Das Leben von Jakob-Schmidli wurde nach Art der Scherenschnitt-Kunst gefilmt.
Schweiz

Jakob Schmidli: Ein postmoderner Gläubiger

Ein Katholik befasst sich mit dem Neuen Testament und gründet eine Bibelgruppe: Der Luzerner Jakob Schmidli, auch «Sulzig-Joggi» genannt, wurde 1747 als subversiver Pietist auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das erzählt der neue Film «Der letzte Ketzer».

Sarah Stutte

Jakob Schmidli wird 1699 als Kind armer Bauern am Napf geboren und arbeitet in jungen Jahren als Verdingkind. Später wohnt der Kleinbauer im Entlebuch, wo er seinen eigenen Hof auf der Sulzig bewirtschaftet – in der Nähe des Klosters Werthenstein.

Jakob Schmidlis Hof lag in der Nähe des Klosters Werthenstein.
Jakob Schmidlis Hof lag in der Nähe des Klosters Werthenstein.

Trotz geringer Schulbildung lernt der katholische Schmidli lesen und befasst sich früh mit dem Neuen Testament und evangelischer Erbauungsliteratur. Später kommt er in Kontakt mit pietistischen Kreisen und gründet eine stetig wachsende Bibelgruppe. Im katholischen Luzern wird diese Bewegung erst kritisch beäugt und dann schliesslich ganz unterbunden.

Ausgelöschte Existenz

Nach einer Verwarnung verhaftet die Luzerner Obrigkeit Jakob Schmidli und weitere Anhänger im November 1746. Als ein geistliches Gutachten schliesslich Häresie feststellt, verurteilt ein staatliches Gericht Jakob Schmidli im Mai 1747 zum Tode durch Erwürgen und Verbrennen auf dem Scheiterhaufen.

Der Gedenkstein erinnert an Sulzig Joggi.
Der Gedenkstein erinnert an Sulzig Joggi.

Danach wird Schmidlis Hof eingeäschert und an gleicher Stelle eine Schandsäule errichtet. Jakob Schmidlis Familie und mehr als 80 Menschen aus dem Umfeld werden aus der Gegend vertrieben. Erst 1976 wird wieder ein Wohnhaus auf der Sulzig errichtet.

Dunkles Kapitel ins Licht rücken

Schmidlis Schicksal widmet sich nun eine neue Dokumentation der Regisseure Manuel Dürr und Jan-Marc Furer. Der Film «Der letzte Ketzer» wurde von zwei Kirchenhistorikern der Universität Freiburg, Gregor Emmenegger und David Neuhold, sowie dem Luzerner Altregierungsrat Anton Schwingruber konzipiert.

Dreharbeiten im Schloss Werthenstein
Dreharbeiten im Schloss Werthenstein

«Uns hat dieses dunkle Kapitel der Schweizer Kirchengeschichte interessiert», sagt Manuel Dürr. Jakob Schmidlis Geschichte sei einerseits moralisch schwer und düster, aber auch bis heute zu wenig beleuchtet. «Vielen Menschen in der Region selbst ist nicht bewusst, dass Schmidli eine historische Person und keine Figur aus einem Ammenmärchen war. Ausserhalb der Kantonsgrenzen ist er weitgehend unbekannt», sagt Dürr.

Eigene Wahrheiten wichtig

Diese Erfahrung machte auch Gregor Emmenegger. Er wuchs im Entlebuch auf, kam mit der Geschichte von Jakob Schmidli aber erst spät in Berührung. Dann aber sei er fasziniert gewesen von dessen modernen Ansichten: «Konfessionelle oder kantonale Grenzen interessierten ihn wenig. Für ihn stand die persönliche Glaubenserfahrung im Zentrum», sagt Emmenegger. «Schmidli suchte sich seine eigenen Wahrheiten – jenseits der politischen und religiösen Vorgaben seiner Zeit.»

Einigermassen herausfordernd sei es gewesen, die Schmidli-Geschichte greifbar und kompakt zu erzählen, sagt Jan-Marc Furer. «Vor allem, weil so wenig historisches Material vorhanden war, um die Sequenzen aus der Vergangenheit zu visualisieren», meint er. Die beiden Filmemacher entschieden sich deshalb, für diese Szenen auf die Scherenschnitt-Technik zurückzugreifen. «Wir hielten das für eine elegante Art, das Diffuse der Geschichte darzustellen. Und die brutalen Szenen sind so für die Zuschauenden besser zu verdauen», sagt Furer.

Der Judas-Bezug

Ein interessanter Aspekt des Films ist, dass dieser auf den Verrat von Jesus durch Judas anspielt, denn auch Schmidli wurde letztendlich aus den eigenen Reihen hintergangen. Dazu sagt Gregor Emmenegger: «Hier schimmert das Motiv durch, dass hinter jedem Heiligen quasi immer Jesus selbst steht oder auf ihn hingedeutet wird. Dazu passt natürlich auch die Geschichte des Verräters.»

Gregor Emmenegger
Gregor Emmenegger

Und welche Rolle spielte die katholische Kirche bei Schmidlis Verfolgung? «Einige Kirchenvertreter, die Romtreuen, standen Schmidli und seiner Bewegung positiv gegenüber. Andere, die sich eine Staatskirche wünschten, war er ein Dorn im Auge. Schmidli wurde ein Opfer dieses Widerstreits.»

Gregor Emmenegger fügt hinzu: «In einem anderen politischen Kontext oder in einer anderen Zeit hätte Schmidli problemlos zu einem Heiligen werden können. Das hätte er aber vermutlich gar nicht gewollt. Jakob Schmidli war ein postmoderner Gläubiger. Von ihm kann gelernt werden, dass Konfessionen im persönlichen Glaubensvollzug kaum eine Rolle spielen, sondern die Gemeinsamkeiten im Fokus stehen.»

Am 14. Juni wird «Der letzte Ketzer» im Rahmen der «Studientage» der Universität Freiburg gezeigt: www.unifr.ch. Weitere Infos unter: www.der-letzte-ketzer.ch, Buchtipp: «Kirche, Macht und der letzte Ketzer», Verlag TVZ.


Das Leben von Jakob-Schmidli wurde nach Art der Scherenschnitt-Kunst gefilmt. | © zVg
13. Juni 2022 | 05:00
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