Singen wie beten – bei "Gottwärts"
Schweiz

Junge Katholiken, Reformierte und Freikirchler suchen den Weg «Gottwärts»

Einsiedeln, 16.9.18 (kath.ch) Rund 100 junge Katholiken, Reformierte und Freikirchler haben sich am Wochenende im Kloster Einsiedeln zum konfessionsübergreifenden Anlass «Gottwärts» getroffen. «Wenn unser Ziel, Gott, dasselbe ist, dann können wir einen Teil des Weges gemeinsam gehen», heisst es auf der Webseite von «Gottwärts». Bei Referaten und in Workshops tauschten sich die Teilnehmer aus.

Fabio Paulitti

Der Moment erinnert eher an ein Pop-Konzert einer regionalen Musikgruppe als an einen Kirchenanlass. Der kleine, dunkle Saal ist etwa zur Hälfte mit Zuschauern gefüllt. Die Scheinwerfer sind auf die junge Musikband vor der Bühne gerichtet. Ausgestattet mit modernster Technik und besten Lautsprechern spielen sie religiöse Lieder, während die Texte auf die Leinwand hinter der Bühne projiziert werden.

Ergriffenheit beim Singen

Die knapp 100 Zuschauer stehen fast alle und singen mit. Einige bewegen leicht ihre Lippen, andere hingegen knien von der spürbaren Energie ergriffen auf dem Boden. Nach rund zwanzig Minuten ist die Veranstaltung vorbei. Die jungen Katholiken, Reformierte und Mitglieder der Freikirchen gönnen sich eine Nachmittagspause.

Der Benediktiner Thomas Fässler, Kommunikationsbeauftragter des Events, hat den Überblick über die 110 angemeldeten Teilnehmer: «Die Konfessionen sind mehr oder weniger gleichmässig auf die Teilnehmer verteilt.» 42 Prozent gehörten der römisch-katholischen Kirche, 30 Prozent den Freikirchen und 28 Prozent der evangelisch-reformierten Kirche an.

Anfänglich noch wenig vertraut

Seit elf Uhr morgens nun ist das interkonfessionelle Wochenende an diesem Samstag schon im Gange. Die Teilnehmer haben sich kennengelernt, vermitteln aber noch keinen sehr vertrauten Eindruck, wie ein Blick in die Runde kurz vor der Podiumsdiskussion am Nachmittag zeigt. Das Publikum ist hier zur grossen Mehrheit zwischen 20 und 30 Jahre alt. In der Geschlechterverteilung halten sich Mann und Frau etwa die Waage.

Suchen nach Gemeinsamkeiten

Nach einer kurzen und humorvollen Einführung von Thomas Fässler sprechen Jonas Oesch, Peter Janf, und Hanspeter Nüesch während den knapp 60 Minuten über die Bedeutung interkonfessioneller Zusammenarbeit. Obwohl die drei Referenten aus drei verschiedenen Konfessionen stammen, teilen sie eine Gemeinsamkeit: Alle waren in ihrem Leben mit anderen christlichen Konfessionen konfrontiert. Dies im familiären Umfeld oder im Freundeskreis oder weil sie selbst die Konfession gewechselt hatten.

Das Podiumsgespräch ist mit viel Humor und Ironie bepackt. Die Redner äussern sich in einfacher Sprache und verzichten auf komplexe theologische Abhandlungen, die womöglich das Publikum gelangweilt hätten. Allerdings entsteht keine wirkliche Diskussion, das Podium wie das Publikum setzen auf gegenseitiges Zustimmen und Ergänzen.

Jugend sucht Antwort auf Lebensfragen

Als der Moderator die Diskussion für Fragen aus dem Plenum öffnet, meldet sich nebst Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich, nur ein Teilnehmer mit einer kritischen Frage. Die Grundaussage des Gesprächs fasst Jonas Oesch gut zusammen: «Die Jugend interessiert sich nicht für die theologischen Diskussionen zwischen den Konfessionen. Sie suchen nur Antworten auf Lebensfragen.» Die Band «Adam’s Wedding» beendet das Podium mit ihrem popartigen Auftritt.

Gott wird spürbar

In der folgenden Zwischenpause greift Katrin D.* Inputs aus dem vorherigen Plenum auf: «In einer komplexen Welt, wie sie heute ist, brauchen wir Gott. Die Anwesenheit Gottes und seine Liebe sind nur da, wo wir – die verschiedenen Konfessionen – eins sind.» Die 23-jährige ist in einer Freikirche engagiert und gerade sichtlich berührt. «Ich könnte weinen vor Freude», sagt sie halb lachend, halb Tränen unterdrückend.

Ihre Freundin Daniela Seibert kommt aus einem reformierten Umfeld, bewegt sich aber mehr in Freikirchen. «Man spürt die Gegenwart Gottes richtig», erklärt die 32-jährige aus Schlossrued im Aargau. Sie hofft, dass es an diesem Wochenende endlich möglich sei, sich auf das Wesentliche aller Konfessionen zu konzentrieren. Dass die Wege zu Gott unterschiedlich sind, sei eine Bereicherung und nicht eine Bedrohung, sagt sie.

Moderne Musik willkommen

Ähnlich sieht es die italienische Katholikin Arianna Estorelli: «In Mailand habe ich nie etwas mit anderen Konfessionen zu tun», sagt sie. Erst seit sie in der Schweiz sei und jetzt bei «Gottwärts», habe sie vom interkonfessionellen Austausch profitieren können. Und dies ist der 28-Jährigen sehr wichtig. Am Anlass gefällt ihr «vor allem wie die Treffen gestaltet sind, mit viel moderner Musik und Interaktion. Das fehlt der katholischen Kirche ein wenig.»

Sich in Workshops austauschen

In der Nachmittagspause herrscht reger Austausch. Viel Zeit für Gespräche bleibt allerdings nicht. Um 16 Uhr beginnen bereits die fünf «Gottwärts»-Workshops. Einen davon, nämlich «Exegese Live», leiten Andi Bachmann-Roth und Ralph Kunz. Nur sieben Personen – Referenten inklusive – sitzen im Raum, der wie ein Schulzimmer aussieht. Alle sitzen in einem Kreis auf Schulstühlen, was Erinnerungen an die Primarschulzeit heraufbeschwört. Kunz erklärt, dass er einen trockenen Monolog verhindern wolle und den Workshop interaktiv gestalte. Durch die Methode des «Bibel-Teilens» soll jeder und jede eigene Gedanken zu einer Textstelle aus dem Johannes-Evangelium mit den anderen teilen.

Nach einigen Minuten melden sich die ersten Teilnehmer und interpretieren ihre Stellen. Dies geschieht oft sehr emotional. Bachmann-Roth und Ralph Kunz ergänzen die Interpretationen mit theologischem Basiswissen. Besonderen Fokus legen die beiden auf die Immanenz-Formel (Johannesevangelium), den sie als Aufruf zur vollständigen Einigkeit aller Konfessionen interpretieren.

Eine Teilnehmerin lässt daraufhin ihr Handy herumgeben, das ein Foto von einer selbstgemalten Ikone zeigt, welche die «Ich in dir und du in mir»-Situation aus dem Johannesevangelium aufzeigt. Dargestellt sind Gott, Jesus und der Heilige Geist, die einander anschauen. So vollkommen sollte das Zusammenspiel der Ökumene funktionieren, sagt Kunz dazu.

Wieder wird wenig diskutiert oder widersprochen. Die Workshop-Teilnehmer blicken meist auf ihre Bibel oder in die ausgedruckten Texte. Meldet sich jemand zu Wort, dann oft zögerlich. Vor und nach dem Gedanken-Teilen beten alle zusammen.

Maria irritierte den Reformierten

Danach treffen sich alle wieder im Pausensaal. Dort wird die Stimmung spürbar lockerer. Junge Menschen stehen in Gruppen mit ihren Bechern und ihrem Essen da und reden über ihre Erlebnisse, fast so, als befänden sie sich an einer Studentenparty.

In den nun laufenden Gesprächen wird klar, dass und wie die jungen Christen ihre interkonfessionellen Unterschiede wahrnehmen. Der Freikirchlerin Katrin ist aufgefallen: «Katholische Teilnehmer haben von einer Messe gesprochen, was mich ein wenig irritiert hat, weil ich das Wort ‹Gottesdienst› gewohnt bin.» Und der reformierte Marlo Limacher sagt: «Bei der Klosterbesichtigung hat mich die grosse Bedeutung von Maria, der Mutter Jesus, erstaunt.» Für ihn sei Maria im religiösen Kontext eine Frau wie alle anderen. «Dies war ein Punkt, der sich mit meiner Einstellung nicht sehr gut vereinbaren lässt», erläutert der 27-jährige.

Der Anlass solle zum Austausch unter den Konfessionen anregen, sagt Thomas Fässler gegenüber kath.ch. «Heisse Eisen» wie ein gemeinsames Abendmahl habe man vorerst aber bewusst nicht angegangen. «Da darf man auch spüren, das wir auf unserem gemeinsamen Weg noch nicht so weit sind.»

Für Westschweiz und Tessin öffnen

Um 18 Uhr treffen sich alle auf dem Platz vor dem Pausensaal, wo «Adam’s Wedding» erneut musizieren. Die Stimmung ist ausgelassen, man kennt sich ja besser. Neben viel positiven fallen auch kritische Worte. Arianna Estorelli, die in Bern wohnt, bemängelt: «Hier sind nur Leute aus der Deutschschweiz dabei. Wenn es doch ein interkonfessioneller Anlass ist, dann könnte er auch interkulturell sein». Sie schlägt vor, «Gottwärts» auch für Tessiner und Westschweizer zu öffnen. Grundsätzlich sind sich aber alle über eine Sache einig, die Limacher zusammenfasst: «Dieses Wochenende erlaubt uns, unseren Horizont durch Hinterfragen unserer eigenen Positionen extrem zu erweitern.»

Mit sichtlich zufriedenen Gesichtern lauschen die «Gottwärts»-Teilnehmenden und Organisatoren der Musik und geniessen die letzten Sonnenstrahlen. Später werden sie einen gemeinsamen Fackelmarsch und einen Gottesdienst in der imposanten Klosterkirche erleben. Und am Tag darauf ist wieder voller Podien und gemeinsame Essen und Pausen. Der angefangene Austausch wird wohl fortgesetzt werden. (aktualisiert am 17.9.)

*Name der Redaktion bekannt


Singen wie beten – bei «Gottwärts» | © Fabio Paulitti
16. September 2018 | 18:15
Lesezeit: ca. 5 Min.
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Initiative junger Mönche

Das Projekt «Gottwärts» ist auf Initiative junger Benediktiner hin lanciert worden, wie Thomas Fässler, Kommunikationsbeauftragter des Events sagt. «Speziell an diesem Event ist, dass es wirklich von Grund auf mit Beteiligten aus allen Konfessionen organisiert wurde», erklären zwei Mitglieder des Organisationskomitees gegenüber kath.ch. An der Organisation des Anlasses beteiligt sind Mitglieder aus dem Kloster Einsiedeln selbst sowie der Schweizerischen Evangelischen Allianz, dem Campus für Christus, der katholischen und reformierten Kirche, der Gemeinschaft «Jahu» und den Vereinigten Bibelgruppen. «Der Anlass möchte Horizonte erweitern, indem er Begegnungen unter jungen Christen verschiedener Konfessionen ermöglicht, um sich und andere Traditionen neu oder besser kennenzulernen», erläutert Fässler. Dass der Anlass in einem katholischen Kloster stattfindet sei kein Problem, ganz im Gegenteil, so Fässler: «Klöster haben oft eine verbindende Funktion, weil man weiss, dass man so angenommen wird, wie man ist.» (fp)