Jugendliche im Gottesdienst – in der Klosterkirche Einsiedeln
Schweiz

Jugendseelsorgerin Natalie Peter: «Der Glaube kann eine grosse Quelle des Trostes für Jugendliche sein»

Bomben, Klimawandel, Naturkatastrophen, gesellschaftliche Krisen sorgen für Verunsicherung unter den Menschen, wie das Hoffnungsbarometer der Schweiz ermittelt. Im aktuellen Hoffnungsbarometer fällt allerdings eines auf: Junge Menschen glauben immer weniger an das Gute und scheinen hoffnungsloser denn je. Woran liegt das? Und was kann die Kirche dagegen tun?

Wolfgang Holz

Kaum ist das neue Jahr angebrochen, gibt es bereits Perspektiven auf die Verfasstheit der Menschen in der Schweiz für 2024. Sprich: Das neue Hoffnungsbarometer von swissfuture und der Universität St. Gallen, das in Zusammenarbeit mit «20 Minuten» ermittelt wurde, versucht Einblicke in die emotionalen, psychischen und sozialen Befindlichkeiten der Menschen in der Schweiz zu geben: In Sachen Zufriedenheit und Zukunftsszenarien – und eben Hoffnungen.

5763 Personen wurden befragt

In diesem Jahr haben 5763 Menschen im Alter von 18 und 87 Jahren an der Umfrage teilgenommen. Dazu gehören nahezu genauso viel Frauen wie Männer aus den drei grössten Sprachregionen der Schweiz.

Zukunftsforscher Andreas Krafft
Zukunftsforscher Andreas Krafft

Die wichtigsten persönlichen Hoffnungen der befragten Schweizerinnen und Schweizer sind gute Gesundheit, eine glückliche Familie, Ehe oder Partnerschaft, Harmonie im Leben, persönliche Selbstbestimmung, gute Beziehungen zu anderen Menschen und eine sinnerfüllende Aufgabe. Geld, Karriere und Sex stehen an letzter Stelle. Ihre wichtigsten Quellen von Hoffnung sind laut Studie schöne Erlebnisse in der freien Natur und die Unterstützung von Familie und Freunden, gefolgt von persönlichen Stärken und sozialer Fürsorge.

«Junge Menschen sind unzufriedener, hoffnungsloser. Sie glauben weniger an das Gute, haben ein geringeres Selbstwertgefühl.»

Hoffnungsbarometer 2024

Eine der zentralen Aussagen des Hoffnungsbarometers 2024 stimmt allerdings besonders nachdenklich: «Junge Menschen sind unzufriedener, hoffnungsloser. Sie glauben weniger an das Gute, haben ein geringeres Selbstwertgefühl. Sie fühlen sich emotional und sozial weniger wohl und schätzen weniger die Nachhaltigkeit als ältere Personen.»

«Vertrauen junger Menschen kann leiden»

Wie ist dies zu erklären beziehungsweise anhand welcher Beobachtungen ist diese Schlussfolgerung zustande gekommen? «Da gibt es verschiedene Phänomene», sagt Andreas M. Krafft, Research Associate for Future Studies am Institut für Systemisches Management und Public Governance der Universität St. Gallen sowie Co-Präsident von swissfuture. Er ist Autor des Hoffnungsbarometers, der 41-seitigen Studie, die unter dem Titel «Hoffnung zwischen Angst und Vertrauen» firmiert.

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«Auf der einen Seite kann das Vertrauen Jugendlicher in andere Menschen – ausserhalb der Familie – darunter leiden», so Krafft gegenüber kath.ch. «Andererseits erleben wir leider, dass es immer mehr junge Menschen gibt, die im Extremfall desillusioniert und perspektivenlos sind.» Die Anzahl an psychotherapeutischen Fällen unter Jugendlichen sei steigend.

Gesellschaftliche Polarisierung und geringere Dialogbereitschaft

«Darüber hinaus besteht die Gefahr des Rückzugs sowie des geringeren sozialen, gesellschaftlichen und politischen Engagements von jungen Menschen – nach dem Motto: Wenn andere Menschen nicht gut sind, warum sollte man dann selbst Gutes tun?», so Krafft. Schliesslich könne infolge solcher Phänomene eine gewisse gesellschaftliche Polarisierung und geringere Dialogbereitschaft unter Jugendlichen entstehen.

Portugiesische Jugendliche auf dem Weltjugendtag 2019.
Portugiesische Jugendliche auf dem Weltjugendtag 2019.

Dass so manche Jugendliche offenbar hoffnungslos sind und nicht mehr an das Gute glauben, könnte auch daran liegen, dass «religiöser oder spiritueller Glaube generell nur für eine Minderheit von Bedeutung ist», wie die Studie ermittelt hat.

Könnte also hier nicht etwa eine Chance der katholischen Kirche liegen, Jugendliche durch religiöse Erfahrungen und durch eine stärkere Bindung an den Glauben wieder hoffnungsvoller zu stimmen? Durchaus, wenn man den Meinungen von Seelsorgerinnen und Seelsorgern folgt.

Glauben schenkt Vertrauen

«Der Glaube kann eine grosse Quelle des Trostes für Jugendliche sein», bekräftigt Natalie Peter. Sie ist Jugendseelsorgerin in der katholischen Pfarrei Teufen, Bühler, Stein im Kanton Appenzell AR. Das Wissen und der Glauben um eine höhere Macht schenke Jugendliche das Vertrauen, auch mal die persönliche Verantwortung abgeben zu können. Nach dem Motto: Es kommt schon gut. Und es gibt grössere Ziele.

Natalie Peter befindet sich in intensivem Dialog mit Jugendlichen und stellt fest, dass Jugendliche gerade durch die persönliche Beschäftigung mit existenziellen Fragen Kraft schöpfen würden. «Social Media ist oft sehr oberflächlich und übt einen grossen Druck auf Jugendliche aus», sagt Peter. «Zusätzlich löst die negative Berichterstattung über wirtschaftliche Probleme, Umweltprobleme oder politische Unsicherheiten Zukunftsängste aus

Jugendseelsorgerin in Teufen AR: Natalie Peter
Jugendseelsorgerin in Teufen AR: Natalie Peter

Gemeinschaft der Gruppe macht stark

Deshalb könne gerade der Glaube sinnstiftend für junge Menschen sein. «Die Jugendlichen, mit denen ich zu tun habe, sind meist noch kirchennah. Dabei hilft ihnen offensichtlich auch, dass sie einer Gemeinschaft wie den Ministranten oder der Jubla angehören», so Natalie Peter. «Gleiches gilt für Jugendliche, die gemeinsame Gespräche im Rahmen des Firmwegs über Lebensfragen miteinander führen.» Wichtig sei grundsätzlich, dass Jugendliche Raum und Zeit haben, die grossen Fragen des Lebens vertiefen zu können. Will heissen: Was gibt mir Kraft? Woran glaube ich? Was ist der Sinn des Lebens? Wem vertraue ich?

Damit der Glaube und die Kirche im Leben der Jugendlichen wieder an Relevanz gewinnen, ist es aus Sicht der Jugendseelsorgerin wichtig, dass in der Kirche die Sprache der Jugendlichen gesprochen werde. «Dass sie sich angesprochen fühlen. Dass sie spüren, die Kirche ist offen. Dass sie in der Kirche mitentscheiden können.»   

In der Tat scheint gerade das «Wie» in der Kirche zentral wichtig dafür zu sein, wie stark sich junge Menschen heutzutage von der katholischen Kirche und von der Religion angezogen fühlen. Das bestätigt auch Diakon Stefan Staub von der Pfarrei Teufen.

Wenig Jugendliche im Gottesdienst, aber…

«In die Gottesdienste in unserer Pfarrei kommen fast keine Jugendlichen. Dabei sind Jugendliche sehr wohl gläubig», sagt der Vater dreier Töchter. «Aber der Glaube vieler Jugendlicher an Gott ist diffus und eben nicht mehr unbedingt an den konfessionellen Glauben und die Kirche gekoppelt», erklärt Stefan Staub.

Diakon Stefan Staub entzündet zusammen mit ukrainischen Flüchtlingen eine Kerze.
Diakon Stefan Staub entzündet zusammen mit ukrainischen Flüchtlingen eine Kerze.

Er ist deshalb überzeugt, dass es neue Formen von kirchlichen Gemeinschaften und Angeboten braucht. «Ich war jüngst in Dresden und habe ein gut besuchtes Jugendgebet miterlebt», berichtet der Teufner Seelsorger. Die Jugendlichen seien offensichtlich zugänglich für solche alternativen Angebote.

«Die Komplexität der heutigen Konflikte erschüttert die Menschen in ihren Grundfesten.»

Stefan Staub, Diakon in Teufen

«Dabei spielt die Musik eine grosse Rolle für junge Menschen, die oft mehr auf Musik ansprechen als auf Texte.» Gleichzeitig müsse man den Dialog mit Jugendlichen pflegen und die Kirchen öffnen für Begegnungen. «Denn die Bedeutung für Gespräche mit Jugendlichen hat in der Seelsorge, so wie ich sie täglich erlebe, deutlich zugenommen», sagt Staub. «Die Komplexität der heutigen Konflikte erschüttert die Menschen in ihren Grundfesten.»

Gewaltfreie Kommunikation eingefordert

Wobei Jugendliche immer wieder auch kritisierten, dass Erwachsene aus ihrer Sicht Konflikte in der Welt noch immer zu wenig mittels Formen gewaltfreier Kommunikation zu lösen versuchten. Dass der Glaube eine Chance darstellt, nicht nur für junge Menschen, um mit Krisen und Katastrophen umzugehen, ist für Stefan Staub ausser Frage. «Dabei sollte die Hoffnung im Vordergrund stehen sowie das Bewusstsein, dass wir zunächst vor allem versuchen sollten, die Probleme im eigenen Umfeld zu lösen.»


Jugendliche im Gottesdienst – in der Klosterkirche Einsiedeln | © Seraina Bohner
3. Januar 2024 | 16:00
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