Judith Rosen: Märtyrerinnen sind bestes Beispiel, dass Geschlechtstheorie des Vatikans nicht sticht

Die Christusliebe der Märtyrerinnen hat zu Bekehrungen geführt und so zur Ausbreitung des Christentums beigetragen, sagt die Historikerin Judith Rosen. Ihnen sprach man eine mächtige Fürbittkraft zu – selbst Vergebung der Sünden. In ihrer absoluten Nachfolge wurden sie zum «Zweiten Christus». Im Tod spielte das Geschlecht offensichtlich keine Rolle.

Jacqueline Straub

Welche Rolle spielten Märtyrerinnen in der Frühen Kirche?

Judith Rosen*: Frauen haben wie die Männer ihren christlichen Glauben auch mit dem Leben bezeugt. Der römische Historiker Tacitus überliefert, dass Kaiser Nero während der ersten lokalen Christenverfolgung im Jahr 64 nach Christus die Christen und Christinnen in seinen Gärten, den heutigen vatikanischen Gärten, an Pfähle binden und als lebende Fackeln inszenieren liess.

"Verletzungen und Verbindungen": 14 Kreuze von Günther Uecker.
"Verletzungen und Verbindungen": 14 Kreuze von Günther Uecker.

Berichtet die christliche Märtyrerliteratur über Blutzeuginnen und ihr Schicksal?

Rosen: Ja, allerdings. Obwohl die Historizität der Akten und Erzählungen zum Teil umstritten ist, belegen sie eindeutig, dass auch Frauen nicht vor der absoluten Nachfolge Jesu Christi zurückgeschreckt sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob mehr männliche als weibliche Martyrien überliefert wurden. Gesichert sind unter anderem die Martyrien der jungen Mütter Perpetua und Felicias in Karthago (202/203). Denn Perpetua hat in der Haft Tagebuch geschrieben, und ein Redaktor hat ihren Kampf in der Arena geschildert. Die Christusliebe und Tapferkeit der Märtyrerinnen haben zu Bekehrungen geführt und so zur Ausbreitung des Christentums beigetragen.

«Auch Frauen haben diese Friedensbriefe unterzeichnet.»

Was können diese Frauen zum heutigen Diskurs über fehlende Gleichberechtigung in der katholischen Kirche beitragen?

Rosen: Seit den Anfängen haben die Christinnen an allen Entwicklungen der sich institutionalisierenden Kirche teilgenommen. Es gab keine Unterschiede zwischen Märtyrerinnen und Märtyrern. In ihren Gemeinden und darüber hinaus standen sie in hohem Ansehen, was durchaus zu Spannungen mit der Gemeindeleitung, seit dem 2. und 3. Jahrhundert meist einem Bischof, führen konnte. Christen, die sich auf das Martyrium vorbereiteten, galten als besonders begnadet. Man sprach ihnen eine mächtige Fürbittkraft zu, die selbst die Vergebung der Sünden einschloss. Erhaltene Briefe, die inhaftierte angehende Blutzeugen städteübergreifend austauschten, zeigen sie als Friedensvermittler. Auch Frauen haben diese Friedensbriefe unterzeichnet. Ihr Antrieb war nicht die moderne Vorstellung von Emanzipation, sondern eine bedingungslose Christusliebe. Doch lassen sich «emanzipatorische» Züge feststellen.

Trauernde Maria von Magdala – Figur in der Kirche Sankt Castor in Treis-Karden (D)
Trauernde Maria von Magdala – Figur in der Kirche Sankt Castor in Treis-Karden (D)

Wie blicken Sie auf Maria Magdalena?

Rosen: In den Evangelien führt Maria Magdalena die sogenannten Frauenlisten an. Daher wird sie mit Petrus verglichen, dem «Sprecher» der Jünger. Als Erstzeugin der Auferstehung genoss sie unter den frühen Christen hohes Ansehen. Im Johannesevangelium 20,17 fordert der Auferstandene seine Jüngerin auf: «Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen…». Daraus lässt sich ein Verkündigungs- und Missionsauftrag ableiten. Dabei hat Jesus seine Jüngerin nicht an Strukturen gebunden, sondern ihr die Freiheit gelassen, wie sie seinen Auftrag gestaltet.

Judith Rosen
Judith Rosen
Das katholische Lehramt sagt, dass Frauen keine Priesterinnen werden können, weil die Apostel Männer waren. Was sagen Sie dazu?

Rosen: Das Argument ist antiquiert und sollte im 21. Jahrhundert nicht mehr bedient werden. Jesus, der Männern und Frauen unvoreingenommen begegnet ist, hat inklusiv gedacht. Das beste Beispiel dafür, dass die «Geschlechtstheorie» nicht sticht, sind die Märtyrerinnen. In ihrer absoluten Nachfolge wurden und werden sie zum «Zweiten Christus». Im Tod spielte das Geschlecht offensichtlich keine Rolle.

«Die ostkirchliche Orthodoxie kennt fünf neutestamentliche Apostelinnen.»

Gibt es Belege für Apostelinnen?

Rosen: Im Schlussgruss des Römerbriefs im Kapitel 16 lobt Paulus seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Unter ihnen sind Andronikus und Junia, wohl ein Missionsehepaar. Beide ragen «unter den Aposteln» heraus. In der Kirchenväterliteratur gelten die Frauen am Grab als Apostelinnen, und im ausserkanonischen «Evangelium nach Maria» belehrt und stärkt die Apostelin Maria Magdalena die Apostel um Petrus. Die ostkirchliche Orthodoxie kennt fünf neutestamentliche Apostelinnen: Priscilla, Nympha, Apphia, Junia, Photaina, die Samariterin am Jakobsbrunnen. Hinzu kommt Mariamne, die nur ausserkanonisch bezeugte Schwester des Philippus. Die ebenfalls ausserkanonischen Apostelakten berichten Mitte des 2. Jahrhunderts über Thekla von Ikonium, deren Historizität allerdings umstritten ist. Sie gilt als Erzmärtyrerin und Apostelin.

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Was bedeutet Ostern für die Frauen damals und heute?

Rosen: Jesu Auferstehung von den Toten ist das Herz des christlichen Glaubens. Das gilt für die frühen Christinnen wie für ihre Nachfolgerinnen im 21. Jahrhundert. Eine Frau, die in den ersten drei Jahrhunderten zum Christentum konvertierte, war in der paganen Mehrheitsgesellschaft geächtet, musste in der eigenen Familie Repressalien und Anzeigen bei den staatlichen Behörden befürchten. Hätte sie das alles auf sich genommen, wenn sie nicht an Jesus Christus, den Sohn Gottes, seine Auferstehung von den Toten und die persönliche Erlösung geglaubt hätte? Die Glaubensstärke der frühen Christinnen ist ein Schatz, der gut 2000 Jahre später helfen kann, Wurzeln im Glauben zu schlagen. Es ist ein spannender Weg. Trotz aller Schwierigkeiten, Unsicherheiten und manchem Unverständnis gegenüber der Institution Kirche.

*Judith Rosen ist Historikerin und war Dozentin für Alte Geschichte an der Universität Bonn.


29. März 2024 | 06:00
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