Bischof Joseph Bonnemain hält die Predigt beim Requiem für Vitus Huonder.
Schweiz

Joseph Bonnemain beim Requiem für Vitus Huonder: Freude statt Angst vor der Heidenwelt

In der Kathedrale Chur haben am Freitagabend Bischöfe, Domherren, Priester, Diakone, Vertretende  von Landeskirchen, Politiker und Gläubige in einem feierlichen Requiem Abschied genommen von Alt Bischof Vitus Huonder. Der Churer Bischof Joseph Bonnemain rief zu Geschwisterlichkeit und Synodalität auf. «Es ist entscheidend, dass wir alle eine echte, synodale Kirche bilden.»

Barbara Ludwig

In Chur ist es nass und kalt an diesem Freitagabend. Mehr als eine halbe Stunde vor Beginn des Requiems haben sich bereits Gläubige in der Kathedrale Chur eingefunden, um in Stille zu beten für Vitus Huonder. Vorne im Altarraum steht ein grosses Foto des früheren Bischofs von Chur auf einem mit einem violetten Tuch verhüllten Gestell.

Bischof Joseph Bonnemain (Mitte), Erzbischof und Nuntius Martin Krebs rechts daneben und ganz rechts der St. Galler Bischof Markus Büchel beim Einzug in die Kathedrale von Chur. Links Diakon Agil Raju.
Bischof Joseph Bonnemain (Mitte), Erzbischof und Nuntius Martin Krebs rechts daneben und ganz rechts der St. Galler Bischof Markus Büchel beim Einzug in die Kathedrale von Chur. Links Diakon Agil Raju.

Normalerweise stünde vor den Altarstufen der Sarg des Verstorbenen, mit den bischöflichen Insignien und geschmückt mit Blumen. Doch bei diesem Abschied eines Hirten von Chur ist vieles anders als sonst. Vitus Huonder wurde bereits am Mittwoch in Ecône, wo die traditionalistische Piusbruderschaft zu Hause ist, beigesetzt – auf seinen eigenen Wunsch hin. Darum bleibt die Stelle vor dem Altar leer.

Persönlichkeiten aus Politik und Landeskirchen

Die Glocken der Kathedrale läuten eine Viertel Stunde lang. Im Gotteshaus haben sich zirka 150 Personen eingefunden, längst nicht alle Bänke sind voll besetzt. Und die meisten Stühle, die zusätzlich aufgestellt wurden, bleiben leer.

Ein Foto von Vitus Huonder steht im Altarraum.
Ein Foto von Vitus Huonder steht im Altarraum.

Nebst «gewöhnlichen» Gläubigen sind auch Persönlichkeiten aus Politik und Kirche anwesend: Etwa die Bündner Regierungsräte Martin Bühler und Marcus Caduff, der Bünder Ständerat Stefan Engler. Und Lorenz Bösch, Präsident der Landeskirche Schwyz, Raphael Meyer, der Zürcher Synodalratspräsident, Markus Hodel, Generalsekretär des Zürcher Synodalrats, Monika Rebhan Blättler, Präsidentin der Landeskirche Nidwalden und Beat Zahner von der Landeskirche Glarus.

In der vordersten Bankreihe sitzen einige Mitglieder des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Sie sind da, weil Vitus Huonder seit 1991 dem Ritterorden angehörte.

Eindrücklicher Einzug des Klerus

Eindrücklich ist der Einzug des Klerus, begleitet von tiefen und feierlichen Klängen der Orgel. Rund 70 Geistliche, darunter viele Domherren und auch einige Diakone, ziehen durch den Mittelgang der Kathedrale in den Chorraum, wo Bischöfe und Priester den Altar küssen. Die Konzelebranten nehmen anschliessend auf den Stühlen zu beiden Seiten des Altars Platz.

Auszug der Bischöfe in der Kathedrale von Chur.
Auszug der Bischöfe in der Kathedrale von Chur.

Anwesend als Gäste sind der Nuntius, Erzbischof Martin Krebs, der Basler Bischof Felix Gmür, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, der St. Galler Bischof Markus Büchel, der Bischof von Sitten Jean-Marie Lovey, der Westschweizer Bischof Charles Morerod, der emeritierte Churer Weihbischof Marian Eleganti und der emeritierte Bischof von Lugano Pier Giacomo Grampa. Aus Feldkirch angereist ist Bischof Benno Elbs, der Apostolische Administrator der Erzdiözese Vaduz.

Nuntius Martin Krebs.
Nuntius Martin Krebs.

Entschuldigt haben sich unter anderen der Basler Weihbischof Josef Stübi, der emeritierte Basler Weihbischof Martin Gächter und Peter Bürcher, emeritierter Diözesanbischof von Reykjavik. Von den Domherren haben sich etliche entschuldigen lassen. Auch Domherr Martin Grichting, Generalvikar unter Vitus Huonder, ist abwesend.

Bischof Benno Elbs, aus der Nachbardiözese Feldkirch.
Bischof Benno Elbs, aus der Nachbardiözese Feldkirch.

Joseph Bonnemain, der Bischof von Chur, hält als Nachfolger von Vitus Huonder, die Predigt. Viele warten wohl gespannt auf seine Worte in dieser für alle Beteiligten herausfordernden Situation. Vor zwei Tagen erst hat Bonnemain an der Beerdigung seines Vorgängers in Ecône teilgenommen.

Leben von Huonder im Rückblick

Bevor er die biblischen Texte aus den Lesungen näher beleuchte, wolle er sich mit dem Leben des Verstorbenen auseinandersetzen, so der Bischof von Chur. «Vielleicht hilft es uns, seine Überlegungen und Entscheidungen einzuordnen.» Dann lässt er das Leben von Huonder Revue passieren, indem er Äusserungen von Huonder wiedergibt.

Eucharistiefeier mit Bischöfen, Domherren, Priestern, Diakonen.
Eucharistiefeier mit Bischöfen, Domherren, Priestern, Diakonen.

Die Jahre als Mittelschüler in der Klosterschule Disentis, wo Huonder das Chorgebet genoss und dem Gesang der Mönche lauschte. Was in ihm den Wunsch weckte, selber Mönch zu werden. Die Studienjahre in Rom, wo ihm der Lärm der Stadt zugesetzt habe, «aber noch viel mehr die theologischen Strömungen nach dem Konzil, die er später als Wiederaufleben des Modernismus beurteilte». Das Bibelstudium, das seine Leidenschaft wurde.

«Sehnsucht nach einer heilen Welt»

Schon zu seiner Zeit als Pfarrer im Kanton Zürich kam Huonder demnach «oft in Versuchung», sich «ganz aus dem Bistum zu verabschieden, und einer Bewegung beizutreten, welche sich ganz der Tradition verpflichtet wusste». Als Huonder 1992 seine Demission als Generalvikar für Graubünden einreichte, sei sein «Hadern mit der Welt und der kirchlichen Gegenwart» spürbar gewesen. Auch als Bischof war Huonder nicht glücklich. So stellte er selbst laut Bonnemain fest: «Die äusseren Umstände meiner Amtszeit waren wirklich eine grosse Belastung.»

Bischof Joseph Bonnemain am Ambo, im Hintergrund (Mitte) Nuntius Martin Krebs.
Bischof Joseph Bonnemain am Ambo, im Hintergrund (Mitte) Nuntius Martin Krebs.

Bonnemain, der jahrelang Mitarbeiter von Huonder war, deutet das Leben seines Vorgängers so: «Ich wage zu sagen, sein Leben blieb immer von diesen beiden Seiten geprägt: Eine Sehnsucht nach einer heilen, unberührten, heiligen Welt und die Mühe, die Realität zu akzeptieren, eine Welt, die erlösungsbedürftig bleibt, anzunehmen.»

Gegenprogramm

Dass der suchende Huonder schliesslich bei der Piusbruderschaft Ruhe gefunden habe und in der Nähe von Erzbischof Marcel Lefebvre begraben werden wollte, bezeichnete Bonnemain «als eine letzte Beheimatung, in einer heilen Welt seiner Vorstellungen». Nach diesem Rückblick erst kommt Bonnemain auf die Lesung aus dem Buch Ezechiel über den guten Hirten zu sprechen. Und entwirft eine Art Gegenprogramm zum Rückzug in die heile Welt.

Der Erlöser und Heiland habe «für uns» sein Leben hingegeben, so der Bischof. «Aber nicht, um uns in einer heilen Welt – geschützt vor der gefährlichen Welt – abzusondern, sondern damit wir, mitten in unserer Welt, wie sie ist, in der Kirche, hier und heute, dank seiner Liebe und Freundschaft mit unserem Leben und unseren Taten Verkündende des Heils sein können.»

Synodale Kirche bilden

Bischöfe, Priester und Gläubige – jede und jeder sei in seiner spezifischen Funktion und durch seinen eigenen Ruf dazu berufen, Hirte der anderen zu sein, um die anderen auf gute Weiden zu führen. Gleichzeitig sei jede und jeder verwirrt, zerstreut, verletzt, hungrig nach Liebe.

Bischof Joseph Bonnemain (Mitte), ganz rechts Bischof Felix Gmür.
Bischof Joseph Bonnemain (Mitte), ganz rechts Bischof Felix Gmür.

«Es ist entscheidend, dass wir alle eine echte, synodale Kirche bilden», sagt Bonnemain. Und diese soll so aussehen: Eine Kirche, in der sich alle gegenseitig sagen: «Du bist kein Knecht, du bist mein Freund, meine Freundin, ihr seid meine Geschwister im Glauben, ich bin gerne bereit, mein Leben für euch einzusetzen.»

In der Welt unterwegs zur ewigen Heimat – mit Freude

Die Kirche kenne eine Kirche mit verschiedenen Ämtern und Aufgaben, aber gleichzeitig gebe es ein «gemeinsames Priestertum aller Gläubigen» und ein «gemeinsames Hirtentum», so Bonnemain in seiner Predigt. «Wenn wir so die Geschwisterlichkeit und die Synodalität leben, brauchen wir keine Angst vor der Heidenwelt zu haben, sondern spüren vielmehr die Freude, für diese Welt, in dieser Welt und mit dieser Welt in die ewige Heimat unterwegs zu sein.» Die Stimme des Bischofs ist lauter geworden bei der Verkündigung dieses Programms.

Jemand hat eine rote Rose auf das Grab von Bischof Amédée Grab gelegt, 19. April 2024.
Jemand hat eine rote Rose auf das Grab von Bischof Amédée Grab gelegt, 19. April 2024.

Gegen halb neun endet die Feier für Vitus Huonder. Draussen ist auch der trübe Tag zu Ende gegangen. Beim Verlassen der Kathedrale kommen alle bei der Grabstätte von Amédée Grab vorbei, die rechterhand liegt. Auf die Platte des Grabes hat jemand eine rote Rose gelegt. An diesem Ort, wo die verstorbenen Bischöfe von Chur ruhen, wird niemand im Gedenken an Vitus Huonder Blumen niederlegen.


Bischof Joseph Bonnemain hält die Predigt beim Requiem für Vitus Huonder. | © Bistum Chur/Gian Ehrenzeller
20. April 2024 | 12:18
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