Regierungsrätin Jacqueline Fehr: «Die Anlaufstelle ist bis Ende Jahr realisierbar, wenn die Kirche will.»
Schweiz

Jacqueline Fehr: «Wir anerkennen nicht Rom»

Die Frage der Gleichberechtigung sei brisant, sagte die Zürcher «Religionsministerin» Jacqueline Fehr kürzlich gegenüber Kirchenpflegenden. Sie erläuterte, weshalb sie mit der katholischen Kirche zusammenarbeitet, auch wenn es da keine Priesterinnen gibt. Hier ein Ausschnitt ihrer Rede* im Wortlaut.

«Als katholische Kirchenpflegerinnen und Kirchenpfleger haben Sie, wie ich denke, sogar eine besonders wichtige Rolle. Ich möchte in meinen Ausführungen darlegen, warum das meines Erachtens so ist. Ich beginne mit einem Thema, das im kirchlichen Bereich sicher nicht ganz einfach ist, der Gleichstellung der Geschlechter. Ich möchte anhand dieses Themas zeigen, wie kirchliche und gesellschaftliche Auffassungen zum Teil in Spannung zueinanderstehen, und wie wir damit umgehen. Lassen Sie mich zunächst einen Blick in die Verfassung werfen – sozusagen das säkulare Pendant zur Bibel… In Artikel 8 der Bundesverfassung heisst es: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.» In Absatz 3 der gleichen Bestimmung steht: «Mann und Frau sind gleichberechtigt.»

«In der katholischen Kirche ist die Gleichstellung nicht realisiert.»

Ähnliche Normen enthält die Zürcher Kantonsverfassung. In der katholischen Kirche ist die Gleichstellung, was den Zugang zum Priesteramt betrifft, bekanntlich nicht realisiert. Der Kanton Zürich anerkennt aber die katholische Kirche und unterstützt sie in verschiedener Weise. Die rechtliche Grundlage ist Art. 130 der Kantonsverfassung: «Der Kanton anerkennt als Körperschaften des öffentlichen Rechts: die römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden.»

Wie geht das zusammen? Wie kann ein Staat, der sich der Gleichberechtigung verschreibt, eine Institution unterstützen, in der diese Gleichberechtigung nicht voll realisiert ist? Die Frage der Geschlechter-Gleichstellung ist sicherlich die brisanteste, wenn es um das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und moderner Gesellschaft geht.

«Es ist ein Aspekt einer grundsätzlichen Spannung.»

Aber es ist nicht die einzige, und es ist eigentlich nur ein Aspekt einer grundsätzlichen Spannung: Die Kirchen und Religionsgemeinschaften wurzeln in jahrhundertealten Traditionen, sie sind älter als der moderne Staat und die modernen Verfassungen. Sie entsprechen diesen Vorgaben daher nicht ohne Weiteres, sie haben sperrige, für viele Menschen irritierende Elemente. Die Frage der Gleichbehandlung von Mann und Frau stellt sich ja auch nicht nur in der katholischen Kirche, sondern ähnlich zum Beispiel auch im Judentum oder im Islam.

«Religionsgemeinschaften sind eine wichtige Ressource.»

Für mich sind die Religionsgemeinschaften eine wichtige Ressource. Sie dürfen nicht verdrängt werden. Sie gehören zu einer vielfältigen Gesellschaft dazu. Aber natürlich muss der Staat auch seinen Geboten nachleben. Er muss so gut als möglich dafür sorgen, dass Männer und Frauen nicht diskriminiert werden.

Also noch einmal: Wie kann der Staat dann diese katholische Kirche unterstützen und anerkennen? Und kann ich persönlich das eigentlich vertreten? Ja, ich kann es, und ich erkläre gerne warum.

«Der Kanton anerkennt die katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden.»

Der Kanton Zürich anerkennt nicht die katholische Kirche als solche, sondern die katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden. Ich habe den betreffenden Artikel aus der Kantonsverfassung zitiert. Daraus ergibt sich die bekannte duale Struktur: Es gibt auf der einen Seite die kirchlichen Institutionen – Bistum, Pfarreien etc. Und es gibt auf der anderen Seite die Kirchgemeinden und die kantonale Körperschaft als die Institutionen, die vom Staat anerkannt sind und nach staatlichem Recht bestehen.

Die staatliche Unterstützung bezieht sich nur auf den zweiten Bereich. Also auf die Kirchgemeinden mit den Kirchenpflegen, in denen Sie sich engagieren. Der Staat anerkennt nicht das Bistum, die Pfarreien etc. Oder etwas zugespitzt: Der Kanton Zürich kümmert sich nicht um die Kirche in Rom, sondern um die Katholische Körperschaft im Kanton Zürich.

«In den Institutionen, die der Staat anerkennt, gilt die Gleichstellung.»

In den Institutionen, die der Staat anerkennt und unterstützt, gilt die Gleichstellung. Es können alle Menschen in die Funktionen einer Kirchgemeinde und der Körperschaft gewählt werden, unabhängig vom Geschlecht.

Ich gebe gerne zu: Eine gewisse Spannung bleibt. Denn die Körperschaft und die Kirchgemeinden stehen ja nicht für sich, sie sind verbunden mit dem kirchlichen Leben, in dem es eben keine Priesterinnen gibt. Indem der Staat die Kirchgemeinden und die Körperschaft unterstützt, anerkennt er bis zu einem gewissen Grad diese Situation. Das ist nicht ganz einfach.

«Die kirchlichen Strukturen werden auf diese Weise an die Gesamtgesellschaft angebunden.»

Es ist aus meiner Sicht aber ein Weg, bestimmte religiöse Vorstellungen mit den Anforderungen der modernen Welt zu versöhnen. Die kirchlichen Strukturen mit dem Bischof und den Priestern werden in dieser Weise an den Staat, an die Gesamtgesellschaft angebunden. Sie existieren nicht völlig unabhängig, sondern stehen in Verbindung mit den Kirchgemeinden und der Körperschaft, die demokratisch und gleichberechtigt organisiert sind. Und besonders da die Steuergelder und die Staatsbeiträge an die Kirchgemeinden und die Körperschaft gehen, ist deren Stellung ja nicht einmal so schwach.

«Wir haben in der Schweiz keine absolutistische katholische Kirche.»

Entgegen dem, was man oft denkt, haben wir in der Schweiz also keine absolutistische und zentralistische katholische Kirche, sondern ein fein austariertes System mit vielen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträgern. Dieses System ist heute, so meine ich, wichtiger denn je.

Ich sehe gerade Sie, geschätzte Kirchenpflegerinnen und Kirchenpfleger, in einer sehr wichtigen Rolle. Ich würde dabei von einer Vermittlerrolle sprechen. Damit meine ich Folgendes: Durch den Priestermangel sind im bischöflichen beziehungsweise pastoralen Bereich immer mehr Personen tätig, die aus dem Ausland stammen und die schweizerischen Verhältnisse oft nicht so gut kennen. Das kann zu einer gewissen Entfremdung von der schweizerischen Gesellschaft führen.

«Umso wichtiger sind Menschen wie Sie.»

Umso wichtiger sind Menschen wie Sie, die die Verbindung zur Gesellschaft herstellen. Ich danke Ihnen deshalb für Ihre wichtige Arbeit. Und ich sage Ihnen als Religionsministerin, dass ich das duale System zu 100 Prozent unterstütze und mich weiterhin dafür einsetzen werde.» (rp)

*Die Rede hielt Regierungsrätin Jacqueline Fehr am Kirchenpflege-Treffen der Katholischen Kirche im Kanton Zürich vom 3. und 4. November 2022.


Regierungsrätin Jacqueline Fehr: «Die Anlaufstelle ist bis Ende Jahr realisierbar, wenn die Kirche will.» | © Christian Merz
7. November 2022 | 16:30
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