf ein Thema, einen Bereich und einen Ort fokussiert. Hier muss ich in ganz verschiedene Richtungen denken.» Der Vergleich mit Speinshart hat ihm gezeigt: Es sei einfacher, etwas selbst aufzubauen, «als auf einen fahrenden Zug aufzuspringen». Vor allem, wenn dieser Zug vorher von einer Persönlichkeit wie Claudius Luterbacher gesteuert worden ist.


Thomas Englberger vor dem Ordinariat des Bistums St. Gallen. | © Barbara Ludwig
6. Juni 2023 | 05:00
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