Meditative Glasfenster
Theologie konkret

Indische Meditation – oder: Mitten im Leben vom Sterben bestimmt

Wenn neuerdings als Trend in Südkorea in Form von kommerziellen Massenritualen das Sterben eingeübt werden kann, mag das für westliche Menschen verstörend sein. Diesseits der kulturellen Grenzen zwischen West und Ost dient es dennoch zum Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit. Andere Wege bieten begleitete Meditations-Übungen, wie sie Anand Nayak (1942-2009) in der Tradition des Jesuiten Anthony de Mello in Europa und Kanada durchführte.

Stephan Schmid-Keiser

Der indische Theologe und Religionswissenschaftler Anand Nayak* vertrat die interreligiös ausgerichtete Sicht und Praxis des indischen Jesuiten Anthony de Mello. Dessen hintergründige kreativen Beispielgeschichten gingen um die Welt. Nayak selbst verhalf mit seinen vielerorts durchgeführten Meditationsseminaren Menschen zu engagierter Gelassenheit in ihrem Leben. Vor bald 15 Jahren, am 4. September 2009, erlitt er einen Autounfall in New Delhi, an dessen Folgen er leider frühzeitig starb.

Meditation konfrontiert mit Sterblichkeit

In einem seiner Seminare lud er zur Selbstreflexion ein.

Meditativ blau
Meditativ blau

Vorgängig machte Nayak klar, dass die an der Übung Beteiligten unter Umständen starken Gefühlen ausgesetzt sein würden. Diese Ankündigung fiel im Kreis von Ordensangehörigen und kirchlichen Mitarbeitenden, die vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in verschiedensten Einsatzländern neue Impulse suchten und über ihr Gebetsleben und Meditieren im Austausch standen.

Die Übung selbst erfolgte so, dass alle Beteiligten eingeladen waren, sich auf den Rücken zu legen. Der Boden eines grossen Raumes wurde für sie zum Erdboden selbst. Nayak leitete dazu an, sich innerlich im eigenen künftigen, noch offenen Grab vorzustellen. Nach einigen stillen Momenten stiessen seine wenigen Worte die Beteiligten im Vorgang weiter: «Ich stelle mir vor, dass ich im eigenen offenen Grab liegend noch ein letztes Mal den Gesichtern jener begegne, die zu meinem Begräbnis gekommen sind. Ich tausche mit jedem von ihnen meine eigenen, persönlichen Worte.»

Durch Erfahrungsaustausch an Gelassenheit gewinnen

Die imaginierte Szene, welche die an der Übung Beteiligten mehr oder weniger einnahm, hallte in Gesprächen nach. Spürbar wurde die Dankbarkeit für all das bisherig im Einsatzland Erfahrene im Guten und im weniger Guten. Die Anwesenden waren in den Tagen eines längeren Kursgeschehens gewohnt, miteinander auszutauschen.

Winterschlaf
Winterschlaf

Wieweit solch ein Austausch untereinander im Angebot des Hyowon Healing Center in Seoul erfolgt, muss offen bleiben. Offen auch, inwieweit sich Sterben kollektiv üben lässt. Bekannt ist jedoch, dass die Kunst des Sterbens mit der Kunst des Schlafens verbunden ist.

Schlafes Bruder

Homer sah im Schlaf «den kleinen Bruder des Todes», Buddha «den kleinen Tod», und im Koran wird er als eine Art Tod angesprochen. Im Schweigen der Meditation schöpft dann die Seele aus dem «schweigenden Nichts» (Hans Waldenfels).

Ob so gesehen Menschen, die übermässiger Leistungsorientierung ausgesetzt und suizidal werden, allein durch stumme Rituale Wege zurück in ein gelasseneres Leben finden, muss bezweifelt werden. Ein durch geführte Meditationen angeregter Austausch über die eigene Vergänglichkeit ist dagegen hilfreich für die Selbstreflexion, anderseits aufgrund der Manifestation psychisch verdrängter Spannungen in der Begleitarbeit nicht zu unterschätzen. Sie gilt es im Nachgang zur geschilderten Übung im Gespräch oder in Therapie aufzufangen.

Stephan Schmid-Keiser
Stephan Schmid-Keiser

Impulse für den spirituellen Weg

Die Übung unter Anleitung von Anand Nayak war eingebettet in einen grösseren Zusammenhang. Der Kursleitung lag daran, dass die aus allen Ecken der Erde Versammelten im Heimaturlaub für ihren persönlichen spirituellen Weg neue Impulse erhalten konnten.

Tage zuvor hatten sie sich mittels intensiver Bibelarbeit mit der Geschichte des Turmbaus zu Babel (Gen 11, 1-9) auseinandergesetzt. Aus dieser Erzählung schöpfend, stellten sie sich der Frage: «Wo bin ich versucht, mir mit meinem Einsatz in Übersee ein eigenes Denkmal zu setzen?»

Turmbau zu Babel
Turmbau zu Babel

In der Folge galt es, sich das Ende des eigenen Lebens vorzustellen und zurückzuschauen auf Gelungenes, Widersprüchliches, Erfolgloses und Nachzuholendes. Auf einem Blatt mit der Zeichnung eines Grabsteins skizzierten schliesslich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre letzten Worte, welche künftig die am Grab Vorübergehenden mit auf ihren Weg nehmen sollten. Die Ergebnisse dieser Skizzen waren einnehmend wie «Hier ruht einer, der sich auf den Weg zu den Menschen machte» oder provozierend wie «Sie lebte stets für andere und vergass, sich selbst zu lieben».

Bestätigt in jüdisch-christliche Tradition

Abschied-Nehmen wird einst auf dem Programm der letzten Tage jedes Menschen stehen. Das zeigt das hier Geschilderte und die von Lothar Zenetti gewählten Worte aus jüdischer und christlicher Tradition bestätigen es: «Wir sind mitten im Leben / zum Sterben bestimmt. / Was da steht, das wird fallen, / der Herr gibt und nimmt. // Wir gehören für immer / dem Herrn, der uns liebt. / Was soll uns auch geschehen, / er nimmt und er gibt. // Wir sind mitten im Sterben / zum Leben bestimmt. / Was da fällt, soll erstehen, / er gibt, wenn er nimmt

Anzeige ↓ Anzeige ↑

*Empfehlenswert ist das Buch von Anand Nayak: Anthony de Mello. Sein Leben, seine Spiritualität, Patmos 2006 , ISBN: 3-491-70397-2


Meditative Glasfenster | © zVg
28. April 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!